ISBN 978-3-8337-4360-3

€ 19,00

2 MP3-CDs, 1.221 Min

Mitten im Lockdown sieht sich Ann Kathrin Klaasen mit zwei nach Mafia-Art ermordeten Männern konfrontiert. Im Interview über „Ostfriesensturm“ spricht Klaus-Peter Wolf auch über das Drama seiner Kindheit.

Im Gespräch über sein Krimi-Hörbuch „Ostfriesensturm“ lässt sich Klaus-Peter Wolf in die Seele blicken

Titelbild Interview Ostfriesensturm

Herr Wolf, in Ihrem neuen Hörbuch-Krimi „Ostfriesensturm“ wird in einer Ferienwohnung auf Wangerooge eine Leiche gefunden, der man den Penis abgeschnitten und in den Mund gesteckt hat. Außerdem wird im Tierpark Rechtsupweg ein toter Nackter entdeckt, auch er mit seinem Geschlechtsteil im Mund. Hat Sie ein wahrer Fall zu diesen beiden drastischen Szenen inspiriert?

Meine Fälle erfinde ich ja immer, dafür stimmt alles andere. Als ich Birgits Tiergarten in Rechtsupweg besucht habe, war ich sehr begeistert. Das ist echt etwas für Familien. Und als ich bei den Stachelschweinen stand, kam mir die Idee, dort eine Leiche hinzulegen. Natürlich weiß ich, dass ich damit auch auf den Park aufmerksam mache und viele Familien, die Urlaub an der Küste machen, werden anschließend dorthin fahren und wahrscheinlich voller Grusel die Bank suchen, an der der Mord geschah.

Und wie ist es mit dem Toten auf Wangerooge?

Ähnlich. Ich habe ja versprochen, meine Leichen nur an die schönsten Plätze zu legen. Die Ferienwohnung mit Meerblick auf Wangerooge hat schon was … Diese Art der Tötung wird manchmal von organisierten Banden ausgeübt. Sie deutet an, dass jemand ein Verräter ist oder einen Verrat begehen wollte.

Es scheint, dass zumindest die eine der beiden Leichen eine Verbindung zu rechtsradikalen Kreisen hat …

Ja, meine Romane sind ja immer auch so etwas wie ein Röntgenbild der Gesellschaft. Was ist gerade los? Wie geht es den Menschen? Was treibt sie um? Und ich beobachte mit Erschrecken ein sich ausbreitendes rechtsradikales Gedankengut. Manchmal zeigt es sich ganz offen, dann wieder schleicht es sich kaum merklich ein. Ich möchte dafür sensibilisieren.

Die andere Leiche hat einen eher links-grünen Hintergrund. Das Verbindende ist wohl das abgeschnittene Geschlechtsorgan. Welche Hypothesen spielen die Ermittler um Ann Kathrin Klaasen und Frank Weller zum Mordmotiv durch?

Das verwirrt natürlich. Ein offen Rechtsradikaler und dann ein links-grüner Lehrer. Beide werden auf die gleiche Art und Weise getötet. Ganz so einfach und politisch scheint es also wohl nicht zu sein. Große Romane brauchen auch große Geheimnisse.

Ihre Ermittler denken auch in andere Richtungen.

Ja, meine Kommissare halten es auch für denkbar, dass eine feministische Gruppe hier Leute aus dem Weg räumt, die sich Frauen gegenüber mies verhalten haben. Dies ist aber nur eine These. Ich kenne viele Mordermittler, die so arbeiten. Sie stellen Thesen und Spekulationen auf und spielen dann durch, was wäre, wenn es so gewesen wäre. Mir als Autor gefällt das natürlich.

„Ostfriesensturm“ spielt zur Lockdown-Zeit. Auf Wangerooge kontrolliert die Polizei, ob noch Zweitwohnungsbesitzer verbotener Weise in ihren Ferienwohnungen sind. Wo und wie haben Sie die Lockdowns verbracht?

Meine Frau Bettina Göschl und ich waren in Ostfriesland. Es ist ein großes Privileg, im Lockdown im Weltnaturerbe zu wohnen. Wir haben selbst eine Ferienwohnung auf einer ostfriesischen Insel, durften dann aber nicht dorthin. Das war natürlich eine Steilvorlage für mich.

Das müssen Sie erklären.

In Ostfriesland wurden plötzlich ganz normale Bürger, sozusagen die Stützen unserer Gesellschaft, die im Ruhrgebiet oder in Hessen ihr Geld verdienen und in Ostfriesland eine Ferienwohnung haben, zu Illegalen. Sie wollten nicht zurück in ihre Hotspots, sondern hier am Meer bleiben. Immerhin zahlen sie ja auch Zweitwohnungssteuern.

Wie haben die Leute reagiert?

Einige haben ihre Autos versteckt, damit die Nummernschilder sie nicht verraten. Freunde und Nachbarn sind für sie einkaufen gegangen. Es herrschte schon auch eine aufgeheizte Stimmung. Das konnte ich mir als Kriminalschriftsteller nicht entgehen lassen.

Ihr Roman spielt in der ersten Pandemiewoche …

… als wir alle noch nicht wussten, wie das läuft und ob man es überhaupt ernst nehmen musste. Masken gab es noch nicht zu kaufen und Klopapier wurde knapp. Impfungen gab es ebenfalls noch nicht und ich war auch nicht mehr in der Lage, Desinfektionsmittel für die Hände zu bekommen.

 


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Wie ging es Ihnen während der langen Zeit mit wenigen menschlichen Kontakten?

Auch hier war ich sehr privilegiert, da ich beim Schreiben ja nicht das Gefühl habe, einsam zu sein, sondern ich verbringe die Zeit mit meinen Figuren. Es ist so, als erzählen meine Figuren mir die Geschichte und ich notiere nur, was sie mir sagen. Ostfriesland haben weder Bettina noch ich jemals zuvor so erlebt. Wo sonst Eis schleckende Touristen spazieren gingen, war es plötzlich menschenleer. Schafe eroberten das Gebiet zurück und gewaltige Vogelscharen. Es hatte etwas Paradiesisches und zugleich Angstmachendes.

In Ihrem Krimi-Hörbuch lassen Sie immer wieder Menschen zu Wort kommen, die auf die Corona-Maßnahmen der Regierung schimpfen oder den Staat insgesamt anzweifeln. Sie treffen dabei sehr genau den aggressiven Ton, der derzeit den gesellschaftlichen Diskurs prägt. Was denken Sie über Leute, die an der Existenz von Corona oder an den Grundfesten unserer Demokratie zweifeln?

Ich liebe ja Verschwörungstheorien – aber nur in Romanen. Ich verstehe aber schon, dass Menschen plötzlich begannen, an der Demokratie zu zweifeln. Unser Leben wurde ja auf eine Art und Weise eingeschränkt, wie wir sie noch nie erlebt haben. Plötzlich begannen Landräte, das Grundgesetz auszulegen oder teilweise für abgeschafft zu erklären. Mir wurde in der Zeit erst klar, wie fröhlich, frei und unbeschwert wir alle gelebt haben. Als ich zum ersten Mal mit einer Maske in die Sparkasse gegangen bin, hatte ich das Gefühl, gleich ruft einer die Polizei, weil sie glauben, es ist ein Überfall. In Wirklichkeit wurde ich aber nur gelobt, weil ich schon so umsichtig war, obwohl es noch keine Regelungen gab. Einige Politiker hielten zu Beginn ja auch das Tragen von Masken für wenig hilfreich.

Einige Figuren in Ihrem Krimi-Hörbuch haben ernsthafte Lebensprobleme, da geht es ans Eingemachte.

Der Roman „Ostfriesensturm“ ist mein persönlichstes Buch. Beim Einlesen des Hörbuchs musste ich manchmal Pausen machen, weil es mich sehr angefasst hat. Ich bin zurückgegangen in die Hölle meiner Kindheit und habe Kindheitserfahrungen im Roman verarbeitet. Der Sohn, Niklas, hat viel von mir. Auch ich habe meinem alkoholkranken Vater damals Antabus-Tabletten heimlich verabreicht. Das hat ihn regelmäßig ausgeknockt. Er ist manchmal auf allen Vieren zur Toilette gekrochen, so schlecht war ihm. Natürlich hatte ich Angst, dass alles herauskommt, mein Vater vielleicht sogar stirbt, meine Mutter ins Gefängnis kommt und ich dann ganz alleine bin … Ein Erziehungsheim stellte ich mir nicht gerade als kuscheligen Ort vor. Ich war sechs oder sieben, als das alles begann. Ich habe viele Jahre Therapie gebraucht, um damit fertigzuwerden.

Es gibt auch einige erotische Affären in Ihrem Hörbuch. Wie sehen Sie das: Ist eine außereheliche Affäre moralisch zu verurteilen?

Das sind die großen Themen der Weltliteratur: Krieg und Frieden, Leben und Tod, Liebe und Hass, Vertrauen und Verrat. Damit spiele ich in meinen Romanen. Ich werte das nicht moralisch, sondern ich erzähle es: Menschen in ihren Zwängen, mit ihren Sehnsüchten und Hoffnungen – und oft erleben wir auch ihr Scheitern.

Es gibt in „Ostfriesensturm“ mindestens drei Charaktere, die eine Persönlichkeitsstörung zu haben scheinen. Wie würden Sie die Psyche von Uwe Spix und Anke Reiter beschreiben?

Uwe Spix ist ein Frauenhasser, weil er sich ihnen unterlegen fühlt. Er hat Angst vor der Liebe, denn das hat oft sehr wehgetan. Jetzt versucht er, Frauen zu beherrschen. Er ist zu einem üblen Kerl geworden, dem es Spaß macht, Frauen zu erpressen und zu erniedrigen.

Und Anke Reiter?

Sie hat eine Angststörung und eine soziale Phobie. Sie hat Phasen, da fällt es ihr sehr schwer, auch nur die Wohnung zu verlassen und unter Menschen zu gehen. Sie ist froh, einen Mann zu haben, der sie versorgt. Ihre große Angst ist es daher, ihn zu verlieren. Und dann plötzlich scheint sie mit der Angststörung nicht mehr eine Außenseiterin der Gesellschaft zu sein, sondern zur Wissenden zu werden, die schon immer alles richtig gemacht hat. Sie, die Angst hatte, in ein Restaurant zu gehen und sich unter vielen Menschen im Theater, im Kino oder sonstwo nicht wohlgefühlt hat, ist nun in der Pandemie mit ihren Gefühlen ganz auf der Höhe der Zeit. Jetzt können ihre Therapeuten von ihr lernen …

Das alles ist brandaktuell. Auch Frank Weller, der im Lockdown Rotwein, Brennholz und Fisch hortet. Haben Sie zu Shutdown-Zeiten auch etwas gehamstert?

Oh ja, Bücher und Hörbücher! Ich habe die Zeit genutzt, um zu lesen und mir vorlesen zu lassen. Niemand, der Bücher oder Hörbücher hat, ist wirklich eingesperrt.

Sie waren während des Lockdowns in Ostfriesland. Was macht für Sie der Landstrich aus?

Ich mag die sehr bodenständigen Menschen. Hier wird aus allem Aufgeblasenen erst mal die Luft rausgelassen. Mir gefällt die Devise: Hauptsache, der Deich hält. Und in der Tat, was haben wir von der nächsten Steuer- oder Bildungsreform, wenn der Deich bricht und die Nordsee plötzlich bis Münster geht. Ich war heute am Deich spazieren. Es war kalt, aber ein blauer Himmel. Hunderte Wildgänse waren plötzlich da und haben einen irren Lärm gemacht. Es war wundervoll und gleichzeitig fast ein bisschen beängstigend. Ich bin hier so nah an den Naturgewalten, die Nähe zum Meer tut mir gut. Für die Nordwestzeitung und die Emder Zeitung schreibe ich Kolumnen, in denen ich genau der Frage auf der Spur bin: Was macht Ostfriesland eigentlich aus?

„Ostfriesensturm“ ist nach „Ostfriesenzorn“ Ihr 16. Ostfriesenkrimi. Mir kommt es so vor, als würden Ihre Geschichten immer noch besser – raffinierter konstruiert, facettenreicher, die Figuren und Orte noch treffsicherer beschrieben. Haben Sie auch das Gefühl, dass Sie mit jedem Krimi noch ein Stückchen mehr über das Schreiben wissen und das dann ausspielen können?

Herzlichen Dank! In der Tat habe ich inzwischen das Gefühl, mich „warmgeschrieben“ zu haben. Gerade, wenn ich im Studio bin und meine Romane als Hörbücher einlese, bekomme ich besonders guten Kontakt zu meinen Figuren. Hier spüre ich dann immer gleich, dass es weitergehen muss. Ich habe die Figuren im Laufe der Jahre immer besser kennengelernt (so ist das ja im realen Leben mit Freunden auch) und je tiefer unsere Freundschaft wird, umso mehr kann ich über sie erzählen. Ich führe sie an ihre größte Angst und sehe ihnen zu, wie sie ihrer größten Sehnsucht hinterherlaufen.
Auch die Verfilmung meiner Romane tut mir beim Schreiben gut, weil ich mit den Schauspielern über ihre Rollen diskutiere und auch die Meinung verschiedener Regisseure interessiert mich, wie sie meine Figuren sehen. Ich habe ja das Privileg, dass meine Hauptfigur Ann Kathrin Klaasen von drei großen Schauspielerinnen interpretiert wurde. Von Christiane Paul, Julia Jentsch und Picco von Groote. Welcher Autor hat das schon zu Lebzeiten?
Die Schauspielerinnen machen sich nicht einfach gegenseitig nach, sondern jede findet eine neue Facette von Ann Kathrin Klaasen, die ihr wichtig ist und die sie versucht herauszuarbeiten. Das geht natürlich nur, wenn Figuren facettenreich genug sind.

Wegen der Corona-Pandemie sind Ihnen vermutlich viele Lesungen ausgefallen. Kann das Hörbuch-Sprechen dafür ein kleiner Ersatz sein?

Ganz bestimmt. Viele Leserinnen und Leser berichten mir davon, dass sie, weil die Veranstaltungen ausgefallen sind, jetzt vermehrt Hörbücher hören. Das ist in meinem Fall für sie natürlich auch nah dran an einer öffentlichen Veranstaltung, denn ich lese die Hörbücher ja selber ein. Als „Ostfriesenhölle“ erschien und gerade im SPIEGEL auf Platz 1 war, hatten meine Frau Bettina Göschl und ich 64 literarisch-musikalische Krimiabende vor uns. Ausverkaufte Hallen. Die Pandemie hat alles gestoppt. Ich weiß jetzt, was für eine Rampensau ich wirklich bin. Ich habe den Kontakt zu meinen Fans sehr vermisst. Manchmal habe ich mich – im Sommer ging das ja – vor mein Lieblingscafé in die Sonne gesetzt und Kaffee getrunken. Es war die Zeit, als wieder einiges möglich war. Man trug zwar einen Mundschutz, ging aber schon wieder draußen flanieren. Schnell bildeten sich Schlangen und ich gab Autogramme und habe mit den Leuten Selfies gemacht.
Ja, ich habe es genossen! Warum auch nicht? Ich gestehe es mir zu: Ich brauche das, ich liebe das. Es motiviert mich beim Weiterschreiben.

Wie war die Arbeit im Hörbuchstudio in Hamburg?

Ich habe die Arbeit mit meinem Regisseur Ulrich Maske und dem Tontechniker, in diesem Fall war es Jonas Engelke, sehr genossen. Wir tauchen ja dann eine ganze Woche lang vollständig ab und beschäftigen uns nur mit den Charakteren des Buches. Nie komme ich meinen Figuren näher …

Viele Menschen hören zu Corona-Zeiten vermehrt Hörbücher. Sie auch?

Na klar. Beim Hörbuch hören und beim Lesen entstehen Abenteuer im Kopf.
Im Moment höre ich „Love – Alles, was du liebst“ von Roddy Doyle, gesprochen von Stephan Schad. Doyle hat den Roman The Commitments geschrieben. Ich habe ihn erst über die Verfilmung kennengelernt. Ich mochte den Film und irgendwie will man natürlich mehr von einem Autor, wenn man einmal etwas von ihm klasse findet.

Worauf freuen Sie sich, wenn Corona mal endlich vorbei ist?

Ich bin ja Schirmherr für ein Hospiz am Meer und sammle als Schirmherr natürlich viel Geld. Ich hatte da ganz originelle Ideen. Es gibt Golfbälle mit meinem Gesicht drauf, für alle, die mir schon immer mal richtig eine reinhauen wollten, außerdem hat der Fischer Verlag ein Buch mit meinen Kolumnen herausgebracht, ein Buch, das man nicht kaufen kann, sondern nur erhält, wenn man eine Spende für den Hospizbau macht. Ich war so glücklich bei der Grundsteinlegung und dann beim Richtfest. Aber das alles fand natürlich unter Coronabedingungen statt. Kein Freudenfest, sondern viel Abstand und alles draußen in Wind und Kälte.

Im Sommer werden wir eröffnen und die ersten Gäste haben. Ich hoffe, dass bis dahin alles vorbei ist und wir die Eröffnung gebührend feiern können. Ein Hospiz ist nicht einfach ein Gebäude, es ist eine Einstellung den Menschen und dem Leben gegenüber.
Und wenn ich dann endlich wieder auf Tournee gehen kann, am liebsten zusammen mit meiner Frau Bettina, die wieder Krimilieder singt und wir können literarisch-musikalische Krimiabende mit den Fans gestalten – Mensch, was wäre ich glücklich! Hauptsache, wir überleben das alles und wissen danach, wie schön es ist, Freiheiten und das Leben zu genießen.


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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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