Frau Nachtmann, wir haben mit Begeisterung Ihr Hörbuch „Böses Licht“ angehört. Sie verleihen der Erzählerin und den einzelnen Figuren verschiedene Stimmen. Machen Sie das spontan im Studio oder legen Sie bereits vorher fest, welche Figur welche Stimme bekommt?
In der Vorbereitung des Buches bekomme ich einen Eindruck von den Figuren und erschaffe innerlich ein Bild von ihnen. Meistens habe ich dann auch schon eine Idee zu der jeweiligen Klangfarbe. Wirklich festlegen tue ich mich aber erst im Tonstudio. Da spüre ich dann, was der besagte Charakter meiner Meinung nach tatsächlich braucht, um glaubhaft rüber zu kommen.
Passiert es Ihnen manchmal, dass Sie beim Sprechen mit den Stimmen durcheinanderkommen?
Um das zu vermeiden, schreibe ich beim Vorbereiten des Textes vor jeden Satz, der in der direkten Rede geschrieben ist, den Namen oder Anfangsbuchstaben der Person die gerade spricht. So behalte ich den Überblick. Mit den Stimmen selber komme ich selten durcheinander. Es gibt aber manchmal Stimmfarben, die sehr nah beieinander liegen. Bei einem Dialog kommt es dann umso mehr auf die Haltung der Figur an, um sie von ihrem Gegenüber zu unterscheiden.
„Böses Licht“ ist nach „Stille blutet“ bereits der zweite Thriller von Ursula Poznanski, den Sie eingesprochen haben. Was mögen Sie an Poznanskis Krimis?
Was ich an dieser Reihe von Ursula Poznanski besonders mag, ist eine mysteriöse Figur, die uns als Leser oder Hörer direkt anspricht. Die deutlich mehr weiß, als wir oder die Figuren in der Geschichte und die uns zu Mittätern macht. Sie begeht nämlich im Zuge des jeweiligen Hauptfalles, um den es in den Geschichten geht, einen Trittbrett-Mord, der zunächst dem Täter der anderen Morde zugeschrieben wird. Das Besondere dabei ist, dass wir diesem Mord beiwohnen müssen und somit mehr wissen als die Ermittler. Die ominöse Gestalt wird über die ersten beiden Teile dieser Reihe nicht aufgelöst. Umso mehr ist man am Rätseln, wer das sein könnte. Ich bin schon sehr gespannt auf Teil 3 und hoffe, dass wir dann endlich „erlöst“ werden!
In „Böses Licht“ wird bei einer blutigen Theateraufführung am Wiener Burgtheater plötzlich eine echte Leiche auf der Bühne entdeckt. Wer ist der Tote?
Ulrich Schreiber, ein Garderobier, der schon seit Jahrzehnten am Burgtheater arbeitet. Er hat sein Theater und die Schauspieler, die er Abend für Abend betreut hat, über alles geliebt und war, laut der meisten Mitarbeiter*innen, der netteste Mensch, den man sich vorstellen kann. Warum er sterben musste und warum ausgerechnet während einer Vorstellung vor den Augen Hunderter Zuschauer, gilt es herauszufinden.
Die junge Fina Plank von der Mordgruppe 2 in Wien übernimmt die Ermittlungen. Was ist Fina für ein Mensch?
Fina ist eine kluge junge Ermittlerin, die es nicht ganz leicht hat in ihrer Wiener „Mordgruppe“. Sie ist die einzige Frau in dem fünfköpfigen Team und muss sich vor allem von einem Kollegen ständig Witze auf ihre Kosten gefallen lassen. Doch in „Böses Licht“ bekommt sie endlich ein wirksames verbales „Gegenmittel“ zugespielt.
An Finas Seite arbeitet Ahmed. Wie ist das Verhältnis der beiden zueinander?
Ahmed ist einer, mit dem sich Fina super versteht. Sie arbeiten sehr gut zusammen und genießen jeweils das volle Vertrauen der/des anderen. Es bleibt aber nicht bei der einen Leiche. Nein, natürlich nicht. Es müssen noch weitere Menschen sterben. Aber wie gesagt, nicht alle gehen auf das Konto des Burgtheater-Mörders.
Sie selbst haben neben anderen Theatern auch am Hamburger Schauspielhaus gespielt. Ist so ein Mord auf der Bühne realistisch?
Also abgesehen davon, dass ich einen echten Mord auf der Bühne während einer laufenden Vorstellung bitte nie erleben möchte, wäre sowas durchaus möglich, klar. Es gibt in einem Theater viele Gänge und dunkle Ecken, wo man sich verstecken kann. Auch die Unterbühne wäre ein idealer Ort für ein Verbrechen. Die spielt auch in „Böses Licht“ eine Rolle. Man merkt, dass Ursula Poznanski weiß, wovon sie spricht, wenn sie das Theater, die Gegebenheiten dort und auch die Proben mit Schauspielern und Regisseur beschreibt. Dem einen oder der anderen mag der Umgang des Teams am Theater vielleicht etwas übertrieben vorkommen, aber ganz ehrlich: Ich habe das im Laufe der Jahre alles schon so oder so ähnlich erlebt.
Der berühmte Schauspieler Jasper Freysam spielt in „Böses Licht“ eine wichtige Rolle. Haben Sie beim Lesen an einen bestimmten Schauspieler gedacht, um ihn sich vorzustellen?
Nein, das nicht. Aber an die Summe einer ganzen Reihe von Schauspielern, die mir am Theater oder am Set durchaus immer wieder begegnet sind. Sehr von sich überzeugt. Nur um sich selbst kreisend. Null Empathie und nahezu keinerlei Hemmungen.
Die Geschichte spielt in Wien. Was bedeutet Ihnen die Stadt?
Oh, Wien ist toll! Ich war schon einige Male sowohl beruflich als auch privat dort und war jedes Mal begeistert. Von der Geschichte, den Gebäuden, den Traditionen, dem Kulinarischen, der Schönheit. Vor über zehn Jahren hatte ich mit einer „Faust 1“-Inszenierung des Deutschen Schauspielhauses Hamburg ein Gastspiel am Burgtheater. Ich war Gretchen. Das war ein sehr besonderer Abend für mich.
Haben Sie eine bestimmte Angewohnheit beim Hörbuchsprechen – etwas, das Ihnen dabei wichtig ist, z.B. ein bestimmtes Essen oder Trinken?
Ich lutsche vor jeder Aufnahme Ipalat. Trinke während der Aufnahme sehr viel Wasser und schwöre auf Bananen in den Pausen.
Ist das Hörbuchsprechen anstrengend?
Ja, das ist es. Man muss über Stunden höchste Konzentration und Disziplin aufbringen. Wenn ich nach sechs Stunden im Tonstudio nach Hause fahre, bin ich wirklich kaputt und dankbar für jedes Wort, das ich NICHT mehr sprechen muss.
Und was machen Sie jetzt?
Momentan bereite ich mich auf die nächste Aufnahme und eine Lesung vor.