Frau Blum’s Plädoyer für das Vorlesen und dreimal 5 von 5 Blu(h)men
Bücher können zaubern – ich finde das fantastisch
„Ein Buch soll die Axt sein, für das gefrorene Meer in uns.“ Dieses Zitat von Stefan Zweig ist eines meiner liebsten Zitate über Bücher. Nicht nur, weil es so unglaublich wahr ist, sondern gerade, weil es so universell ist. Es gibt für jeden Menschen das richtige Buch für die richtige Zeit, dessen bin ich mir absolut sicher. Das ist es, was Bücher für mich so faszinierend macht: Was den einen anspricht, muss noch lange nicht für den nächsten gelten, und das Buch, das mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert und seine Hände aus den Seiten streckt, um mich mit seiner Geschichte zu fesseln, löst bei meinem Gegenüber vielleicht nur Langeweile aus. Doch eines haben alle Bücher dieser Welt gemeinsam: Sie wurden geschrieben, um beim Leser Gefühle auszulösen.
Wer selbst Bücher liebt, kann auch Kinder dafür begeistern
Doch wie man auch nicht über Nacht zum Cineasten, oder Experten für Vogelkunde wird, so wird man auch nicht als leidenschaftliche(r) Leser*in geboren. Für die kleinsten Leser*innen braucht es ein erwachsenes Vorbild, das sie in die literarische Welt einführen will. Ich betone das Wort „will“, denn ohne eigene Leidenschaft für das geschriebene Wort wird man auch seinen Kindern keine Passion für Bücher vermitteln können.
Kinder lieben es, die immergleichen Geschichten zu hören – gut so!
Aber wer kennt das nicht: Ein langer Arbeitstag, man selbst hat den Kopf voller Erwachsenendinge und eigentlich gar keinen Nerv mehr, das gleiche Buch zum hundertsten Mal vorzulesen, um dem kindlichen Anspruch nach Wiederholung gerecht zu werden. Doch liebe Eltern, genau das ist es, was die Kinder brauchen: Die Wiederholung der bekannten Texte gibt ihnen durch den Ritualcharakter Sicherheit. Viel mehr noch entsteht dieses Geborgenheitsgefühl dadurch, dass ein lieber Mensch sich diese zehn Minuten am Tag Zeit dafür nimmt, gemeinsam mit einer Nachwuchsleseratte in die Welt der Wörter einzutauchen.
Es die Gefühle, die uns durch die Bücher tragen
Gefühle sind das A und O in der literarischen Welt der Kinder. Wundervoll, dass es ganz viele Autoren gibt, die es schaffen, die Kinder da abzuholen, wo sie stehen und deren direkte Erfahrungswelt in die Bücher einzubeziehen. Kommen dann noch eine ansprechende, bunte Gestaltung und ein lustiger Text dazu, dann liest man selbst als Erwachsener das Buch gerne immer und immer wieder.
Lou Carters und Deborah Allwrights “Kein Drache weit und breit“
Ein perfektes Beispiel dafür, ist der Drache, der unbedingt Teil einer anderen Geschichte sein will, als immer in derselben festzuhängen. Der Held von Lou Carters und Deborah Allwrights „Kein Drache weit und breit“ hat es satt, immer wieder Prinzessinnen in Türme einzusperren und sich von Rittern mit dem Schwert piksen zu lassen. Also möchte er sich einer anderen Geschichte anschließen. Doch weder Hänsel und Gretel, noch Rotkäppchen, und auch kein anderer der Bewohner des Märchenlandes hat Platz für einen Drachen in seiner Geschichte. Klar, dass das den Drachen traurig zurücklässt. Doch dann bekommt er unverhofft die Möglichkeit, sich als Held seiner eigenen Geschichte zu beweisen. Welches Kind könnte man damit nicht ansprechen? Davon ganz abgesehen, dass sich auch jeder Erwachsene hin und wieder fehl am Platze fühlt. Über Lou Carter
„Der Grolltroll“ von Aprilkind und Barbara van den Speulhof
Apropos Gefühle: Wut ist ein großes Thema für alle Eltern auf der ganzen Welt. Wenn aus dem Kleinstkind erst mal das Kindergartenkind mit dem neuen Lieblingswort „nein!“ geworden ist, wird guter Rat oft teuer. Hier schafft der „Grolltroll“, ausgedacht von Aprilkind und Barbara van den Speulhof, und illustriert von Stephan Pricken, Abhilfe: Der kleine, wütende Troll wohnt hinter dem Wald, ein paar Schritte geradeaus, einmal linksherum und zweimal rechtsherum mit seinen Freunden. Eigentlich ist es ein schönes, friedliches Miteinander, doch dann erlebt der kleine Troll einen Tag, an dem einfach alles schief geht. Ein Hüttenbauprojekt erweist sich als Reinfall, kein Apfel fällt vom Baum, so sehr er auch schüttelt und überhaupt geht einfach alles schief, an diesem Tag. Der Troll wird zum richtigen Grolltroll und lässt seine schlechte Laune an seinen Freunden aus. Doch als die Wut über Nacht abkühlt, fürchtet der Troll seine Freunde vergrätzt zu haben und sucht einen Weg sich zu entschuldigen. „Der Grolltroll“ ist ein wundervolles Buch über die eigenen Gefühle und darüber, dass nichts so richtig schlimm ist, wenn man nur dafür geradesteht.
Paris und Amy Krouse Rosenthals „Für mein Mädchen“
Ein absolut emotionales Highlight haben mir auch die Autorinnen Amy Krouse Rosenthal und Paris Rosenthal mit „Für mein Mädchen“ beschert. Auf 40 wunderschön illustrierten Seiten verfassten sie eine Liebeserklärung an alle Mädchen dieser Welt. Eine Aufforderung stark zu sein, schwach sein zu dürfen, den eigenen Kopf und das Herz nie zu vergessen, aber offen zu sein, für die harte Welt, in die man irgendwann selbstständig gehen möchte. Ich habe keine Tochter, bin aber selbst eine und ich muss sagen, da ist dem Team ein Meisterwerk gelungen, das alle Väter, Mütter, Großmütter und vor allem Töchter berühren wird, denen es jemals vergönnt ist, dieses Buch in Händen zu halten; oder noch viel besser: vom Adressaten die Liebeserklärung vorgelesen zu bekommen.
Was ein Buch kann, das kann kein Tablet und kein Smartphone
Denn das genau ist es, was den Welttag des Buches so bedeutend macht: ihn als Anlass zu nehmen, sich genau darauf zu besinnen, was wir unseren Kindern durch das Vorlesen von Büchern mit auf den Lebensweg geben. Diese Momente der innigen Vertrautheit sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen und wenn man sie verpasst hat, kommen sie nie wieder zurück. Die Beziehung, die notwendig ist, um die Inhalte der Bücher für Kinder zu übersetzen, kann weder von einem Fernsehgerät, noch von Tablets oder Smartphones geleistet werden.