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Geben Computer gute Buchtipps? Kolumnist Jörg Steinleitner fragte Siri aus dem iPhone. Im Gespräch kam ein Verdacht auf.

Wie ich Siri aus dem iPhone um Buchtipps bat und mich dabei ein schlimmer Verdacht beschlich

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Siri könne praktisch jede Frage beantworten, behauptet mein Nerd-Freund

Mein Freund Dave glaubt an die Intelligenz von Computern. Siri aus dem iPhone sei ein gutes Beispiel. Dave findet es faszinierend, was Siri alles weiß. Sie könne praktisch jede Frage beantworten, erzählte er mir kürzlich. Das machte mich hellhörig. Und ich wollte es gerne ausprobieren.

Siri, was soll ich lesen?

Eine der Fragen, die mich am meisten beschäftigen, ist die, welches Buch ich als nächstes lesen soll. Also lieh ich mir Helenas Handy aus und fragte Siri: „Siri, was soll ich lesen?“
Prompt kam Siris Antwort: „Ok, ich hab das hier gefunden.“ So schnell geht das also, staunte ich. Sie hatte den Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „Lesen“ gefunden. Das war nicht ganz das, was ich mir erwartet hatte. Also fragte ich: „Hast du einen Buchtipp?“
Hierauf Siri: „Alles klar, schau mal:“ Sie zeigte mir die Links zu den beiden Buchhandlungen in meiner Nähe.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich meine ein gutes Buch, das sich lohnt zu lesen.“
„Das kann ich leider nicht, Helena.“
Sie verwechselte mich mit meiner Frau! Um die Sache nicht komplizierter als nötig zu machen, verzichtete ich darauf, Siri auf den Irrtum hinzuweisen. Stattdessen fragte ich: „Warum nicht?“
„Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt, habe ich mich das auch schon gefragt.“

Ist ‚Die Geschichte der Bienen‘ ein gutes Buch?

Immerhin war sie ehrlich. Ich setzte zu einer neuen Frage an: „Ist …“, begann ich etwas zögerlich – aber weiter kam ich nicht, sie fiel mir mit einem „Anscheinend habe ich dich unterbrochen. Kannst du das bitte wiederholen?” ins Wort.
„Ja, du hast mich unterbrochen“, stellte ich fest und unterdrückte meine aufkeimende Empörung. Wir mussten schleunigst zu meiner Ursprungsfrage zurück. Schließlich war ich auf der Suche nach einem guten Buch. Ich dachte nach: War es möglich, dass Siri konkretere Fragen benötigte, um mir bei meiner Suche nach einer spannenden Lektüre einen Tipp geben zu können? Was zum Beispiel hielt sie vom aktuellen Nummer-1-Bestseller? „Kannst du mir sagen, ob ‚Die Geschichte der Bienen‘ ein gutes Buch ist?“
Kann man verstehen, dass ihre Antwort „Das dachte ich mir“ meine Stirn in Falten legte?

Der Ton meiner Stimme wechselte ins Inquisitorische

„Was dachtest du dir?“, fragte ich zugegebenermaßen mit etwas inquisitorischem Ton in der Stimme.
Mit ihrer nächsten Erwiderung stieß Siri mich regelrecht vor den Kopf. Sagte sie doch glatt: „Ich dachte, also war ich.“
Nee, nee, Siri, sinnierte ich. Du brauchst dir nicht einzubilden, mich mit derlei pseudo-philosophischem Gedöns beeindrucken zu können. Also sagte ich, noch immer um Höflichkeit bemüht: „Bitte weich mir nicht aus, ich wollte von dir wissen, ob ‚Die Geschichte der Bienen‘ ein gutes Buch ist.“
„Wer, ich?“
Ich sah mich um – war hier noch irgendwer? Nein, es war niemand im Raum, außer mir und Siri, die in diesem Handy steckte. „Hör mal Siri, das ist keine vernünftige Antwort. Wenn du dich schon mit ‚Die Geschichte der Bienen‘ nicht auskennst, kannst du mir vielleicht sagen, ob es sich lohnt, den neuen Thriller von Jussi Adler-Olsen zu lesen, oder den neuen Krimi von Donna Leon?“
„An wen soll ich deine Nachricht senden?“
„Du sollst gar nichts senden!“, raunzte ich sie an. Und mir schoss ein fieser Verdacht in den Kopf, weshalb ich fragte: „Sag mal, Siri, hast du überhaupt schon mal irgendein Buch gelesen?“
„An wen soll ich deine Nachricht senden?“
„Buch!“, schrie ich. Siri – Buch!“
„Ich kann „Buch“ nicht in deinen Kontakten finden. An wen soll ich sie senden?“
„Ich will keine Nachricht senden.“
„Gut, ich werde sie nicht senden.“
„Gut“, quittierte ich dieses plötzliche Auf-mich-Zugehen einigermaßen besänftigt.
Und sie? Sie fragte jetzt doch glatt: „Gut was?“
„Jetzt werde mir mal nicht frech!“, fuhr ich sie an.
„Das tut mir leid.“

Siri, schon mal was von „Corruption“ von Don Winslow gehört?

Okay, ich war bereit ihre Entschuldigung anzunehmen. Aber war es nicht an der Zeit, sie an mein ursprüngliches Anliegen zu erinnern. Ich sagte: „Wir waren ja bei Buchtipps stehengeblieben.“
„Ich weiß nicht, was das bedeutet. Wenn du möchtest, kann ich im Web nach ‚Wir waren ja bei Buchtipps stehen geblieben‘ suchen.”
Ich betrachtete Helenas Handy ungläubig. „Du kennst wirklich kein Buch?“
„Tatsächlich?“
Ja, mit dieser schwachsinnigen Gegenfrage konterte sie mein klar formuliertes Anliegen. Ich beschloss dies zu ignorieren und sagte: „Also zum Beispiel „Corruption“ von Don Winslow. Das ist gerade auf der Bestsellerliste. Sagt dir das was?“
Als ich ihre nächste Antwort hörte, musste ich erst einmal tief durchatmen. Mit einer zum Himmel stinkenden Unverfrorenheit sagte sie: „Du kannst mich zum Beispiel folgendes fragen: Telefon – Rufe Tobias an, Apps – Öffne Fotos, Kalender – Erstelle Termin um 14 Uhr.“
Ich hatte keine Ahnung, wer Tobias ist. Mir entfuhr ein enttäuschtes: „Nicht sehr hilfreich.“

Kennst du denn wenigstens Jan Weiler, „Und ewig schläft das Pubertier“?

Anstatt die Klappe zu halten, meinte Siri nun: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.“
„Ich habe gesagt, dass du mir nicht sehr hilfreich bist.“
„Tut mir leid, Helena, ich sehe keine passenden Kontakte.“
Ich bin nicht Helena, du blöde Schnepfe, dachte ich mir. Aber ich sagte: „Ich wollte doch nur einen Buchtipp von dir.“ Es klang fast ein wenig gewinselt.
„Ich versteh ‚Ich wollte doch nur einen Buchtipp von dir‘ nicht. Wenn du möchtest, schaue ich im Internet nach.“
„Ja, dann schau nach!“, rief ich – jetzt leider viel zu laut.
„Ok, hier sind die Termine in deinem Kalender.“
Kein Mensch hatte von Terminen gesprochen! Ich sagte: „Das ist jetzt nicht wahr?!“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.“
Die konnte mich doch mal! „Mir reicht’s“, grummelte ich. Das war doch alles Zeitverschwendung!
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.“
„Du verstehst ja auch nichts! Rein gar nichts!“
„Tatsächlich?“
Ja“, ich war nun den Tränen nahe. „Kennst du Jan Weiler? Der ist auch auf der Bestsellerliste – mit ‚Und ewig schläft das Pubertier‘
„Das ist das Resultat meiner Websuche“, sagte Siri und lud mich dazu ein, die Homepage einer Online-Buchhandlung anzuklicken.
Ich schüttelte den Kopf. „Das hätte ich selber auch gekonnt.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.“

Ich steh leider auf dem Schlauch

Sehr genervt fragte ich: „Kannst du mir etwas nachsprechen?“
„Darüber habe ich noch nie nachgedacht.“ Ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn: Als ob sie zum Denken fähig wäre!
„Ich habe jetzt keine Lust mehr“, erklärte ich ihr, aber nicht einmal das verstand sie.
Siri antwortete nämlich: „Ich steh leider auf dem Schlauch. Aber ich kann im Internet nach ‚Ich habe jetzt keine Lust mehr‘ suchen, wenn du möchtest.“
„Im Internet suchen kann ich selber.“ Meine Laune befand sich nun im Keller oder sogar noch tiefer.
Sie aber blieb unbeirrt redselig. „Ich habe im Internet leider nichts zu ‚Ich habe jetzt keine Lust mehr‘ gefunden“, sagte sie.
„Ein Buchtipp!“, schrie ich.
„Ok, Helena“, antwortete sie, „hier ist das, was ich gefunden habe.“ Und sie bot mir erneut die beiden Webseiten der nächstgelegenen Buchhändler an.

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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