Herr Spellmeier, kann man sagen, dass Ihr Roman „Sonnenkönig, Pechrabe“ eine Art queeres „Bridgerton“ ist?
Absolut. Mein damaliger Arbeitstitel war „Bridgerton but gay“. Ich habe mich in das historische Setting der Serie verliebt, wollte aber mehr über queeres Leben zu der Zeit erfahren. Und daraus entstand der Roman.
Das heißt, auch bei Ihnen gibt es Bälle, Affären, Intrigen und jede Menge schöner Kostüme?
Das alles und noch viel mehr. Neben den üblichen Ballszenen und den dazugehörigen Dramen gibt es dazu noch eine Reihe von Diebstählen, die aufzuklären sind … und dann gibt’s noch einen Erpressungsversuch, denn jemand hat Wind bekommen von einer für die damalige Zeit skandalöse Affäre zwischen zwei Männern.
Ihre Hauptfigur ist Edward Arden, der Männer liebt.
Edward wusste schon seit der Kindheit, dass ihm Jungen mehr gefallen als Mädchen, und als Erwachsener möchte er sich nicht verstellen, trotz der Gefahr, die damit einhergeht. In vielen historischen Büchern und Filmen über die Zeit wird es oft so dargestellt, als wäre es unmöglich, als schwuler Mann ein erfülltes Leben zu führen. Mit Edward und den anderen Figuren wollte ich aufzeigen, dass es auch anders geht. Meine Figuren lieben, leiden, leben, wie alle anderen eben auch.
Ihr Roman spielt im London des 19. Jahrhunderts. Was bedeutete es zu jener Zeit schwul zu sein?
Anders als im heutigen Großbritannien – und auch in Deutschland – gab es damals keine Gesetze, die queere Menschen schützten. Im Gegenteil, es gab (Todes-)Strafen, wenn man erwischt wurde. Das Skurrile ist, dem ist in vielen Teilen der Welt auch heute noch so. In dieser Situation befindet sich Edward, und trotzdem hat er sich ein Leben aufgebaut, auf das er stolz ist, mit einer selbstgewählten Familie, die ihn akzeptiert, wie er ist.
Wie haben Sie solche spannenden Details über die Epoche herausgefunden? Wo haben Sie recherchiert?
Ich habe unglaublich viel gelesen, sowohl Romane als auch Sachbücher. Manche der Texte und Dokumente stammten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, was die Recherche unglaublich spannend macht. Dann wiederum musste ich herausfinden, wann eigentlich Türklinken und Klospülungen erfunden wurden. Letztendlich habe ich extrem viel über queere Geschichte gelernt.
Ist also alles wahr, was Sie schreiben?
Ha, wie definiert man „wahr“? Meine Hauptfiguren sind alle erfunden, aber was manche Nebenfiguren angeht, habe ich mir doch einiges ausgeliehen. Viele der Schauplätze existieren heute noch. Sogenannte Molly Houses, also Treffpunkte, an denen schwule Männer zusammentrafen, gab es wirklich. Und trans* und nicht-binäre Menschen haben zu der Zeit selbstverständlich existiert. Mir ging es vor allem darum, dieser queeren Lebensrealität in einem anderen Zeitalter gerecht zu werden, aber am Ende ist und bleibt es ein Liebesroman – und der darf und soll romantisiert werden.
Edward wird von Lord Frederick Francis Melville verdächtigt, wertvolle Perlen gestohlen zu haben. Das bringt ihn in Schwierigkeiten …
Das bringt die zwei Männer vor allem näher, was ihnen anfangs so gar nicht passt, weil sie sich nicht ausstehen können – und während sie sich gemeinsam auf die Suche nach den wahren Dieben machen, müssen sie zugeben, dass es zwischen ihnen funkt.
Wird es eine Liebe?
Und was für eine. Aber diese zuzulassen fällt vor allem Freddy schwer. Er ist der älteste Sohn einer Adelsfamilie und wenn jemand herausfindet, dass er sich in einen anderen Mann verliebt hat, bringt ihn das nicht nur selbst in Gefahr, es könnte auch das Ansehen seiner Familie ruinieren. Er muss sich die Frage stellen, ob es wert ist, alles für Edward zu riskieren.
Was hat es mit dem Titel „Sonnenkönig, Pechrabe“ auf sich?
Selbstverständlich gibt’s im Roman einen Maskenball, und der Titel spielt auf die jeweiligen Kostüme der beiden Hauptfiguren an. Allerdings ist er auch bezeichnend für die Persönlichkeiten der beiden: Edward, der charmant und lebensfroh ist, und damit den griesgrämigen Freddy aus seinem Schneckenhaus lockt.
Gibt es am Ende ein Happyend?
Die große Frage! Und natürlich verrate ich nichts. Allerdings bekomme ich immer wieder Nachrichten und starke Reaktionen zum Ende des Romans, so viel soll gesagt sein.
Haben Sie Ihren Roman so konzipiert, dass er zu einer Serie ausgeweitet werden kann?
Mein Ziel war es, dass der Roman für sich alleinstehen kann, und gleichzeitig bleibt manches offen. Die Bücher, die mir selbst immer am besten in Erinnerung bleiben, sind solche, bei denen mir nicht alle Fragen beantwortet wurden, bei denen Geheimnisse ungelöst bleiben. Unmöglich ist eine Erweiterung dieser Welt nicht, vielleicht aber mit anderen Hauptfiguren.
Sie sind nicht nur Schriftsteller, sondern gründeten auch den queeren Buchclub „Das Pinke Sofa“. Wie wählen Sie die Bücher aus, die Sie hier vorstellen?
Uns war es wichtig, im Buchclub und Podcast gezielt deutsche queere Stimmen zu unterstützen, und dadurch queeren Autor*innen eine Plattform zu geben. Das war schwieriger als gedacht, vor allem, mit dem Anspruch, mehr als nur weiße schwule Bücher zu lesen. Besonders vielfältig ist die Buchindustrie nicht. Trotzdem haben wir versucht, so viele Genres und Erfahrungen wie möglich abzudecken.
Hat sich die queere Literaturszene in den vergangenen Jahren verändert?
Ein wenig. Durch den wirtschaftlichen Erfolg von Autor*innen wie Alice Oseman oder Douglas Stewart, erkennt die Industrie, dass mit queeren Geschichten auch ordentlich Geld gemacht werden kann, um es mal flapsig auszudrücken. Dabei will ich nicht bestreiten, dass vielen Menschen im Verlagswesen die Vielfalt unserer Gesellschaft durchaus am Herzen liegt. Doch mit wachsender Sichtbarkeit kommt auch mehr Widerstand – wie transfeindlicher Hass in sozialen Medien oder das Verbot von queeren Büchern, grade in den USA. Es ist und bleibt keine Selbstverständlichkeit, dass queere Bücher veröffentlicht werden.
Was machen Sie heute noch?
Heute wird weitergeschrieben, wieder an einer queeren Liebesgeschichte. Dieses Mal befinden wir uns jedoch nicht im London von vor 200 Jahren, sondern in der Gegenwart, wo zwei Teenager sich ihre Gefühle füreinander eingestehen müssen. Es bleibt also romantisch.