Warum ist die schöne Rosalind Bone aus ihrem Dorf verschwunden?
Jeder im Dorf hat seine eigene Meinung darüber, wohin und weshalb Rosalind Bone in den späten 1970er Jahren verschwunden ist. Einig ist man sich allerdings über eines: dass Rosalind außergewöhnlich schön war. Und aus dieser Tatsache konstruieren sich viele die Theorie, der attraktiven Frau sei das Dorf in Wales mit dem seltsamen Namen CWMCYSGOD schlicht zu klein und langweilig geworden. Sie sei von „Kumkasgod“, wie man den Ortsnamen wohl in etwa ausspricht, in eine große Stadt gezogen, wo ein aufregenderes, ein besseres Leben auf sie wartete.
Catrin findet ein Foto ihrer Tante und begibt sich auf die Suche
Aber nicht alle halten diese Hypothese für schlüssig. Mary, Rosalinds große Schwester, glaubt auch den Geschichten, die man sich im Dorf erzählt. Doch als Marys Tochter Catrin eines Tages in der Küchenschublade, zwischen Gummibändern und alten Quittungen, auf das einzige Foto ihrer Tante stößt, beschließt sie, Rosalinds Verschollensein nicht zu akzeptieren. Mehr als zwanzig Jahre nach deren Verschwinden begibt sich Catrin auf die Suche. Dass sich daraus eine spannende Geschichte entspinnen muss – in einem Dorf, dessen Bewohner die talentierte Schriftstellerin Alex McCarthy mit allerlei Ecken, Kanten und Geheimnissen ausgestattet hat – dürfte eine literarische Selbstverständlichkeit sein.
Wir treffen eigensinnige Dorfbewohner
Auf Catrins nicht ganz zielstrebiger Recherche begegnen wir zum Beispiel der achtzigjährigen Mrs Williams, die ihren Tante-Emma-Laden in einen florierenden Drogenumschlagsplatz verwandelt hat. Oder wir rätseln über den immer mehr in die Demenz abgleitenden Witwer Dai Bevel, dessen nebulöse Erinnerungen ihn wiederkehrend an ein Mädchen denken lassen, das er früher oft getroffen hat. Und was ist mit den beiden Brüdern Daniel und Shane, die jeder im Dorf als Grobiane und Nichtsnutze abstempelt? Sind sie das wirklich?
Was hat es mit dem Brand im Wald und der Obdachlosen auf sich?
Als im Wald ein Feuer ausbricht, rücken die beiden Außenseiter in den Fokus der engstirnigen und vorurteilsfreudigen Dorfgemeinschaft: Sind es Daniel und Shane, die da gezündelt haben? Nach dem Brand stößt die junge Catrin auf eine alte Frau, die sich aus den Flammen im Wald gerade noch retten konnte. Die von einer Rauchvergiftung gezeichnete Obdachlose fasziniert Catrin. Sie möchte sie im Krankenhaus besuchen. Sie möchte sie zeichnen, so wie sie alles, was sie fasziniert, zeichnet. Sie fühlt sich ihr auf unerklärliche Weise verbunden.
„Die Schönheit der Rosalind Bone“ ist ein so realistischer wie poetischer Roman
Alex McCarthys „Die Schönheit der Rosalind Bone“ handelt nur am Rande von der Schönheit einer Frau. Vielmehr lässt uns die Schriftstellerin mit ihrem eleganten Stil und ihren zutreffenden Beschreibungen tief eintauchen in die Enge eines walisischen Dorfs der 2000er-Jahre. Interessant ist es, wie es ihr gelingt, die sozialen Härten, die ein Leben fern der blühenden Metropolen mit sich bringt, in außerordentlich poetischer Sprache zu schildern. Auch wie sie das Schwere, Schmutzige und Düstere ihrer Erzählung in so realistische wie atmosphärische Worte gießt, das ist große Kunst.
Alex McCarthys Roman hat definitiv das Zeug zum Lieblingsbuch
Rosa Thormeyer ist mit ihrer ruhigen Stimme, in der stets eine leichte Melancholie mitschwingt, die ideale Besetzung für die Hörbuchfassung dieses einfühlsamen Romans. Tatsächlich dürfte diese auf jede Effekthascherei verzichtende und dadurch umso eindringlicher wirkende Geschichte für viele Leserinnen und Leser ihr Lieblingsbuch des Jahres 2024 werden. Alex McCarthys poetischer Roman ist große Literatur.