Frau Winnemuth, öfter mal was Neues – könnte das eines Ihrer Lebensmottos sein?
Klar. Aber sollte das nicht Jedermanns Lebensmotto sein?
Ursprünglich Lebensnotwendiges wird heute als hippes Großstädter*innenhobby inszeniert. Wie sehen Sie das?
Sie meinen Ackerbau, Viehzucht, Spinnen, Weben, Sauerkraut fermentieren? Das kann man so sehen, wenn man gemein ist. Ich glaube allerdings, dass es ein echtes Bedürfnis gibt, in einer zunehmend digitalisierten Welt voller „bullshit jobs“, die für den Fortbestand der Menschheit absolut überlüssig sind, die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen. Das geht über puren Zeitvertreib hinaus, es gibt eine echte Sehnsucht, nicht nur ein winziges Rädchen in einem Spiel zu sein, das keiner mehr versteht.
Und da wir schon mal dabei sind: Stichwort Entschleunigung – was ist der wahre Sinn des Gärtnerns?
Hilft zumindest dabei. Gärtnern ist eine Übung in Geduld. Was ich heute säe, wird erst in fünf Monaten ein Kohlrabi oder in fünf Jahren ein Baum. Und beschleunigen lässt sich im Garten gar nichts. Der alte Spruch „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“ ist nicht zufällig hier geboren worden.
Sie sprechen von Reduktion und „Abrüstung an allen Fronten“. Was meinen Sie damit?
Ich bin keine Minimalistin, sondern Essentialistin. Es geht darum herauszufinden, was man wirklich braucht und was einen wirklich froh macht – und sich vom großen Rest zu verabschieden. Ebenso wie die vielzitierte Aufräumpäpstin Marie Kondo empfiehlt, jedes einzelne Ding, das man besitzt, in die Hand zu nehmen und zu schauen, ob es einen noch glücklich macht, kann man sich alle Aspekte des eigenen Lebens vornehmen. Das Ergebnis hat überhaupt nichts mit klösterlicher Entsagung zu tun, im Gegenteil. Mich machen zum Beispiel gebundene Bücher und teurer Wein froh, die für andere möglicherweise extrem verzichtbar wären.
Und was tritt an die Stelle des Aufgegebenen?
Innerer Reichtum, Freiheit, das Gefühl, Herr über das eigene Leben zu sein.
Worüber haben Sie am meisten gestaunt?
Wie lange eine Karotte braucht, um vom Samen zu was Essbarem zu werden. Dass Kartoffeln Blüten haben. Und dass Maiglöckchen im Herbst rote Beeren tragen. Haben Sie sich je gefragt, was ein Maiglöckchen so im September treibt?
Und worüber haben Sie sich wirklich geärgert?
Dass die Rapsglanzkäfer meinen Brokkoli kurz vor der Ernte niedergemacht haben. Dieses Jahr decke ich alle Kohlarten mit Netzen ab. Sieht blöd aus, aber anders geht es nicht.
Gibt es etwas, das Sie besonders gerne ernten?
Alles, was man direkt am Beet essen kann. Erdbeeren, Erbsen, Radieschen, Tomaten. Pflücken und ab in den Mund damit – köstlich.
Wie geht es dem Tibet-Scheinmohn?
Wenn ich das wüsste! Er verweigert die Zusammenarbeit mit mir. Wann immer ich versuche, diese schönste aller blauen Blumen zu ziehen, stirbt sie mir unter den Händen weg. Ich versuche es nicht persönlich zu nehmen.
Es liegt noch ein halbes Gartenjahr vor uns. Haben Sie Pläne?
Ja. Nach einem Jahr auf Knien und Beackern der eigenen Scholle möchte ich die nächsten Jahre wieder ein bisschen mehr in der Zivilisation mitmischen. Ich habe mich freiwillig für das Schöffenamt gemeldet und werde als Laienrichterin am Landgericht Hamburg tätig werden. Wie Sie anfangs so schön sagten: öfter mal was Neues.
Der Inhalt von Meike Winnemuths Buch „Bin im Garten“ in Kürze
Ein Häuschen an der Ostsee, nicht weit vom Meer. Ein Garten, der an den Waldrand reicht – Liebe auf den ersten Blick. Und so beginnt das Abenteuer von Meike Winnemuth, die nach einem Jahr auf Weltreise eine Heimat sucht. Ein Jahr auf der eigenen Scholle, das ist der Plan. Nicht mehr und nicht weniger. Mit Tempo und Witz erzählt sie in ihrem Tagebuch vom großen Wachsen (Muskel-kater) und Werden (plötzlich: geduldig!). Von Radieschen und Schnecken, Rittersporn und anderen blauen Wundern.