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9. November 2018 | Frau Bluhm
Naomi, die Heldin in Nora Roberts‘ Thriller „Die Stunde der Schuld“ ist zwölf, als sie feststellt, dass ihr gläubiger Vater in einem Kellerloch eine Frau gefangen hält. Frau Bluhm hat den Roman gelesen.
Naomi ist nicht ganz zwölf Jahre alt, als ihr etwas passiert, was keinem Kind ihres Alters jemals passieren sollte: Während eines nächtlichen Gewitters in West Virginia erwacht sie und beobachtet ihren Vater, der draußen durch den Garten geht. In der Annahme, er würde an einer Überraschung für ihren bevorstehenden Geburtstag arbeiten, schleicht sie ihm hinterher und entdeckt dabei, dass ihr strenger, gläubiger Vater eine junge Frau in einem Erdkellerloch versteckt hält. Naomi hilft der jungen, gequälten und schwer verletzten Frau zu entkommen und gleichzeitig der Polizei, in ihrem Vater einen gefürchteten Serientäter zur Strecke zu bringen.
Seit diesem Tag hat Naomi ihren Vater nie mehr gesehen oder gesprochen, und doch werden seine Verbrechen und ihre Heldentaten von Journalisten im ganzen Land verbreitet und in unzähligen Artikeln, Büchern und sogar einem Film verarbeitet. Naomi hat seitdem nur einen Wunsch: Dies alles hinter sich zu lassen. Und so tingelt sie als freischaffende Fotografin durchs Land, unter falschem Namen und niemals mit festem Wohnsitz.
Das ändert sich allerdings schlagartig, als sie sich an der Westküste in ein Haus auf den Klippen verliebt. Sie beginnt es umzubauen, Fuß zu fassen und sogar Freunde zu finden. Niemals erfuhr Naomi Stabilität und Verlässlichkeit, doch nun hat sie ein Haus, und sogar einen Hund und schließlich sogar einen Freund, Xander, den attraktiven Automechaniker. Alles läuft gut für Naomi, bis sie unweit ihres Hauses über eine Leiche stolpert.
Die junge Frau wurde entführt, missbraucht und entstellt. Alles erinnert an die Opfer von Noras Vater. Doch der sitzt seit 17 Jahren sicher verwahrt in Haft. Naomis Geheimnis beginnt in der Kleinstadt bekannt zu werden und eine weitere Frau verschwindet. Naomi muss der Vergangenheit ins Auge blicken, um zu verstehen, was passiert und gerät dabei selbst in allergrößte Gefahr.
Im Jahr 1979 irgendwo im winterlichen Maryland, passierte etwas, das auf mein Leben, so wie auf das vieler anderer, einen großen Einfluss hatte. Und das, obwohl ich noch nicht mal geboren worden war. Während eines Schneesturms eingeschneit, begann die damals knapp 30-jährige Nora Roberts vor Langeweile all die Geschichten aufzuschreiben, die sie so im Kopf hatte. Welch ein Glück für uns, denn sehr bald darauf wurde klar, dass diese Frau einfach kann was sie tut. Ich habe so gut wie alles gelesen, was sie jemals veröffentlicht hat. Und obwohl ihre Bücher natürlich einen unverwechselbaren Stil haben, bin ich doch immer wieder beeindruckt davon, wie sie sich von Roman zu Roman immer wieder neu erfindet. Klar, ein Schema ist natürlich erkennbar, und doch ändert das nichts an der Tatsache, dass jedes ihrer Bücher wieder eine neuartige Geschichte mit guten Protagonisten und spannender Handlung aufweisen kann. „Die Stunde der Schuld“ bildet dabei keine Ausnahme.
Das Buch beginnt mit einem ziemlich langen Einstieg über die junge Naomi und deren schreckliche Erlebnisse in jener Nacht, die alles veränderte. Ziemlich lang, wie gesagt, aber unbestreitbar wortgewaltig und spannend. Ich war sehr beindruckt, wie Nora Roberts von Anfang an eindringliche sprachliche Bilder entstehen lässt, die durch ihre Begabung zum atmosphärischen Aufbau und der Entwicklung des Spannungsbogens nur noch unterstrichen werden.
Kurzum, der Prolog hat eine derart knisternde Spannung, dass man ab Seite 2 schon vollkommen gefesselt ist. Eine Spannung, die bis zuletzt nicht nachlässt. So viele Bücher ich auch schon von ihr gelesen habe, umso mehr wird mir bewusst, dass sie sich immer mehr Zeit nimmt, ihre Protagonisten und ihre Geschichten aufzubauen. Ja, das macht ihre Bücher von Jahr zu Jahr immer länger, auch „Die Stunde der Schuld“ fasst wieder über 600 Seiten, doch sind es gut genutzte Seiten, die von Anfang bis Ende dicht und kurzweilig gefüllt wurden. Endergebnis sind dabei gut entwickelte und authentische Protagonisten sowie eine hervorragend recherchierte und fundierte Storyline.
Was mir bei „Die Stunde der Schuld“ auch wieder aufgefallen ist: Nora Roberts entwickelt ihre Protagonisten mit immer mehr psychologischem Eigenprofil. Waren ihre Charaktere zu Anfang ihrer Laufbahn noch sehr stereotyp und schubladenartig, so ist Naomi ein sehr passender Beweis dafür, dass die Autorin sich mit der Zeit und dem wachsenden Anspruch der Belletristik entwickelt hat. Sie lässt sich nicht so leicht in eine Schublade stecken, was sie mir nur noch lebensnaher und sympathischer macht.
Mit Naomi begegnen wir einer jungen Frau mit ungeheurem Mut, aber auch mit vielen seelischen Narben und jeder Menge psychischem Gepäck. Auch die übrigen Personen sind sympathisch und mit Leben erfüllt. Beispielsweise der Architekt, der Naomi bei den Umbauten ihres neuen Hauses berät. Es könnte eine blasse Nebenfigur sein, doch Nora Roberts verpasst ihm Charakter, Wortwitz und eine ganze Familie. Dadurch erfahren Protagonistin und Leser gleichermaßen emotionale Anbindung an die verschlafene Kleinstadt und ihre Bewohner.
Der psychologische Aspekt dieses Romans fasziniert mich dennoch fast am meisten: die vielen Gedanken Naomis, die sie sich um ihre Vergangenheit und ihre Abstammung macht. Ist sie als Tochter eines menschlichen Monsters ebenfalls eines? Inwieweit haben ihre Entscheidungen und Handlungen von vor 17 Jahren heute noch Auswirkungen auf ihr Leben und das ihrer Familie? Wie sehr werden wir Menschen von Genetik und Erlebnissen geprägt? Mit all diesen Überlegungen befasst sich Nora Roberts und schickt uns gemeinsam mit ihrer Protagonistin auf eine Reise der Auseinandersetzung mit sich selbst und der Vergangenheit. Für mich ist „Die Stunde der Schuld“ ein absolutes Lesehighlight, und das sage ich nicht nur, weil ich Nora Roberts sowieso und hundertprozentig verfallen bin. Sondern weil es einfach stimmt.
Geboren 1984 in Aschaffenburg als Katharina Bluhm, studierte Frau Bluhm Psychologie und wurde nach dem Studium Erzieherin. Als BUCHSZENE.DE-Kolumnistin entdeckt wurde sie wegen ihrer so sympathischen wie zutreffenden Rezensionen auf…
Zur Biografie von Frau Bluhm
Nora Roberts
Die Stunde der Schuld
ISBN 978-3-764-50608-7
608 Seiten | € 19,99
blanvalet
Nora Roberts
Foto © Bruce Wilder
Als einzige und jüngste Tochter von fünf Kindern wurde Nora Roberts 1950 in Silver Spring, Maryland geboren. Ihre Ausbildung endete mit der Highschool in Silver Spring. Bis zur Geburt ihrer beiden Söhne Jason und Dan arbeitete sie als Sekretärin, anschließend blieb sie Hausfrau und Mutter. Anfang der siebziger Jahre zog sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern nach Maryland aufs Land. Sie begann mit dem Schreiben, als sie im Winter 1979 während eines Blizzards tagelang eingeschneit war. Nachdem Nora Roberts jedes im Haus vorhandene Buch gelesen hatte, schrieb sie selbst eins. 1981 wurde ihr erster Roman „Rote Rosen für Delia“ veröffentlicht, der sich rasch zu einem Bestseller entwickelte. Seitdem hat sie über 200 Romane geschrieben, von denen mehr als 500 Millionen Exemplare verkauft wurden; ihre Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Sowohl die ROMANCE WRITERS OF AMERICA als auch die ROMANTIC TIMES haben sie mit Preisen überschüttet; sie erhielt unter anderem den Rita Award, den Maggie Award und das Golden Leaf. Ihr Werk umfasst mehr als 195 New-York-Times Bestseller. 1986 wurde sie in die Romance Writers Hall of Fame aufgenommen. Nora Roberts lebt mit ihrem Ehemann in Keedysville/Maryland.
Geboren 1984 in Aschaffenburg als Katharina Bluhm, studierte Frau Bluhm Psychologie und wurde nach dem Studium Erzieherin. Als BUCHSZENE.DE-Kolumnistin entdeckt wurde sie wegen ihrer so sympathischen wie zutreffenden Rezensionen auf…
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