Herr Jensen, gleich im zweiten Kapitel des neuen Oxen-Bands „Pilgrim“ wird ein Kajak-Fahrer auf ziemlich professionelle Weise getötet. Was hat es mit diesem Mord, der wie ein Unfall aussieht, auf sich?
Es ist auf jeden Fall ein professioneller Mord … Ihre Frage ist nicht einfach zu beantworten, ohne zu viel zu verraten. Was ich aber sagen kann: Der Mord wird dem Leser vielleicht zunächst etwas mysteriös erscheinen – doch im Laufe der Geschichte klärt sich das auf.
Das Ganze ereignet sich in der Schweiz. In welcher Verbindung steht Ihre Hauptfigur, der Ex-Elitesoldat Oxen zu diesem Mord?
Oh, ich glaube, ich sollte nicht zu viel erklären, sonst riskieren wir zu spoilern. Wissen Sie, ich liebe es, die Dinge für die Leser*innen ein bisschen mysteriös und verwirrend zu machen … Aber man kann sagen, dass „Pilgrim“ zwei Haupterzählstränge hat: Der eine ist die Jagd nach einem Mörder. Diese Jagd wird nach und nach mit dem Vorfall in der Schweiz in Verbindung gebracht.
Für diejenigen unserer Leser, die Oxen noch nicht kennen: Wenn Sie Ihre Hauptfigur in drei Sätzen beschreiben müssten, was würden Sie sagen?
Niels Oxen ist in erster Linie ein Vater, er ist ehrlich und vertrauenswürdig und ein Mann mit großem Gewissen. Er ist ehemaliger Elitesoldat und leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Nach und nach beginnt der dänische Geheimdienst, ihn für schwierige Aufgaben einzusetzen.
Warum heißt der neue Oxen-Band „Pilgrim“?
Auf den Titel bin ich gekommen, als ich darüber nachdachte, wie ich die Oxen-Geschichte fortsetzen könnte – und wie ich Oxen wieder gesund machen könnte, nachdem „Noctis“ damit endete, dass Oxen schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Und schnell wurde mir klar, dass „Pilgrim“ einer meiner besten und passendsten Buchtitel überhaupt sein würde.
Hat der Titel mehrere Bedeutungen?
Ja, zum einen den moralischen Aspekt: Nachdem er in „Noctis“ unschuldige Menschen getötet hat, fühlt sich Oxen sehr schuldig und kämpft mit seinem schlechten Gewissen. Wie die Pilger in alten Zeiten ist er unterwegs, um seine Sünden zu sühnen.
Und was wäre der andere Aspekt?
Der physische: Der Titel bezieht sich auch auf Oxens Genesung. Er begibt sich auf Wanderschaft. Das tägliche Gehen lindert seine Schmerzen sowohl geistig als auch körperlich. Diese einfache Art, in der Natur zu reisen, hat etwas Heilendes. Und nach und nach – nachdem er Hunderte und Aberhunderte von Kilometern gelaufen ist – kann Oxen mit sich selbst und dem, was er getan hat, seinen Frieden machen.
Es gelingt ihm sogar, sich zu verwandeln …
Ja, vom Krieger und Soldaten zum Menschen und Vater für seinen 15-jährigen Sohn. Als er die alte dänische Mauer im norddeutschen Dannevirke erreicht, wird ihm klar, dass es jetzt an der Zeit ist, nach Hause zu gehen und sein normales Leben fortzusetzen.
Ihre andere Hauptfigur, Margrethe Franck, muss auf dem karibischen St. Thomas – einer der Amerikanischen Jungferninseln – eine Finanzexpertin namens Beate Bjerre bewachen, die gegen dänische Steuerhinterzieher ermittelt …
Der Steuerfall ist der andere Handlungsstrang in „Pilgrim“ – neben der Jagd auf den Mörder. Margrethe Francks ehemaliger Chef im dänischen Geheimdienst, Axel Mossman, hat sich bereit erklärt, den dänischen Steuerbehörden zu helfen. Er hat einen Deal mit anonymen Quellen in Panama ausgehandelt, die bereit sind, geheime Steuerinformationen über dänische Bürger zu verkaufen, die ihr Vermögen verstecken. Um die Informationen zu prüfen und die Vereinbarung zu erfüllen, schickt Mossman Margrethe Franck auf die Insel St. Thomas. Aber die Aktion geht nicht gut aus.
„Pilgrim“ ist bereits der sechste Oxen-Band. Die Geschichten der einzelnen Bände greifen stark ineinander. Hatten Sie, als Sie mit Band 1 begannen, bereits Band 6 im Kopf oder wie bekommen Sie dieses Ineinandergreifen hin? Wie behalten Sie den Überblick über all die Figuren und Erzählstränge?
Ja, „Pilgrim“ ist Band 6 – in einer Zeitspanne von zwölf Jahren. Als ich mit Band 1 begann, dachte ich darüber nach, eine Trilogie zu schreiben. Ursprünglich war das erste Buch „Das erste Opfer“ als Stand-alone-Geschichte gedacht, aber ich merkte, dass die Handlung zu komplex und viel zu umfangreich war, um sie in nur einem Buch zu beenden. Also ging ich während des Schreibens von Nummer 1 ein Risiko ein – und beschloss, dass die ersten drei Bücher eine lange, zusammenhängende Geschichte über den Danehof sein sollten – die geheime, mächtige Organisation, die in der dänischen Gesellschaft versteckt ist.
Aber?
Als ich das beschloss, hatte ich keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte oder ob es überhaupt möglich sein würde. Dann kam „Lupus“ – Band 4 – und eine wirklich eigenständige Geschichte – und als nächstes Nummer 5, „Noctis“, der nicht wirklich mit „Pilgrim“ zusammenhängt – und doch … denn ein Teil von „Pilgrim“ hat mit „Noctis“ zu tun – also sind sie in gewisser Weise alle miteinander verwoben.
Bitte verraten Sie uns noch etwas darüber, wie Sie die Handlung für die Oxen-Reihe geplant haben.
Was man vielleicht spürt: Ich habe nichts genau von Anfang an geplant. Irgendwie scheine ich mich immer weiter vorwärts zu arbeiten – inspiriert von den Ereignissen im jeweils letzten Band. Ich denke, diese Arbeitsweise erleichtert es mir, die vielen Erzählfäden zusammenzuhalten. Und nicht zuletzt: Es fällt auf diese Weise leichter, die Hauptcharaktere glaubwürdig weiterzuentwickeln. Also … man kann sagen, dass ich Buch für Buch mein Bestes gebe, Oxen überzeugend weiterzuentwickeln, ihn mit Rückschlägen und Erfolgserlebnisse zu konfrontieren; dies nicht zuletzt auch in Bezug auf seinen Sohn …
Haben Sie eine bestimmte Uhrzeit, zu der Sie gerne schreiben? Gibt es eine Atmosphäre, die Ihnen dabei hilft, jeden Tag ein Stück guten Thrillers zu schreiben?
Als ich vor 25 Jahren mit dem Schreiben begann, wartete ich gerne bis nach Mitternacht, um in die richtige Stimmung zu kommen. Und ich habe beim Schreiben immer Musik gehört. Heute, da ich eine Familie habe – zwei Jungs im Alter von zwölf und 14 Jahren – funktioniert das nicht mehr. Ich fange morgens an zu schreiben, ich war schon immer sehr diszipliniert, also ist das kein Problem. Und heute mag ich es ganz ruhig. Ich könnte nicht mehr schreiben, wenn ich Musik höre.
Fällt Ihnen das Schreiben leicht oder ist es harte Arbeit?
Es fällt mir leicht. Und es macht mir auch nach 25 Jahren als Schriftsteller immer noch Spaß. Die harte Arbeit ist es, eine glaubwürdige Geschichte zu konstruieren, deren Handlung so komplex und voller Intrigen ist, dass sie hoffentlich das Niveau der anderen Oxen-Bände hält.
Oxen verbringt in „Pilgrim“ viel Zeit mit seinem 15-jährigen Sohn und zeigt dabei eine sehr menschliche Seite. Kommt Oxens Vaterschaft noch eine Funktion im Plot zu? Gibt es da eine Verbindung zu Ihrer eigenen Biographie?
Oxens Vaterschaft hat sich zu dem Motor entwickelt, der ihn am Laufen hält, der ihn dazu bringt, nach der besten Version seiner selbst zu suchen. In den ersten drei Büchern war er meist von seinem Sohn getrennt – weil er krank war. Danach kam ein Wendepunkt – und in „Pilgrim“ erleben wir Vater und Sohn zum ersten Mal in ausgewogener Weise zusammen. Das Pilgern ermöglicht es Oxen, seine Sünden zu sühnen, zu wachsen und zu lernen, wieder ein Vater zu sein. Also ja, die Vaterschaft hat durchaus eine Funktion in der Geschichte. Meine Söhne sind für mich das Wertvollste auf der Welt. Und das lässt mich verstehen, wie wichtig der Sohn für Oxen ist – und wie weit er gehen wird, um der bestmögliche Vater zu sein.