Herr Ebert, in Ihrem Roman „Nicht von dieser Welt“ schicken Sie einen 13-Jährigen aus Süddeutschland direkt nach der Wiedervereinigung auf einen Roadtrip mit einem 17-jährigen Mädchen aus Zaire. Ihre Reise führt die beiden nach Halberstadt, wo noch 100 DDR-Milliarden liegen sollen. Das Mädchen braucht Geld, weil es in seine Heimat fliegen will. In diesem Plot steckt ganz schön viel Inhalt – aber was war Ihr erster Impuls, der Sie dazu brachte, sich diese Geschichte auszudenken?
Ich mag es, wenn in Geschichten viel geschieht, und in „Nicht von dieser Welt“ passiert wirklich eine Menge. Aber es steckt nicht nur viel Inhalt darin, sondern vor allem viel Gefühl. Vor zwei Jahren starb mein Vater, sein Tod nahm mich sehr mit. Also schrieb ich eine Geschichte über Trauer und Trost. Und über die große Kunst, nicht nur auf das zu schauen, was wir verloren haben, sondern auch auf das, was uns bleibt.
Sie erzählen von der Schüchternheit von Teenager-Jungs gegenüber Mädchen, von einer Schatzsuche, vom Schmerz des Verlustes, von Abenteuerlust. Das sind ganz schön nostalgische oder romantische Themen. Inwiefern waren Sie ein verträumter Teenager?
Meine Familie und ich waren aus Freiburg in eine Schwarzwald-Kleinstadt gezogen, als ich noch im Kindergartenalter war. Das machte mich zu einem „Zugezogenen“ und schon dadurch lange Zeit eher zu einem Außenseiter. Ich war viel allein, hab viel gelesen, war viel allein im Kino. War ich verträumt? Ich weiß nicht. Vielleicht auch nur etwas einsam.
Sind Sie ein nostalgischer Erwachsener?
Nein. Ich lebe gern in der Gegenwart.
Was bedeuten Ihnen Träume und Erinnerung?
Eine Erinnerung ist ein kostbarer Schatz – aber keine verlässliche Quelle. In „Nicht von dieser Welt“ schreibe ich dazu einen Gedanken auf: „Wir sind die Geschichten, die wir von uns selbst erzählen. Wenn es uns nötig erscheint, verändern wir diese Geschichten und formen sie zu Erinnerungen, mit denen wir leben können, egal, wie wahrhaftig sie sind. Unser Glück, denke ich, hängt davon ab, wie gut es uns gelingt, unsere Erinnerungen zurechtzuformen zu etwas, mit dem wir leben können.“
Mischa, die Hauptfigur Ihres Romans, lebt mit seiner Mutter – einer Krankenschwester – in einer Wohnung im Krankenhaus. Die beiden haben nicht viel Geld. Der Vater nimmt sich das Leben. Mischa macht einen Schüleraustausch und es kommt dieses schwarze Mädchen anstatt seines eigentlichen Austauschschülers. Im Umfeld von Mischa gibt es vielleicht einen Kindesmissbrauch. Ist das alles autobiographisch?
Manches. Ich bin als Sohn einer Intensiv-Krankenschwester in der Personalwohnung eines Krankenhauses aufgewachsen und wir waren verhältnismäßig arm. Aber Vieles habe ich mir auch ausgedacht.
Ist es okay für Sie, wenn wir uns bei der Lektüre von „Nicht von dieser Welt“ an Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ erinnert fühlen?
Schon der Vergleich wäre eine Ehre. „Tschick“ ist ein Meisterwerk.
Einen Roman zu schreiben, ist immer auch ein wenig wie Stellen seiner Seele zu entblößen, die vorher nicht sichtbar waren. Fühlt sich das für Sie auch so an oder sind Sie da eher „küül“, wie es ihre Hauptfigur Sola in ihrem netten Deutsch vielleicht formulieren würde?
Ja, ein Roman ist eine intime Angelegenheit. Wie sehr, wurde mir erst bewusst, als ich das gebundene Buch in Händen hielt. Die Lesungen sind auch innige Angelegenheiten. Viele Zuhörerinnen und Zuhörer erzählen mir nach den Veranstaltungen von sich.
Sie sind Chefredakteur des vermutlich renommiertesten deutschsprachigen Magazins und haben damit als journalistischer Erzähler ziemlich unbegrenzte Möglichkeiten. Worin liegt für Sie der Reiz des Romanschreibens?
In einem Roman lässt sich von der Wirklichkeit erzählen, ohne sich an die Wirklichkeit halten zu müssen. Das ist bei journalistischen Arbeiten ausgeschlossen.
Ihr Roman steckt voller Weisheiten. Eine davon ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: „Glücklich zu machen ist überhaupt nicht schlechter als glücklich zu sein.“ Es ist die 17-jährige Sola, die das sagt. Haben Sie sich diesen Satz ausgedacht oder ist das ein Zitat?
Sola zitiert ja sehr viel. Es gibt eine Folge der tollen Serie „After Life“, in der ein Gedanke so ähnlich formuliert wurde, das blieb mir im Kopf. Ich danke Ricky Gervais dafür am Ende des Buches.
Es ist ein tröstlicher Satz, aber irgendwie ist er auch traurig, oder?
Ich finde ihn tröstlich, nicht traurig.
Sie zitieren beeindruckend viele Songtexte. Haben Sie die alle im Kopf oder steckt da eine Menge Recherchearbeit dahinter?
Die Lieder habe ich zum Glück im Kopf.
Ein phantastisches Element Ihres Romans sind die Telefonanrufe aus dem Jenseits, die Mischa von Verstorbenen bekommt. Inwiefern sind Sie ein gläubiger Mensch? Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube nicht an einen Gott, ich glaube an die Menschen. Und natürlich gibt es ein Leben nach dem Tod – und zwar für alle Hinterbliebenen. Genau von diesem Leben nach dem Tod eines geliebten Menschen handelt mein Buch.
Was heißt dies für die Anrufe, die Mischa aus dem Jenseits empfängt?
Die Anrufe sind ein Bild für eines der zugleich schönsten und traurigsten Gefühle, die wir Menschen empfinden können: die Sehnsucht.