Herr Claro, gleich zu Beginn Ihres Romans „Drei Monate im August“ machen Ihre Helden Tom und Pfiff als Rettungssanitäter im Leichenhaus des Münchner Ostfriedhofs eine gruselige Entdeckung: In einem der Särge liegt eine Frau, die noch lebt. Sie selbst waren auch Rettungssanitäter. Ist Ihnen mal eine „untote“ Leiche untergekommen?
Diese spezielle Szene habe ich nicht selbst erlebt, sondern aus Erzählungen von Kollegen übernommen. Es kommt immer mal wieder vor, wenn auch selten, dass tot Geglaubte nicht wirklich tot sind. Und das trotz Leichenbeschau und Ausstellung des Totenscheins durch einen Arzt. Wie die Sache im Roman ausgeht, soll hier aber nicht verraten werden.
Tom und Pfiff reanimieren als Rettungssanitäter einen Mann, der in der Straßenbahn einen Herzstillstand erlitten hat, entgegen den Anweisungen eines Notarztes. Wäre so etwas in der Realität auch denkbar?
In aller Regel arbeiten Notärzte und Sanitäter perfekt im Team zusammen. Dieser Fall hat sich jedoch bei einem unserer Einsätze genau so ereignet, wie in „Drei Monate im August“ geschildert: Wir haben reanimiert. Der Notarzt wies uns an, damit aufzuhören und war sehr erbost, dass wir seinen Anweisungen nicht folgten und weitermachten. Der Patient überlebte. Das ist aber sicher eine sehr seltene Ausnahme.
Wenn man Ihre Biografie liest, dann hat man das Gefühl, dass in Ihren beiden Hauptfiguren von „Drei Monate im August“ ganz schön viel Max Claro steckt. Sie waren ja nicht nur Rettungssanitäter wie Tom und Pfiff, sondern auch Profi-Fallschirmspringer …
Ja, ich war Fallschirmsprunglehrer an verschiedenen Sprungplätzen in Deutschland und in den USA und habe so ziemlich alle Disziplinen und Varianten ausprobiert, die diese atemberaubend schöne Sportart hergibt. Zwischen den Charakteren im Roman und mir gibt es jedoch erhebliche Unterschiede: Ich bin, das hoffe ich zumindest, kein solcher Macho wie Tom und ganz sicher auch kein Opportunist wie Pfiff. Das Werk weist durchaus autobiografische Elemente auf, vor allem bezüglich der geschilderten Szenarien, von denen ich viele selbst erlebt habe. Aber es ist ein Roman und keine Autobiografie.
Fallschirmspringen und BASE-Springen, die beiden Hobbys von Tom und Pfiff, gelten als hochriskant und nicht immer läuft alles rund. Hatten Sie schon mal beim Fallschirmspringen eine Situation, bei der es sehr knapp wurde?
Ich hatte in meinem Springerleben vier Öffnungsstörungen, bei denen ich den Reservefallschirm aktivieren musste, dabei hing ich einmal in nur 50 Meter Höhe, d. h. rein rechnerisch trennte mich genau eine Sekunde freier Fall vom Aufschlag auf dem Boden. Dennoch ist Fallschirmspringen nach dem heutigen Stand der Technik und dem hohen Ausbildungsniveau, das wir in der westlichen Welt haben, relativ ungefährlich.
Und das BASE-Springen?
Das halte ich tatsächlich für hochriskant. Zum einen, weil bei den niedrigen Absprunghöhen von Brücken oder Gebäuden die Luftanströmung oft zu gering ist, um den Fallschirm sauber zu öffnen und zum anderen die kurze Zeit keine zweite Chance für eine Reserveöffnung lässt. Ich habe auch hier schon meine Erfahrungen gemacht. Die schlimmste war und ist, dass der überwiegende Teil meiner BASE-springenden Freunde tödlich verunglückte.
Tom ist so ganz nebenbei auch noch Lachyoga-Trainer. Haben Sie das auch schon mal ausprobiert?
Natürlich! Ich mache das sporadisch immer wieder, mal morgens vor dem Spiegel, mal in einer Gruppe, die ich mir aus dem Internet suche. Es gibt weltweit über 9.000 Lachclubs, viele auch in Deutschland, in denen sich Leute aller Altersklassen und Hautfarben zusammenfinden und gemeinsam halb totlachen. Ich fühl mich hinterher einfach immer richtig gut, jedenfalls noch einen deutlichen Tick besser, als davor.
Tom und Pfiff fahren in „Drei Monate im August“ allerlei kuriose Einsätze. Welche mögen Sie besonders gerne?
Alle Einsätze, die letztlich in der Psychiatrie enden. Ich hatte dort ja auch mal gearbeitet. Viele Patienten verfügen über ein unheimlich kreatives Potenzial. Nie werde ich den jungen Mann vergessen, mit dem ich jeden Morgen Mühle spielen musste – aber ohne Steine. Er konnte sich alle Züge merken. Diese Szene kommt allerdings nicht im Buch vor. Ich verrate damit also kein Geheimnis.
Tom und Pfiff stürzen sich in allerlei amouröse Abenteuer, wobei das Wort „stürzen“ bei Fallschirmspringern durchaus wörtlich genommen werden darf. Was geht bei einem Fallschirmspringer in der Liebe, was bei einem Normalo nicht drin ist?
Ich glaube, Fallschirmspringer trauen sich etwas mehr, als viele ihrer Artgenossen. Sie sprechen eher mal ihre Traumfrau im Supermarkt an und riskieren dabei, einen Korb zu bekommen oder sie wagen ein Nümmerchen im Aufzug mit der geneigten und gewillten Partnerin.
Ihre beiden Helden lieben das Risiko. Prompt erfinden Sie sich selbst einen Einsatz, als eines Tages fünf Stunden keiner kommt und sie sich langweilen. Können wir verraten oder zumindest andeuten, um welche Art von Einsatz es sich handelt?
Die Geschichte knüpft an ein Gedankenspiel an, das wir gelegentlich durchspielten, wenn wir sehr lange auf Abruf standen. Was wäre, wenn wir einfach einen x-beliebigen Passanten in den Rettungswagen zerrten und in die Psychiatrie einlieferten? Würde er sich wehren? Würde man ihn aufnehmen? Wenn ja, wie lange würde er dort bleiben müssen? Welche seelischen, moralischen und rechtlichen Konsequenzen hätte das für den „Patienten wider Willen“ und für uns.
Das Risiko gehört auch zu Ihrem Leben. Zum Beispiel waren Sie mehrfach in Kriegs- und Krisengebieten im Einsatz. Haben Sie keine Angst oder lieben Sie es, Angst zu haben?
Angst ist ein zweischneidiges Schwert. Zuviel Angst lähmt und führt leicht zu fatalen Fehlentscheidungen. Wer keine Angst hat, überhört lebenswichtige Warnsignale, die das Gehirn an den Körper sendet, was ebenfalls fatale Folgen haben kann. Ich habe im Irak als Krankenpfleger und Agent für einen westlichen Geheimdienst gearbeitet. Bei beiden Tätigkeiten konnte ich Menschen helfen und Leben retten. Ich hatte aber auch oft Angst, Todesangst, vor allem bei Luftangriffen. Da hilft die coolste Taktik nichts, wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort bist.
Und wie ist es jetzt: Lieben Sie es, Angst zu haben?
Ja! Etwa so sehr, wie die Schmerzen beim Zahnarzt. Am schönsten ist das Gefühl, wenn es überstanden ist!