Die Geschichte eines Sommers, der alles verändert
„Hard Land“, Benedict Wells‘ fünftes literarisches Werk, ist ein Coming-of-Age-Roman, der im Jahr 1985 in der Kleinstadt Grady im Mittelwesten Amerikas spielt und die Geschichte eines lebensverändernden Sommers erzählt. Der introvertierte 15-jährige Sam sieht sich mit einem der schönsten und einem der schwierigsten Ereignisse seines Lebens konfrontiert. Direkt im ersten Satz, der eine bewusste Abwandlung von Charles Simmons erstem Satz aus „Salzwasser“ darstellt, erfahren wir: „In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“
„Hard Land“ ist eine Ode an die Popkultur der 80er Jahre
Die Kulisse vor der „Hard Land“ spielt, ist die Popkultur der amerikanischen 80er-Jahre, und dies war auch die Motivation des Autors für seinen Roman: seine Sehnsucht nach dieser Epoche. Mit viel Liebe zum Detail entwirft Benedict Wells eine nostalgische Szenerie, in der man sich schnell beheimatet fühlt. Das etwas in die Jahre gekommene Metropolis-Kino etwa bildet mit seinen Plakaten von Filmklassikern, dem uralten Kronleuchter und dem Geruch nach Öl, Zucker und Staub den Schauplatz von Sams erstem Ferienjob, in dem Filme wie „Zurück in die Zukunft“ anlaufen und er seine neue Freundesclique kennenlernt. Musikalisch untermalt wird der Roman u.a. von Bruce Springsteen und Billy Idol. Durch Benedict Wells‘ schnörkellosen und gleichzeitig tiefgründigen und nahbaren Erzählstil entwirft er hier eine Geschichte, die man klar vor seinem inneren Auge auftauchen sieht, die man hören, ja sogar schmecken und riechen, aber vor allem fühlen kann.
Die 49 Geheimnisse von Grady und ein fiktiver Gedichtband
Überraschend und raffiniert eingeflochten in die Geschichte ist ein fiktiver Gedichtband, der wie auch das Buch selbst „Hard Land“ heißt und 49 Kapitel (diese Anzahl hat auch der Roman) über die 49 Geheimnisse von Grady beinhaltet. Die Thematik des Erwachsenwerdens wird so auf vertiefte Weise behandelt, denn begleitend zur Haupthandlung fließen immer wieder Ausschnitte des Gedichtbandes mit ein, sind Gesprächsthema zwischen den Charakteren und bieten ihnen eine reflexive Stütze. Am Ende ist hier auch im größten und letzten Geheimnis die Pointe versteckt.
Eine gekonnte Inszenierung authentischer Gefühlswelten
Die Figuren der Geschichte sind charakterlich umfassend dargestellt, so dass es viele Anknüpfungspunkte zur Identifikation für den Leser gibt. Sie beleuchten unterschiedliche Aspekte der Jugend, des Suchens und Findens der eigenen Identität und von Themen wie der ersten Begegnung mit dem Tod und der Vergänglichkeit des Lebens. Hier bewegt sich Benedict Wells wie bereits in „Vom Ende der Einsamkeit“ auf einem Terrain, in dem er sich zu Hause fühlt. In „Hard Land“ stehen vor allem folgende Figuren im Vordergrund: der selbstsichere und homosexuelle Cameron, der sich den hohen Erwartungen seiner Eltern und gesellschaftlichen Vorurteilen stellen muss. Außerdem Hightower, der zwar seine Zukunft klar vor Augen hat, aber mit einer schwierigen Vergangenheit ringt und schließlich Kirstie, das schöne Mädchen mit der Zahnlücke, das Sam beschreibt als „der Inbegriff von süßsalzigem Popcorn“, die sich vor allem zwischen den Anteilen ihres eigenen Selbst zurechtfinden muss.
Benedict Wells erzählt gekonnt von Angst, Wut, Talent und Ohnmacht
Doch die emotional interessantesten Beziehungen spielen sich zwischen Sam und seinen Eltern, der krebskranken Mutter und dem emotional abwesenden Vater ab. Denn während er die für die Jugend typischen Erfahrungen, wie den ersten Kuss und das erste Bier, genießt, sind da in ihm auch Gefühle wie Angst, Wut und Ohnmacht; und die fordern ihren Platz ein. Dank seines großen Talents, Gefühlswelten authentisch zu inszenieren, gelingt es Benedict Wells, Sams Ambivalenz so echt zu umschreiben, dass es einen zwischen den Seiten schier selbst zerreißt.
Mal lacht man mit Benedict Wells‘ Held, mal hofft und trauert man mit ihm
Sam ist ein Protagonist, den man gerne auf seiner Reise begleitet. Man lacht mal mit und mal über ihn, hofft und trauert, freut sich für und mit ihm, aber vor allem versteht man ihn. Denn jeder gelangt früher oder später an diese Wegkreuzung, an der eines Tages die Kindheit endet und dieses große, ungewisse Erwachsenenleben beginnt. Wir stellen uns Fragen, auf die wir hoffen, irgendwann Antworten zu finden und auf einmal ohne, dass wir es wirklich gemerkt haben, ist diese Zeit wieder vorbei und dann erinnern wir uns nur noch mit gemischten Gefühlen daran zurück.
Welches Gefühl hinterlässt die Lektüre von Benedict Wells‘ „Hard Land“?
Die Jugend zeigt uns wie durch ein Brennglas, wie das Leben wirklich ist – unglaublich schön und unglaublich schmerzhaft. Kirstie fasst dieses emotionale Konglomerat in einer Wortneuschöpfung sehr treffend zusammen – „Euphancholie“ sagt sie, ist die Mischung aus Euphorie und Melancholie, empfunden im selben Moment. Und genauso fühlt es sich auch an, wenn man den Roman von Benedict Wells zu Ende gelesen hat – man ist ein wenig schwermütig, aber dabei auch sehr glücklich.
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