zornige-soehne Nicola Foerg

ISBN 978-3-492-06415-6

336 Seiten

€ 17,00

Ein junger Mann wird erschossen. Sein Vater war Autor eines umstrittenen Romans über die Boomer. Nicola Förgs Krimi „Zornige Söhne“ ist brandaktuell. Ein Interview!

Nicola Förg im Interview über die heutige Diskussionskultur, YouTube-Battles und ihren Krimi „Zornige Söhne“

zornige-soehne interview

Frau Förg, „Zornige Söhne“ ist ein Krimi-Jubiläum: Es ist der 15. Fall für Irmi Mangold, was ist das Erfolgsgeheimnis?

Ja, es sind wirklich schon 15 Bücher! Eigentlich schier unglaublich und ich bin sehr glücklich – und demütig –, dass eine Serie auf einem so hohen Niveau so lange laufen darf. Beliebte Serien brauchen meiner Ansicht nach zwei Dinge: Hauptfiguren, die authentisch sind, die sich entwickeln und mit deren Freuden und Sorgen man mitfühlen will. Und zum anderen brauchen sie mit jedem Buch eine Story, die neue und spannende Facetten zeigt. Es ist ja fad, dasselbe Buch mehr oder minder fünfzehnmal zu schreiben. Vor allem aber fad, es fünfzehnmal zu lesen und die Leser*innen spüren Authentizität und Passion in den Geschichten sehr wohl.

Wissen Sie noch, worauf es Ihnen damals, beim ersten Irmi-Krimi bei der Konzeption dieser Figur ankam?

Als Irmi 2009 auf die kriminalistische Bühne trat, war mir auf jeden Fall wichtig, dass sie eine Frau ist, die anders wie in vielen TV-Formaten weder drogenabhängig, noch alkoholsüchtig oder sonstwie psycho ist. Sie stammt auch nicht aus dem Ausland oder dem Norden Deutschlands und stolpert ergo dauernd platt in dumme Situationen, weil sie die Mentalität und den Humor der neuen Heimat nicht versteht. Irmi kennt „ihre“ Werdenfelser durchaus, auch wenn man aus der Gegend stammt, darf man kritisch denken können, denn ich wollte auch wirklich keine Klamauk-Ermittlerin erschaffen! Irmi ist eine Frau, die im Kern optimistisch ist, klar und bodenständig, auch mitfühlend, aber auch sie hadert mal mit dem Leben. Mit ihrem mundfaulen Bruder, ihrer Kollegin, die wie eine Gewitterfront auftritt, mit tragischen menschlichen Schicksalen in ihren Fällen und sie hadert auch mal wie viele Frauen mit ihrem Gewicht, ihrem Aussehen und ihrer Art zu ermitteln. Echte Menschen haben Zweifel …

Hat sich die Irmi im Laufe der Jahre verändert?

Natürlich, Irmi wurde 15 Jahre älter! Sie hat mit 50 begonnen, nun ist sie 65. Sie weiß – denn sie ist Pragmatikerin –, dass das Hausbankerl auf einer Seite immer kürzer wird. Und natürlich blickt man da auf das eigene Älterwerden und mehr auf den Zustand der Welt! Mit 25 liegt dir die Welt zu Füßen, alles ist möglich, mit 65 ist vieles eben nicht mehr möglich. Und sie muss über ihre Pensionierung nachdenken, auch darüber, was sie dann tun wird. Sie ist ja nicht der Typ, der sein Heil bisher in Reisen oder Yoga Retreats fand, sie kocht ungern und macht keinen Sport. Da ist die Rente ein Stück weit auch bedrohlich, wenn der Job so lange Jahre das Leben regiert hat. Privat hatte sie ja lange eine Beziehung auf Distanz mit einem verheirateten Mann geführt, ist jetzt aber seit einigen Jahren mit dem Spurensicherer Fridtjof Hase verbandelt. Ein intellektueller Typ, eine Art wandelndes Lexikon, ein Mann, der auch ab und zu die Frage aufwirft, ob sie als Landei ihm überhaupt gerecht wird. Auch ohne zusammen zu wohnen, ist er dennoch ihr Hafen; und was ihrem Leben auch eine neue Basis der Zuneigung gibt, ist die Tatsache, dass ihre Freundin Louise, eine kernige Niederbayerin, auf Irmis Hof eingezogen ist. Louise nennt das Alte-Mädels-WG.

In „Zornige Söhne“ geht es nicht um Umweltschutz oder Tierthemen – wie oft in Ihren Büchern. Der Roman hat aber eine brandaktuelle gesellschaftspolitische Dimension.

In der Tat. Zu Beginn wird ein junger Mann in einem Garten am Staffelsee erschossen. Wurde er Opfer einer Diebesbande, die knappe Baustoffe stiehlt? In der Mordnacht hielt er nämlich auf der Baustelle seiner Tante Wache. Weil er aber das Hoody der Mutter trug, gibt es die Spekulation, der Schuss könnte womöglich seiner Mutter gegolten haben, einer engagierten Lehrerin.

Und diese Lehrerin gerät ins Kreuzfeuer?

Ja, denn leider ist das heute gang und gäbe, dass Lehrer keine Respektspersonen mehr sind. Sie erhalten per E-Mail oder WhatsApp auch offene Drohungen von Eltern, wenn die Bewertungen der Kinder nicht nach Wunsch ausfallen. Ich hatte während der Recherche Kontakt zu einigen Lehrer*innen und ich war nahe dran, komplett vom Glauben abzufallen, was da geschrieben wird. Mal abgesehen von der Orthografie und einer markanten das-dass-Schwäche, ist es schier unglaublich, was da für Mails eintreffen, mit welcher Chuzpe man Lehrer*innen attackiert, offen bedroht und Forderungen stellt. Hausaufgaben werden mit elterlicher Erlaubnis nicht gemacht, weil Mama den Sinn nicht sieht. Kinder sollen drei Tage vor den Ferien beurlaubt werden, weil man doch bis Argentinien fliegen muss. Schule als Wunschkonzert, die zudem auch noch erziehen soll, weil das die Eltern daheim komplett ablehnen.

Was ist für Sie – im Hinblick auf solche Auseinandersetzungen – das Besondere an der Diskussionskultur der heutigen Zeit?

Wenn es nur eine gäbe! Diskussionen heute sind sehr schnell polemisch und überemotional. Ganz schlimm wird es natürlich, wenn man anonym oder durch krude Nicknames geschützt, Verbalinjurien ganz weit unter der Gürtellinie auf Social Media platziert. Ich vermisse diejenigen mehr und mehr, die den Arsch in der Hose haben ihre Meinung sauber zu vertreten. Aber statt auf Argumente zu setzen, setzt man auf Lautstärke. Früher gab es eine These, eine Antithese, man hat fundiert argumentiert, fand am Ende eine Synthese oder behielt die eigene Meinung bei, aber doch mit Respekt vor Andersdenkenden. Ich finde es in heutigen Auseinandersetzungen beklemmend und es macht mir Angst, dass niemand mehr Quellen für sein Behauptungen angeben kann oder seine vermeidlichen Quellen zumindest überprüft. Und da stehen noch reale Schreiber dahinter, aber es kursieren auch schon absurde KI generierte Traktate, deren Wahrheitsgehalt erst recht nicht überprüfbar ist. Aber man wirft das völlig unreflektiert in den Ring. Wo ist das Hirn hin? Wo die Empathie verschütt? Wo der Respekt geblieben?

In Ihrem Krimi findet ein fiktives, hoch brisanter YouTube-Battle zwischen dem Toten und seinem Vater statt. Ein Mordmotiv?

Durchaus: Irmi spekuliert, dass der wütende verbale Schlagabtausch im Internet zwischen dem Toten und seinem Vater in der realen Welt eskaliert sein könnte. Sie befürchtet, dass es mehr ist als „nur“ ein YouTube-Battle. Beide Männer schenken sich nichts, da ist neben Sprach-Esprit sehr viel Hass. Und auch die Follower versprühen Hass. Irmi wäre aber nicht jene Irmi, die so gut hinhören und hinfühlen kann, wenn sie nicht spürte, dass die Motive noch anderswo liegen: in der komplizierten Vergangenheit der Familie, einem dichten Geflecht von Schuld und Verantwortung, Liebe und Verlust, Arroganz und Eitelkeit.

Dieses besagte Battle jagt die Generation der Babyboomer auf die Generation Z. Können die Boomer und die Gen Z überhaupt einen gemeinsamen Nenner finden?

Gute Frage, die Positionen sind verhärtet. Die junge Generation übt Kritik an den Boomern, „Ok Boomer“ wurde zum Internet Phänomen. Die Jungen prangern an, dass die Boomer verschwenderisch nur aufs Materielle gesehen haben und eine reine Hedonisten-Generation waren, die schuld sind, dass Ressourcen mutwillig verschwendet wurden und werden, die sich nun am Bequemen festhalten. Und umgekehrt werfen die Boomer den Nachkommen vor, dass sie leicht von einem hohen Ross herunter lamentieren können, die Eltern haben ihnen ja auch eine starke mentale und materielle Basis geschaffen. Da ist schnell von der Wokeness die Rede und von der Faulheit, die diese Gen Z als Work Life Balance verkauft. Das Thema ist facettenreich, es polarisiert – ist mörderisch.

Sie sind auch Anfang dieser 60er Jahre geboren …

Ja, und ich als Boomerin hab viel gelesen, viel diskutiert und am Ende bleibe ich an einem hängen: Der Wunsch nach der Work-Life-Balance mag legitim sein, aber es hört sich oft so an, als wäre allein die Freizeit lebenswert, während die Arbeit nur dem Gelderwerb dient. Aber muss man nicht eine Passion für das haben, was man so viele Stunden im Leben tut? Ohne Leidenschaft für die Arbeit hätten wir doch nicht die Erfinder, die Künstler, die kleinen Mittelständler, die Hausärzte – alles Menschen, die viel mehr als achtunddreißig Stunden in der Woche arbeiten. Wir steuern in einen volkswirtschaftlichen Gau, wenn alle nur noch drei Tage arbeiten wollen und alle drei Jahre ein Sabbatical planen. Oder wenn alle remote an irgendeinem beach worken wollen. Denn eins ist klar: Als wir Boomer studiert hatten, war das Wort „Akademikerschwemme“ brüllend laut, es gab immer zu viele von uns. Du musstest besser, schneller, leiser und billiger sein als deine Mitbewerber, vor allem als Freiberuflerin. Wo heute händeringend Leute gesucht werden, stellt man als Berufseinsteiger leichter Forderungen. Und ein letztes: Wir liefen so mit, unsere Eltern gaben eher dem Lehrer, dem Pfarrer, dem Nachbarkind Recht. Die Gen Z wurde gepimpert. Es ist gut, seinen Kindern Selbstvertrauen und Support mitzugeben, aber von so einer Basis aus strotzt man eben auch nur so vor Selbstwertgefühl.

Dieses Jahr werden die 1964er Jahrgänge sechzig. Muss uns das Angst machen?

Ja, natürlich. Dass sind allein 1,3 Millionen Menschen. Aber all diese Boomer-Jahrgänge gehörten zu den geburtenstärksten in Deutschland, die 1964er sind der stärkste Jahrgang ever. Die fetteste Beule in der Geburtenpyramide, die sich allmählich nach oben schiebt. Wie bei einer Anakonda, die ein etwas zu großes Beutetier verschlungen hat. Wie soll das funktionieren, wenn die alle in Rente gehen wollen? Es wird nicht funktionieren, heute schon müssen Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, zur Tafel, weil ihre Rente eher ein Almosen ist.

Und da setzt auch Ihr Roman an, Irmi Mangold liest selbst ein „Buch im Buch“. Was ist das für eine Lektüre, es klingt nach Science-Fiction?

Besagter Vater des Toten ist der Autor des Romans „Boomer oder etwas Besseres als den Tod findest du überall“, der als Weltbesteller gerade hohe Wellen schlägt. Auch Irmi liest das Buch gerade und schwankt zwischen Faszination und Abscheu. Denn es beschreibt ein Szenario 2032, in dem sterbewilligen Senioren ein assistierter Suizid in einem Suicidal Camp angeboten wird. Vor dem Abgang steht eine Woche in einem Luxusberghotel. Ob das Science-Fiction ist, mag jede/r selbst entscheiden. Es wird unweigerlich eine Zeit kommen, in der sozial-verträgliches Sterben höchst erwünscht sein wird. Wie gesagt: Diese Flut an Rentnern werden wir nicht ernähren können. Einige werden arbeiten, bis sie umfallen, andere werden sterben, weil Medikamente zum Luxus für einige wenige Hyperreiche mutieren werden. Und etliche, die zäh an ihrem Leben hängen, müssen weg …

Was macht diese Lektüre mit Ihrer Kommissarin? Wie sieht sie auf ihre Rente oder löst sie demnächst den 16. Fall?

Sie ist Beamtin, mit einer lückenlosen Erwerbsbiographie. Sie wohnt in einer schuldenfreien Immobilie, ist mehrheitlich gesund. Sie merkt, dass sie eine Art seltenes Luxusgewächs ist. Als Ermittlungsbeamtin hätte sie – jetzt 65 – schon mit 62 in Rente gehen können. In „Zornige Söhne“ kommt es am Ende zu einem dramatischen Showdown, der Irmi Klarheit bringt. Ja, sie geht in Pension, was aber nicht unbedingt heißt, dass sie ihre Nase nicht weiter in den Morast stecken wird. Sie ist dann nicht mehr in den Zwängen und Strukturen der Polizei gefangen, man darf also gespannt sein auf 2025.

ISBN 978-3-492-06415-6

336 Seiten

€ 17,00

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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