Frau Bluhm liest „Wolkenjahre“: 2 von 5 Blu(h)men
Zu viele Charaktere, die dadurch zwangsläufig oberflächlich bleiben
Weniger ist mehr. Das ist das erste was mir einfiel, nachdem ich „Wolkenjahre“ aus der Hand legte. Das Buch ist auf 380 Seiten in 86 einzelne Kapitel unterteilt, deren Handlungen sich über 64 Jahre erstrecken und von unfassbaren 22 Protagonisten bestritten werden, die auf 3 verschiedenen Kontinenten agieren. Die Kapitel sind dabei zwangsläufig kurz und springen von Protagonist zu Protagonist. Selbstredend bleibt dabei kaum Zeit in die Tiefe zu gehen und so bleiben alle Charaktere dieses Buches oberflächlich und nichtssagend.
Das Thema des Romans „Wolkenjahre“ ist interessant und wichtig
Schade eigentlich, denn das Thema, welches sich Eva-Maria Bast für ihr Familienepos gewählt hat, könnte interessanter nicht sein: Den Ursprung nimmt dieser Roman in der Zeit des ersten Weltkrieges. „Wolkenjahre“ ist dabei das vierte Buch ihrer Reihe, und bezieht sich auf die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 60er. Außerdem eingebaut: Eine Gegenwartsebene von 2014 – Nachfahren der im Buch vorkommenden Personen treffen sich wegen eines bei Ebay ersteigerten Tagebuchs, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Wie gesagt: Von der Idee her nicht schlecht, doch an der Umsetzung hat sich die Autorin meiner Meinung nach einen Bruch gehoben.
Für eine Entwicklung der Figuren bleibt zu wenig Raum
Wie oben schon erwähnt: die vielen Protagonisten. Vom Stasi-Spitzel über Wolfskinder bis hin zu Soldaten mit posttraumatischer Angststörung und Apartheid-Opfern … alle sind sie vertreten. Dabei sind alle Charaktere vom Prinzip her gut angelegt, alle bringen ihre eigene Geschichte und ihre eigene Biographie mit, nur hat wegen ihrer Vielzahl der einzelne keine Chance im Gedächtnis hängen zu bleiben. Zwangsläufig laufen einem da als Autorin die Seiten nur so davon, für eine persönliche Entwicklung der Figuren bleibt da einfach kein Platz. Das ist ein Jammer, denn die Ideen von Eva-Maria Bast sind gut. Gerade die Zeit des Mauerbaus hat sie sehr schön verdeutlicht.
Die Dialoge sind sprachlich nicht authentisch
Ein weiterer Minuspunkt ist die sprachliche Verarbeitung. Dialoge, die Eva-Maria Bast ihren Protagonisten in den Mund legt, erscheinen manchmal wie Szenen aus dem viktorianischen England, dann wieder wie Gesprächsfetzen, die genauso gut auf dem College-Campus gehört werden könnten. Das macht die Zeitzone, in der sie ihr Buch ansetzt, alles andere als authentisch.
Das Flüchtlingspolitik nicht erst ein Thema der Neuzeit ist, wird gut deutlich
Beim Lesen merkt man, dass sich hier viel mit dem Thema Politik und der nachhaltigen Auswirkung auf die Zukunft eines Landes beschäftigt wurde. Ganz klar zu erlesen, was mir als Leserin von der Autorin nahegebracht werden sollte: Wir Deutschen sind in unserer Kultur und Politik ganz eindeutig noch geprägt von Umständen, die in unserer Vergangenheit stattgefunden haben. Außerhalb von Fußballweltmeisterschaften und dem Grand Prix ist es mit dem Nationalstolz nicht weit her. Eva-Maria Bast erläutert diese Nachwirkungen des Traumas einer ganzen Nation in ihrem Buch sehr schön. Beim Lesen wurde mir mal wieder ins Gedächtnis geholt, dass „Flüchtlingspolitik“ nicht erst ein Thema der Neuzeit ist, sondern eine Sache, mit der sich Deutschland seit mehr als hundert Jahren auseinandersetzt. Das hat die Autorin schön gelöst.
Als Anstoß, sich einem geschichtlichen Thema zu widmen, gut geeignet
Mein Fazit: „Wolkenjahre“ ist zweifellos ein Buch zu einem wichtigen Thema. Wer sich für die Geschichte Deutschlands interessiert, ist hier für die ersten Schwimmversuche gut aufgehoben. So kann „Wolkenjahre“ ein gutes Sprungbrett dafür sein, in einen der vielen geschichtlichen Abschnitte einzutauchen und sich selbst vertiefende Informationen über eine immens wichtige Epoche anzueignen.