Der Dauerregen im Urlaub war super, auch die Stürme. Jörg Steinleitner über eine Ferienwoche mit Sven Regener, Wolf Haas und Mariana Leky. Ein Plädoyer fürs Lesen, schlechtes Wetter und die 80er.
Wir waren im Haus eingesperrt – es war der schönste Urlaub seit langem
In der vergangenen Woche waren wir mit der Familie in Italien. Es war die Woche, in der in Italien die Welt unterging: Es schüttete, es stürmte, die Temperaturen sanken von 22 Grad auf gefühlte 3 oder so. Nachts tropfte das Wasser. Plopp, plopp, plopp. Es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass dieses Ploppen nicht von draußen kam, sondern durchs Dach. Der Starkregen hatte die alten Ziegel mürbe geklopft. Meine Jeans auf dem Stuhl war patschnass, Portofino von der Außenwelt abgeschnitten, der Markusplatz in Venedig sah auf den Fernsehbildern aus wie ein Schwimmbad. Wir verbarrikadierten uns in der Wohnung. Gingen nur raus, um Essen, Wasser und Rotwein ranzuschaffen. Es war der schönste Urlaub seit langem.
Der Fensterladen verriegelt – und ich auf Zeitreise in den 80ern
In dem kleinen Regal neben dem Bett standen nämlich die Bücher von Sven Regener: „Neue Vahr Süd“, „Der kleine Bruder“, „Herr Lehmann“ und „Magical Mystery“. Ich kannte die schon, aber es regnete ja, und so fing ich an zu lesen. Der Fensterladen geschlossen, das Fenster zu, draußen die Sintflut. War mir egal. Ich war plötzlich wieder in den 80er Jahren, in Bremen, in Berlin, auf Deutschland-Tournee mit Kratzbombe Records. Ich las und las – und lachte lauter als der Regen draußen platschte.
Absurde politische Diskussionen und Gefummel unter WG-Matratzen
Es gibt niemanden, der die Absurditäten dieses Jahrzehnts zwischen 1980 und 1990 (und seine Ausläufer) zutreffender und lustiger beschreibt als Sven Regener: Die pubertären und albernen politischen Diskussionen der Nach-1968er. Das Gefummel auf WG-Matratzen. Die Katzenstreu im Klo. Der Wehrdienst, der nicht in den Krieg führen konnte und deshalb einem absurden Theater glich. Das Dosenbier gegen die Langeweile in einem bundesrepublikanischen bzw. West-Berlin-Kosmos, in dem es allen ein bisschen zu gut geht und noch keiner weiß, wie es wenig später den Bach runtergehen wird. Ökonomisch, wertemäßig und schließlich auch politisch. Damals dachten wir, die 80er Jahre seien uncool. Heute wissen wir: Das war eine gar nicht so schlechte Zeit. Weil es auf Deutschland nicht ankam und deshalb Dödels wie Herr Lehmann, Karl Schmidt und auch der Hauptfeldwebel von der Bundeswehr Dödels sein konnten, ohne dass das groß etwas geändert hätte.
Ich habe gelesen, als gäbe es kein Heute und kein Morgen
Dank des Wetters konnte ich in der vergangenen Woche lesen, wie ich zuletzt als Kind gelesen habe: als gäbe es kein Heute, kein Morgen, sondern nur das Buch und mich. Wie im Rausch, dabei hochkonzentriert und doch geistig total abgemeldet. Das hing natürlich mit der besonderen Wettersituation zusammen. Aber vor allem mit Sven Regeners großer Erzählkunst und seinem beeindruckenden Erinnerungsvermögen. Wie er die 80er erzählt, so waren sie wirklich. Man sollte sich keine Unwetter wünschen, denn die Verwüstungen, die der Sturm in Italien hinterlassen hat, sind furchtbar. Aber über eine Woche Regen im Urlaub darf man sich getrost freuen. Und auch auf all das miese Winterwetter, das jetzt kommt. Also vorausgesetzt, man hat das Gesamtwerk von Sven Regener im Regal stehen. Oder eben Gleichwertiges.
P.S.: „Junger Mann“ von Wolf Haas und „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky habe ich dann hinterher auch noch gelesen. Und Alexander Gorkows „Hotel Laguna“. Kann ich alle drei auch empfehlen. Aber das sind andere Geschichten. Wobei, Wolf Haas „Junger Mann“ spielt auch so ungefähr Herrn Lehmanns Zeit. Man muss im Regen lesen.