Frau Helm, wir wollen mit Ihnen über Ihre zwei neuen Hörbücher sprechen: Ursula Poznanskis „Vanitas“ und Jojo Moyes‘ „Nächte, in denen Sturm aufzieht“. Das eine ist ein Thriller über eine Frau, die Polizeispitzel war, sich aber aus der Polizeiarbeit zurückgezogen hat, um einen Blumenladen aufzumachen. Das andere ist die Geschichte einer Walschützerin, die für die Erhaltung eines Naturparadieses und gegen einen Investor kämpft. Warum hatten Sie Lust, diese beiden Hörbücher einzusprechen?
Bei „Vanitas“ liegt es zunächst einmal daran, dass ich das Thriller-Genre sehr gerne mag. Und als eher junge, weibliche Stimme kriege ich seltener Thriller-Hörbücher angeboten, weil diese doch häufig männliche Protagonisten haben. Das ist also eine willkommene Abwechslung. Und ich mag das Setting: Wien, Friedhof, Zeugenschutzprogramm, das klingt so schön morbide.
Von Jojo Moyes haben Sie mit Ihrer Stimme bereits mehrere Romane in Hörbücher verwandelt. Was reizte Sie an „Nächte, in denen Sturm aufzieht“?
Vor allem die australische Landschaft! Ich habe selbst viel Zeit in Australien verbracht, mit 17 habe ich dort mal eine TV-Serie gedreht, deshalb kenne und liebe ich die Natur und das Lebensgefühl dort und konnte mich vielleicht besonders gut in die Liebe zu diesem Küstenort hineinversetzen.
Carolin, die Hauptperson in „Vanitas“, war als weiblicher Polizeispitzel einer der brutalsten Frankfurter Banden auf der Spur. Offiziell hat sie ihren letzten Einsatz nicht überlebt …
Ja, sie hat nämlich in Wien in einer Friedhofsgärtnerei einen neuen Beruf, eine neue Identität und ein neues Leben bekommen. Doch gerade, als Carolin beginnt, sich ein klein wenig zu entspannen, holt sie ihr altes Leben wieder ein.
Wenn Sie sich für ein Hörbuch an eine Figur wie die Blumenhändlerin und Ex-Polizeispionin Carolin herantasten. Wie gehen Sie vor?
Ehrlich gesagt unterscheide ich meine Vorbereitung gar nicht so sehr nach Genre oder Figuren. Ich lese den Roman und versuche ein Gefühl für den Grundrhythmus des Buches zu bekommen. Der unterscheidet sich natürlich vom Thriller zur Romanze oder zum Drama. Beim Thriller geht es meist direkt sehr packend los, während sich z.B. ein Familienroman oft langsamer entfaltet. Bei der Figurengestaltung verlasse mich sehr auf meine Vorstellungskraft, und mir macht es vor allem in den Dialogen Spaß, die Charaktere intuitiv lebendig werden zu lassen.
Carolin ist eine komplexe Protagonistin. Sie ist paranoid, kennt sich aber unglaublich gut mit Blumen aus. Bedeuten Ihnen selbst Blumen etwas?
Ich mag Blumen generell sehr und überlege mir auch gerne, welcher Person ich welche Blumen schenke. Wenn ich mir selbst eine aussuchen müsste, dann wäre es die Schachbrettblume.
Auch in „Nächte, in denen Sturm aufzieht“ steht eine starke Frau im Mittelpunkt. Was ist Liza McCullen für ein Mensch?
Sie liebt ihre Tochter über alles, gleichzeitig ist sie ein sehr freiheitsliebender Mensch. Sie hat etwas Rastloses, Ungebändigtes an sich, das ich sehr mag.
Liza hat in dem kleinen Ort Silver Bay gemeinsam mit ihrer Tochter ein neues Zuhause gefunden. Aber dann wird die Idylle plötzlich bedroht …
Ein britischer Investor plant ein Luxushotel in Silver Bay zu bauen, verspricht Arbeitsplätze und einen wirtschaftlichen Aufschwung, von dem die ganze Gemeinde profitieren soll. Doch Liza sorgt sich um ihre geliebten Wale, die durch den kommerzialisierten Tourismus und die Bauarbeiten bedroht werden. Und sie hat auch ein ganz persönliches Geheimnis, das sie mit aller Kraft zu schützen versucht.
Mike Dormer ist zunächst mal ein beneidenswerter junger Mann …
Er ist erfolgreich im Job, hat eine attraktive Freundin; doch so richtig hat er seinen Lebensweg nie hinterfragt, und er stellt mehr und mehr fest, dass er eigentlich gar nicht weiß, wer er wirklich ist.
Aber dann durchläuft auch er eine Verwandlung?
Als er nach Australien nach Silver Bay kommt, und dort auf ein Umfeld trifft, in dem seine gewohnten Codes keine Bedeutung haben, fängt er an, sich auf Ort und Leute einzulassen, und so sich selbst – und Liza – langsam näher zu kommen.
Mit Ihrer einfühlsamen Stimme gelingt es Ihnen, Menschen in eine andere Welt zu zaubern. Empfinden Sie Ihre Stimme als eine Art Musikinstrument und Sprache als Musik?
Das Sprechen hat definitiv mit Musikalität zu tun, es geht viel um Rhythmus, Melodie, Interpretation. Und da ich meine Stimme als Werkzeug sehe, das ich sicher bewusster einsetzen kann als manch andere, könnte man das so beschreiben, ja. Leider spiele ich sonst aber kein Instrument.
Geben Sie auf Ihre Stimme besonders acht?
Da ich schon seit meinem fünften Lebensjahr als Synchronsprecherin arbeite, ist meine Stimme so geschult, dass ich auch nach zehn Tagen Berlinale mit vielen lauten Empfängen und verrauchten Partys nicht heiser bin. Ansonsten bleibe ich bei einer Erkältung im Bett und überlaste meine Stimme nicht, wenn sie angeschlagen ist. Vor einer Stimmband-OP hätte ich echt Schiss!
Die beiden Hörbücher sind acht bzw. neun Stunden lang. Wie lange brauchen Sie, um eines davon aufzunehmen?
Für gewöhnlich so um die fünf Tage.
Sind Sie nach einem Hörbuch-Tag platt?
Ja, schon oft. Dann freue ich mich auf einen Serienmarathon auf dem Sofa und gehe den Rest des Abends auch nicht mehr ans Telefon. Aber manchmal reicht die Kraft auch noch für ein Feierabendbier mit Freunden.
Verraten Sie uns bitte noch Ihr Hörbuch-Geheimnis?
Mein Geheimnis ist mein Hund Hermann. Der ist nämlich meistens mit mir in der Sprecherkabine. Er leistet mir Gesellschaft und macht auch (fast) keinen Mucks.