ISBN 978-3-944644-00-4

507 Seiten

€ 12,9

Martin Zehrer im Interview über seinen Roman „Als Herr Weimar starb“, in dem ein Sechsjähriger die Anfänge der Nazi-Zeit in Deutschland erlebt und sich mit seiner Familie gerade noch retten kann.

Martin Zehrer im Interview über seinen historischen Jugendroman „Als Herr Weimar starb“

Als Herr Weimar starb

Herr Zehrer, in Ihrem Roman „Als Herr Weimar starb“ erzählen Sie von dem sechsjährigen jüdischen Jungen David Lodenstein, der in den 1930er-Jahren hautnah miterlebt, wie sich nach der Machtergreifung durch Hitler die Lage für Juden in Deutschland massiv verschlechtert. Was war die Initialzündung für Ihr Buch?

Die Initialzündung zu diesem Buch liegt schon sehr lange zurück. Ich war gerade einmal 13 Jahre alt, als mir meine Schwester Angelika ihre Schullektüre zu lesen gab. Es war das Tagebuch der Anne Frank. Da unsere Eltern uns schon sehr früh für die Thematik des Dritten Reichs sensibilisierten, indem sie uns von ihren Erlebnissen während der Hitlerzeit erzählten, habe ich das Buch mit großem Interesse gelesen. Ich war schockiert, nein, mein Herz bebte vor Entsetzen, als ich am Ende des Buches erfuhr, dass dieses unschuldige jüdische Mädchen, das etwa in meinem Alter war, in einem Konzentrationslager der Nazis den Tod fand.

Mit diesem traurigen Schluss konnte und wollte ich mich nicht abfinden und so beschloss ich ein Buch zu schreiben, das eine ähnliche Thematik hat, aber gut enden sollte. Ich begann Pläne von Verstecken zu zeichnen, in denen sich eine jüdische Familie vor den Nazis in Sicherheit hätte bringen können. Im Grunde entstand schon als Teenager die ganze Grundidee zu diesem Buch.

Sie schreiben nicht nur sehr anschaulich von Davids Alltag, sondern auch über die historischen Gegebenheiten. Wo und wie haben Sie die vielen Details recherchiert?

Ja, wie das im Leben manchmal so ist. Man hat einen Jugendtraum, doch nie findet man die Zeit ihn umzusetzen. Und so habe ich meinen Roman über das Dritte Reich erst viele Jahre später ausgerechnet an einem Ort geschrieben, wo es kaum schwieriger hätte sein können nach den historischen Hintergründen zu recherchieren. Das Buch entstand buchstäblich am anderen Ende der Welt, nämlich in Neuseeland.

Meine Frau erhielt damals eine auf zwei Jahre befristete Forschungsstelle an der Universität von Dunedin. Und ich konnte mich für diese Zeit vom Schuldienst beurlauben lassen und durfte sie begleiten. Plötzlich hatte ich ganz viel Zeit und ich sagte mir: „Jetzt oder nie!“ und begann zu schreiben. Schnell war klar, dass der Roman in Regensburg spielen sollte. Doch wie kam ich bloß an die entsprechenden Quellen heran, zumal ich nicht Geschichte studiert habe.

So nutzte ich einen kurzen Zwischenaufenthalt in Deutschland dazu, mich auf die Suche nach entsprechendem Material zu machen und verbrachte zwei Tage in der Unibibliothek Regensburg nur damit, entsprechende Bücher mit meiner Hi8-Videokamera Seite für Seite abzufilmen. Schließlich konnte ich die Bücher nicht alle im Flugzeug mitnehmen. Die Auswertung der Quellen erfolgte dann am Fernseher in Neuseeland.

Ihr Roman ist kein gewöhnlicher literarischer Text, denn Sie arbeiten mit vielen Fußnoten. Auf was verweisen diese Fußnoten und warum haben Sie sich für diese – eigentlich wissenschaftliche – Form entschieden?

Sie haben recht, es ist ziemlich ungewöhnlich, dass sich in einem Roman über 200 Fußnoten befinden. Aber ich habe in meine fiktive Rahmenhandlung eben sehr oft die wahren historischen Fakten, insbesondere zu Regensburg eingearbeitet. Und diese kleinen Zahlen zeigen dem Leser, dass hier Dinge beschrieben sind, die sich der Autor eben nicht aus den Fingern gesaugt hat. Das verleiht dem Buch eine besondere Brisanz. Die Fußnotentexte stehen aber mit Absicht am Ende des Buches, um den Fortgang der spannenden Handlung nicht zu stören. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, dort nachzuschlagen, erhält nicht nur Quellenangaben, sondern oft auch weitergehende Informationen zu dem jeweiligen Sachverhalt. So ist nicht nur ein spannender Roman entstanden, sondern in gewisser Weise auch ein Sachbuch zum Dritten Reich.

Der Titel Ihres Romans entspringt einem Missverständnis zwischen David und den Erwachsenen. Das müssen Sie bitte erklären.

Ich habe einfach versucht, mich in einen kleinen Jungen hineinzuversetzen, der seinen sechsten Geburtstag hat, aber dabei von seinen Eltern und Großeltern völlig ignoriert wird. Alle reden nur über, Hitler, Nazis und den Reichstag, anstatt zu feiern und mit ihm Fußball zu spielen. Als er hört, wie sein Vater im Zusammenhang mit dem Ermächtigungsgesetz sagt: „Damit ist Weimar gestorben!“, und ihm sein Großvater beipflichtet: „Ja, Weimar ist tot!“, versucht David die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken, indem er ganz naiv die Frage in den Raum wirft: „Woran ist denn Herr Weimar gestorben?“

„Vermutlich an der braunen Pest!“, meint sein Vater und alle lachen. Das ist zu viel für David und er bricht in Tränen aus.

Sein Vater versucht ihn zu beruhigen und beteuert, dass sie nicht über ihn gelacht hätten, sondern nur über die Formulierung „Herr Weimar“. Und dann erklärt er David in einfachen Worten, was es mit der Weimarer Verfassung auf sich hat und welche Folgen es möglicherweise hat, wenn diese Verfassung nun durch das Ermächtigungsgesetz der Nazis ausgehebelt wird.

„Kommt man jetzt ins Gefängnis, wenn man sagt, dass Hitler blöd ist?“, fragt David bei diesem Gespräch seinen Vater. Seine Eltern bremsen ihn sofort. Was haben die Nazis denn mit Kindern gemacht, die so etwas gesagt haben?

Nun, auch Kinder mussten vorsichtig sein, denn was sie sagten fiel letztendlich auf ihre Eltern zurück. Irgendwann wurde es dann lebensgefährlich allzu deutliche Kritik am Naziregime zu äußern. Mein Großvater väterlicherseits, ein Oberpfälzer Bauer, muss da ein sehr unvorsichtiger Zeitgenosse gewesen sein, weil er kein Blatt vor dem Mund nahm. Meine Großmutter machte sich deshalb oft große Sorgen um ihn. Immer wieder sagte sie zu ihm: “Halt nur bloß dein Maul, du kommst sonst noch nach Dachau“. Gemeint war das dortige Konzentrationslager der Nazis. Das Kindergebet „Lieber Gott mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“ wurde in dieser Zeit umgedichtet in „Lieber Gott mach mich stumm, dass ich nicht nach Dachau kumm!“

Ihnen gelingt der Spagat zwischen einer spannenden Geschichte und einem pädagogischen Ansatz sehr gut. Warum sollten heutige Kinder und Jugendliche über die Zeit des Nationalsozialismus gut Bescheid wissen?

Nicht nur Kinder und Jugendliche sollten Bescheid wissen. Manchmal wünschte ich mir, mein Buch wäre nicht so brandaktuell angesichts der Tatsache, dass sich rechtsextremes Gedankengut wieder wie ein Krebsgeschwür in unserer Gesellschaft ausbreitet. Alexander Gauland verharmlost die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten als „Vogelschiss der deutschen Geschichte“ und Alice Weidel spricht im Zusammenhang mit Migranten von „Messermännern, Kopftuchmädchen und anderen Taugenichtsen“. Und trotzdem haben viele in unserem Land offenbar keine Berührungsängste mit der AfD, die in meinen Augen, eindeutig eine rassistische und fremdenfeindliche Partei ist. In Sachsen und Thüringen wurde sie bei der Bundestagswahl sogar stärkste Partei und holte fast flächendeckend alle Direktmandate.

Hier tut Aufklärung dringen Not, wohin Hass, Rassismus und völkisches Denken führen kann. Mein Buch kann dazu einen Beitrag leisten.

Ihre Geschichte spielt in bzw. in der Nähe von Regensburg. Hat dies einen bestimmten Grund?

Ja, natürlich! Ich liebe diese wunderbare Stadt, in der ich Biologie und Chemie für das Lehramt studiert habe. Ich machte mich schon während des Studiums ein bisschen mit der Geschichte von Regensburg vertraut, denn ich schrieb in meiner Zulassungsarbeit über „Die Naturwissenschaften an der Philosophisch Theologischen Hochschule Regensburg“. An dieser Hochschule wurden ursprünglich angehende Priester ausgebildet. Nach dem Krieg wurde sie jedoch zu einer Art Notuniversität ausgebaut und ist damit der Vorläufer der heutigen Universität Regensburg.

Die Familie Lodenstein betreibt einen gut gehenden Laden. Doch Schritt für Schritt spüren Davids Eltern, dass ihnen das Leben immer schwerer gemacht wird. Bald schon gibt es erste Drohungen. Auch David merkt, dass plötzlich nichtjüdische Menschen anders mit ihm umgehen. Die Bäuerin Mollser, Mutter von Davids Freund Wolfgang, geht sogar mit der Heugabel auf ihn los. Und eines Tages will auch Wolfgang nicht mehr Davids Freund sein.

Und das ist nur der Anfang, wie Davids heile Welt immer mehr zerbricht. Er fährt mit seiner Schwester Rebekka mit der Straßenbahn in die jüdische Volksschule von Regensburg. Hitlerjungen lauern den jüdischen Kindern oft auf, misshandeln sie und versuchen sie abzuzocken. Trotzdem geht David gerne in die Schule, weil er dort neue Freunde kennenlernt. Als die vierjährige Volkschulzeit jedoch vorbei ist möchte sein Vater unbedingt, dass David aufs Gymnasium geht, damit er es einmal weiterbringt als er. Doch die neue Schule wird für den jüdischen Jungen ein absoluter Albtraum. Seine Mitschüler schlagen, quälen und demütigen ihn. Auch von den Lehrern kann er keine Hilfe erwarten. Ganz im Gegenteil, der Turnlehrer, der stets mit SA-Uniform zum Unterricht erscheint, macht ihm das Leben zur Hölle.

Dann kommt der Tag, an dem ein großer Stein durch das Ladenfenster fliegt.

Ja, ganz richtig! Und damit zerbricht nicht nur das Glas eines Fensters, sondern in Herrn Lodenstein zerbricht auch das letzte Fünkchen Hoffnung, dass sich die Situation für Juden bald wieder verbessert. Die drei Hitlerjungen, die ihm das Schaufenster eingeworfen haben, verspotten ihn auch noch indem sie rufen: „Lodenstein, Lodenstein, bist ein altes Judenschwein“. Einer der Übeltäter ist der Junge des nationalsozialistischen Ortsgruppenleiters. Nun fällt es Herrn Lodenstein wie Schuppen von den Augen und er begreift, dass Juden in Deutschland inzwischen völlig macht- und rechtlos geworden sind und dass die Situation für sie allmählich lebensgefährlich wird. Nun ist auch er bereits, wie schon so viele aus der jüdischen Gemeinde vor ihm, alles hinter sich zu lassen und mit der Familie nach Amerika zu fliehen.

Doch die Flucht der Familie Lodenstein verläuft ganz anders, als er sich das vorgestellt hat.

Der Vorfall mit dem zerbrochenen Ladenfenster passiert ausgerechnet am Vorabend der Reichskristallnacht, wo die Nazis gezielt gegen Juden und jüdische Einrichtungen vorgingen. Mitten in der Nacht fährt ein Kastenwagen der Gestapo vor dem Laden vor und zwei bewaffnete Männer steigen aus. In Todesangst rüttelt Herr Lodenstein seine Familie wach. Nur mit Nachthemden gekleidet fliehen sie durch den Hinterausgang ins Freie, während auf der Straßenseite die Ladentüre gewaltsam aufgebrochen wird.

Nun beginnt eine überaus dramatische Flucht, bei der auf Herrn Lodenstein sogar geschossen wird. Doch die Flucht endet nicht in Amerika, sondern noch in dem Dorf, in dem sie wohnen, nämlich im Haus des Dorfschreiners Hofschmied und seiner Frau. Das Ehepaar versteckt sie in dieser Nacht vor der Gestapo. Am nächsten Tag kommen dann die Schreckensnachrichten aus der Stadt. Die Synagoge ist niedergebrannt, jüdische Geschäfte wurden zerstört und geplündert und was das Schlimmste ist: Von Davids Großeltern fehlt jede Spur und man vermutet, dass sie umgebracht wurden.

Ab diesem Zeitpunkt wagen sich die Lodensteins nicht mehr auf die Straße. Die Hofschmieds versichern ihnen, dass sie so lange bleiben können bis der „braune Spuk“ vorbei ist. Doch aus Tagen werden Wochen und aus Wochen werden Monate. Schließlich richtet man gemeinsam für die jüdische Familie ein dauerhaftes Versteck im Haus ein. Dann beginnt der Zweite Weltkrieg, der sich Jahr um Jahr hinzieht und einfach nicht enden will. In dieser Zeit passieren dramatische Dinge und die Familie Lodenstein läuft immer wieder in Gefahr entdeckt zu werden. Doch ich will nicht zu viel verraten.

Aber können sie uns sagen, ob Ihr Roman ein glückliches Ende hat?

Ja, er endet gut und hoffnungsvoll, so wie ich es mir seit der Lektüre des Tagebuchs der Anne Frank vorgenommen habe. Aber natürlich passieren in meiner Geschichte auch viele schreckliche und traurige Dinge. Alles andere würde dem Thema nämlich nicht gerecht werden, denn es war einfach eine furchtbare Zeit, die sich niemals mehr wiederholen darf.

Der Inhalt von Martin Zehrers Roman „Als Herr Weimar starb“ in Kürze

Martin Zehrer nimmt die Leser seines Romans „Als Herr Weimar starb“ mit auf eine Zeitreise in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Besonders Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, möchte er mit diesem Roman die schrecklichen Ereignisse während des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 näherbringen, ohne sie in lähmender Trauer zurückzulassen. Vielmehr soll der Mut zur Zivilcourage geweckt werden, damit sich die furchtbaren Ereignisse von damals niemals wiederholen.

Der fast sechsjährige David Lodenstein ist davon überzeugt, dass 1933 ein gutes Jahr wird. Bis dahin hat er mit seiner Schwester Rebekka und seinen Eltern eine glückliche Kindheit in einem kleinen Vorort von Regensburg verbracht. Doch am 30. Januar ergreifen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland, und damit beginnt die heile Welt von David und seiner Familie immer mehr zu zerbrechen. Die Lodensteins sind nämlich Juden und werden deshalb immer mehr gemieden, schikaniert und bedroht. Schließlich fliehen sie in Todesangst vor der Gestapo, doch eine mutige Nachbarsfamilie versteckt sie …

Der Text enthält mehr als 200 Fußnoten. Sie verweisen an den entsprechenden Stellen auf den wahren geschichtlichen Hintergrund, insbesondere der bayerischen Stadt Regensburg, hin.

 

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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