
Barack Obama empfiehlt Ann Napolitanos Roman „Hallo, du Schöne“
Ann Napolitanos Roman „Hallo, du Schöne“ steht auf der Leseliste von Barack Obama und wird von Oprah Winfrey empfohlen. Außerdem hat er ein wunderschönes Cover und wird von allerlei renommierten Zeitungen und Zeitschriften gefeiert. Natürlich startet man in die Lektüre eines derart mit Vorschusslorbeeren gekrönten Buchs mit einer hohen Erwartungshaltung. Die Frage ist: Hält der Roman, was seine Lobrednerinnen und Lobredner versprechen?
Die Padavanos sind eine amerikanische Familie, die man mögen muss
Im Zentrum der Geschichte steht eine amerikanische Familie, die man einfach mögen muss. Die Padavanos – vier Schwestern, ein Vater und eine Mutter – leben in Chicago und halten zusammen wie Pech und Schwefel. Dabei sind die Schwestern durchaus sehr unterschiedlich. Was sie jedoch verbindet, ist die Überzeugung, dass Familie alles ist und dass es sich lohnt, mit aller Anstrengung dafür zu sorgen, dass es auch so bleibt.
Die Leidenschaft des lieblos aufgewachsenen William gilt dem Basketball
Doch als der Vater stirbt, verschiebt sich das Gleichgewicht erstmals. Und als Julia William heiratet, kippt die familiäre Balance. Julia will, dass William Geschichtsprofessor wird. Allerdings stellt sich nach und nach heraus, dass dieser Beruf ihm nicht liegt. Williams Leidenschaft ist der Basketballsport. Und so entwickelt sich die Beziehung zwischen den beiden unrund: William kann Julias Erwartungen nicht erfüllen. Hinzukommt, dass er aus einem lieblosen Elternhaus stammt und mit dem überbordenden Gefühlsleben der Padavanos nicht so recht umzugehen weiß.
Eine Ehe geht in die Brüche und eine große Lüge entzweit die Familie
Als ihre gemeinsame Tochter Alice geboren wird, geht Julias und Williams Ehe in die Brüche und Julia zieht Hals über Kopf von Chicago nach New York. Die vier Padavano-Schwestern, die man für unzertrennlich hielt, werden auseinandergerissen. Julia baut sich in New York ein neues Leben auf und wird erfolgreiche Unternehmerin. Als ihre Tochter alt genug ist, sagt sie ihr, dass ihr Vater tot sei. Es ist eine Lüge mit Folgen.
Ann Napolitanos mehrperspektivisches Erzählen funktioniert
Ann Napolitano erzählt das Schicksal der Familie Kapitel für Kapitel aus der Perspektive jeweils eines anderen Familienmitglieds. Diese Erzählweise ist organisch und funktioniert gut. Die Autorin gewährt auf diese Weise tiefe Einblicke in die DNA einer US-amerikanischen Familie. Außerdem erfährt man – wegen Williams Leidenschaft für Basketball – viel über diesen interessanten Sport. Ann Napolitano konstruiert ihre Figuren so schlüssig, dass man sie im Laufe der Lektüre alle sehr gut kennen und verstehen lernt. Mit großem analytischem Geschickt dröselt sie die Psychologie dieser Familie auf.
„Hallo, du Schöne“ hat die Qualität eines Psychologie-Seminars
Dennoch wartet und hofft man bis zur letzten Seite, der Funken der Lesebegeisterung möge überspringen. Bei mir ist dies nicht passiert. Mir fehlte von Anfang an eine Vorstellung davon, wohin Ann Napolitano mit mir will. Ein guter Erzähler bzw. eine gute Erzählerin nimmt einen auf den ersten Seiten an die Hand und führt einen dann zielsicher durch den ganzen Roman. Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt an die Hand genommen gefühlt. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum ich das alles lesen soll. Ich fühlte mich wie in einem psychologischen Seminar, in dem anhand einer Beispielfamilie analysiert wird, wie familiäre Dinge schief laufen oder glücken können. Das ist interessant, reißt aber nicht mit.
Es fehlt eine Figur, deren Sehnen man als Leser teilen kann
Die Lektüre von Ann Napolitanos Werk hat in mir keine guten Gefühle hervorgerufen. Ich habe mit keiner einzigen Figur mitgefiebert, weil ich nicht wusste, was ihr Wunsch ist und wonach sie strebt. Dies ist es, was „Hallo, du Schöne“ fehlt: eine Figur, deren Sehnen und Gefühle man als Leser teilen kann. Und so nimmt einen dieses Buch nie in sich auf, sondern man bleibt stets nur als Beobachter außen vor. Diese Beobachterposition genügt für ein Psychologie-Seminar, aber nicht für ein erfüllendes Leseerlebnis. Es ist mir ein Rätsel, was Barack Obama und Oprah Winfrey in dieses Buch hineingelesen haben.