Frau Wolff, Ihr Roman „Lichtungen“ erzählt von einer ganz besonderen Freundschaft – von der zwischen dem Jungen Lev und dem Mädchen Kato …
Die beiden verbindet seit Kindertagen eine tiefe Freundschaft. Dabei könnten sie gegensätzlicher nicht sein. Lev ist eher ein zögerlicher Mensch, für den jede Veränderung, jeder Wechsel mit potentieller Gefahr verknüpft ist. Kato versucht früh, der Enge ihres Elternhauses zu entkommen; sie trägt einen großen Freiheitswillen in sich und Malen wird ihr Zugang zur Welt. Interessanterweise ist es ein anderer Mann, Camil, der sie auf diesem Weg unterstützt. Wahrscheinlich spürt Lev, dass die Malerei Kato von ihm wegführen wird. Doch in diesen gegensätzlichen Bewegungen ihres Lebens – Bleiben und Gehen – begegnen sie sich, brauchen sie einander.
Welche Rolle spielt in Ihrem Roman die Tatsache, dass die beiden im kommunistischen Rumänien aufwachsen? Was macht eine Kindheit dort aus?
Die Geschichte spielt in der Maramuresch, ganz im Norden des Landes. Das ist eine landschaftlich spannende Region mit jenen typischen spitzgiebligen Holzkirchen, Landwirtschaft, Viehzucht und viel Wald. Es ist eine Welt, die sich stark auf Gemeinschaften bezieht, Familie, Nachbarschaft, Dorfleben. Ihr Leben wird durch den Eisernen Vorhang bestimmt, sie leben mit dieser Grenze, rebellieren gegen sie. Letztlich sind es vor allem innere Grenzen, auferlegte Beschränkungen, Bilder von sich und dem anderen, die sie überwinden müssen.
Plötzlich ist Kato weg. Warum?
Kato ergreift, so scheint es für Lev, die erste Gelegenheit, um fortzugehen. Sie schließt sich einem Radfahrer an, bereist Europa, zunächst mit dem Rad, später mit einem Land Rover. Lev wird erst nach Jahren klar, dass die dörfliche Welt schon lange zu klein für sie geworden war, dass sie fortgehen musste, um herausfinden, wer sie ist. Es ist ein wichtiger Moment, als Lev dies versteht und ihr auch sagt.
Wie geht Lev damit um, zuhause geblieben zu sein und über die Postkarten, die Kato ihm schickt, Europa vermeintlich kennen zu lernen?
Die Trennung der beiden war ein kritischer Augenblick in der Geschichte – Lev ist der Zurückgelassene und aus einem Impuls heraus besorgt er sich ein Rad und fährt los, Richtung Siebenbürgen. Dieses Unterwegssein zeigt ihm die Verlassenheit dieses Landstrichs an, denn ein Großteil der Deutschen ist nach 1989 ausgewandert.
Eines Tages kommt eine Postkarte aus Zürich, auf der ein einziger Satz steht: „Wann kommst du?“ Wir wollen nicht zu viel verraten, aber können Sie andeuten, was dann passiert?
Das kann ich, das ist der Anfang der Geschichte! Denn Lev und Katos Weg wird als Reise in die Vergangenheit erzählt. Das stand von Anfang an fest. Form und Inhalt sind für mich verwoben, bedingen einander. Und so lernen die Leserinnen und Leser Lev als Erwachsenen kennen, der sich endlich aufgemacht hat und sein Dorf verlässt. Er reist zu Kato nach Zürich – und die Geschichte beginnt.
„Lichtungen“ ist auch ein Roman darüber, was uns fürs Leben prägt. Sie selbst sind im wunderschönen Siebenbürgen in Rumänien geboren, wo die deutsche Kultur noch immer zu spüren ist. Was bedeutet diese Herkunft für Sie, zumal Sie heute in Freiburg leben?
Meine Herkunft ist wie ein Lebensgefühl. Die Geschichten begleiten mich, die Klänge jener Vielsprachenwelt, das Licht, die Landschaft. Es gab ein Gefühl von Zugehörigkeit, eine unhinterfragbare Verwobenheit von Mensch und Natur. Meiner Erfahrung nach verschwindet nichts wirklich, auch wenn uns der Weg woanders hinführt. Es gibt diese unsichtbare Brücke der Erinnerungen, über die man gehen kann – immer in dem Bewusstsein, herauszufinden, welche der Prägungen man bewahren und welche man hinter sich lassen will.