Herr Hahne, das Manuskript Ihres neuen Bestsellers „Seid ihr noch ganz bei Trost!“ dürfte rund zehn Monate alt sein. Und doch schreiben Sie über tagesaktuelle Themen wie über die amtliche Einführung der Gendersprache (jetzt Sachsen) die Umbenennung von Straßen (aktuell Onkel Toms Hütte in Berlin), den Streit um die Bundeswehr („keine Willkommenskultur“) und – ganz aktuell – über die Missachtung der Polizei. Haben Sie ein Wahrsager-Gen? Sind Sie ein Prophet?
Na, dann hätte mich das ZDF doch eher als Wetterfrosch oder Börsenexperte angestellt (lacht). Nein, man muss nur die Hand am Puls der Zeit haben und man weiß, was als Nächstes kommt. Ich schreibe ja keine akademischen Abhandlungen, sondern zugespitzte Kurztexte zu den aktuell brennenden Themen. Dazu gehören eben die mangelnde Wertschätzung und die Pauschalverurteilung der Bundeswehr, aber vor allem der Polizei. Dass die jetzt wie in Stuttgart oder Frankfurt quasi vogelfrei ist, beleidigt, bespuckt, mit Steinen beworfen wird, das ist ein Skandal. Und dann noch diese schreckliche Gendersprache …
Ja, aber was haben Sie denn dagegen? Es geht doch um Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.
Nein, das ist keine Gerechtigkeit, das ist Gaga! Sprache heißt Sprache, damit sie gesprochen werden kann. Diese ideologischen Sternchen und Binnen-I’s, und was es da alles gibt, sind Selbstmord für eine lebendige, sprechbare Sprache. Und selbst Gesetzestexte lesen sich ja inzwischen wie Realsatire. Das ist alles nur noch lächerlich, dem widme ich ja ganze Kapitel mit konkreten Beispielen und ermuntere: „Sie müssen das laut lesen!“ Es ist wirklich Loriot!
Aber dass Straßennamen zum Beispiel wegen Rassismus geändert werden, ist doch wohl geboten?
Dazu gehört aber ein bisschen Bildung (lacht). Paradebeispiel: der U-Bahnhof Mohrenstraße in Berlin, Umbenennung zu Glinkastraße. Da tauscht man den Mohr gegen einen Antisemiten aus! Dümmer geht’s nimmer. Ich beschreibe das ja am Beispiel „Onkel Toms Hütte“: Das Buch ist doch eine Heldensaga für die Abschaffung und nicht die Beibehaltung der Sklaverei. Mein älteres Buch „Rettet das Zigeunerschnitzel“ (Lübbe-Verlag) feiert ja gerade wieder eine Auferstehung, weil die Leute es offenbar leid sind, bei allem gleich zum Rassisten gestempelt zu werden. Ich zähle ja genug Beispiele auf, wie sich die Oberzensoren und Hypermoralisten geirrt haben.
Ist das typisch deutsch?
Ja, wir sind Weltmeister im Export von Moral. Ich schreibe ja auch über die „Klima-Religion“ und die Behördenwillkür beim Umweltschutz. Deutschland will überall Vorreiter und natürlich auch der Beste sein. Das sieht man aktuell an „Corona“ wieder. Das geht nach dem urdeutschen Motto: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Dass wir überhaupt noch Anerkennung in der Welt finden, ja geliebt werden, liegt doch am Geld, an sonst nichts. Ansonsten gehen wir dem Ausland eher auf die Nerven, wie ich es bei meinen Reisen immer wieder erlebe.
In der aktuellen Corona-Situation, nach dem Shutdown und dem momentanen Wiedereinstieg in eine gewisse Normalität, erleben wir viele Menschen, die den Medien und der Politik nicht mehr über den Weg trauen und Verschwörungen hinter der Pandemie vermuten. Gewiss denken sich viele: „Seid Ihr noch ganz bei Trost“? Was können – oder vielmehr – was wollen Sie diesen Menschen sagen?
Vorurteile werden erst abgebaut, wenn sie sich nicht dauernd bestätigen (lacht). Ja, wenn Politik in solch sensiblen Phasen mit falschen Zahlen agiert oder Medien sich für falsche Informationen entschuldigen müssen, dann wundern mich „Verschwörungstheorien“ nicht. Ich schreibe ja auch über Fluch und Segen des Internets. Hier zeigt sich das doch überdeutlich: Sie kommen über das Internet an eine breite Palette an Informationen und Meinungen, das ist gut. Dasselbe Medium eignet sich allerdings auch bestens für Hass, Lüge und Verschwörung. Also mein Rat: Vorsicht! Nicht alles, was sich als wahr ausgibt, für wahr halten.
Die Politik sieht die Gefahr, dass diese Menschen anfällig werden für rechtsgerichtete Strömungen. Müssen wir uns um unsere Demokratie Sorgen machen?
Ja, ich mache mir Sorgen, wenn zum Beispiel unsere Polizei in die Defensive gerät und von Spitzenpolitikern à la Frau Esken pauschal als rechtsextrem oder rassistisch diffamiert wird. Dann muss man sich nicht wundern, dass die Beamten immer mehr an Autorität verlieren und zum Gegenstand von Gewalt werden. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Gut geht allerdings auch nicht, „wenn alles, was rechts von Claudia Roth steht, gleich rechtsextrem oder Nazi ist“, wie ich in meinem Buch schreibe und näher ausführe. Was mich erschreckt, und das beschreibe ich ja ausführlich: Laut Umfragen aller Institute, wirklich aller, trauen sich rund drei Viertel der Deutschen nicht mehr, offen ihre Meinung zu sagen. Das ist ein Bankrott unserer Demokratie. Und es führt dazu, dass Menschen anfällig werden für Verschwörungstheorien. Dass unsere Regierenden darauf keine Antwort haben, beweist doch meine im Buch geäußerte These: Die leben in einer Parallelwelt und wissen gar nicht, was im wahren Leben abläuft.
Als engagierter Christ und fast zwei Jahrzehnte langes Mitglied des Rates der EKD, des obersten Leitungsgremiums der Evangelischen Kirche Deutschlands: Schmerzen Sie die extrem hohen Austrittszahlen? Passen sich die Kirchen zu sehr einem mutmaßlichen Zeitgeist an?
Ich bin ja bekannt für Klartext (schmunzelt) – mit einem Wort: ja! Ja, da ist mir zu viel Zeitgeist und zu wenig Heiliger Geist. Auch hier erweist sich meine These als richtig: Glaubensnotstand und Bildungsnotstand sind zwei Seiten derselben Medaille. Wenn Kirche sich verwechselbar macht und auf ihren Markenkern, ihre Kernkompetenz verzichtet, dann ist das schlichtweg dumm. Man denke nur an die Ideologisierung und Politisierung von Predigten. Was ich im Buch aufspieße und was noch vor Monaten verurteilt wurde, bestätigen inzwischen, nach Veröffentlichung der Austrittszahlen, selbst liberale Leute: Kirche hat zuviel im Angebot, was man woanders auch kriegen kann. Und billiger! Deshalb die Austritte.
Im Zuge der Corona-Pandemie kommen auf die Kirchen in Deutschland enorme Einnahmeverluste aus den Kirchensteuertöpfen zu. Große Veränderungen stehen ins Haus. Was raten Sie nun unseren Kirchenoberen?
Konzentration auf das Wesentliche! Seelsorge, Verkündigung und Wuchern mit dem einzigartigen, konkurrenzlosen Kapital, das Christen haben: Hoffnung über den Tod hinaus. Kirche darf nicht zur Polit-Sekte verkommen. Ich zitiere ja den WELT-Chefredakteur Ulf Poschard, der nach dem Besuch des Weihnachtsgottesdienstes twitterte, er hätte sich wie auf dem Parteitag der grünen Jugend gefühlt. Nein, Kirche muss Hoffnungsträger sein. Der Engel zu Bethlehem verkündete keine großen Probleme, sondern große Freude. Wir brauchen keine Angst- und Panikmacher, wir brauchen Mutmacher. Und Heiligen Geist. Der heißt in der Bibel: Trost. Auch deshalb der Buchtitel!
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