Revolte

ISBN 978-3-8337-4692-5

200 Seiten

€ 35

Ulrich Maske ist Verleger mit Intellekt und Herzblut. Im Gespräch über Bernard Larssons „Revolte“-Bildband äußert er sich über die 68er, Mut, „Satisfaction“ und Fotografie als Mittel der Aufklärung.

Ulrich Maske im Interview über Bernard Larssons beeindruckenden Bildband „Revolte“

Revolte buchtipp- leseherbst

Herr Maske, Sie haben das Vorwort zu Bernard Larssons Band „Revolte – Die 68er-Bewegung in Bildern und Texten von Zeitzeug*innen“ verfasst und als einer der Chefs des Goya-Verlags vermutlich auch einen großen Anteil zu seiner Entstehung beigetragen. Sie waren 1968 noch ziemlich jung. Wie nah waren Sie der Studentenbewegung?

Es gab die Aktion Roter Punkt, in der Gewerkschafter und Studenten gegen Fahrpreiserhöhungen im Nahverkehr demonstrierten. Der SDS ließ von sich hören, Franz Josef Degenhardts Lieder machten die Runde ebenso wie „Satisfaction“ von den Stones. Der Schlagzeuger, mit dem ich gemeinsam Avantgarde Jazz spielte, war befreundet mit Benno Ohnesorg. Ich hörte Reden von Rudi Dutschke und Vorlesungen von Professor Peter Brückner. Das alles war für mich neu und interessant.

Bernard Larssons Fotos in diesem wirklich gelungenen „Revolte“-Band sind auf ganz eigene Weise ausdrucksstark. Was empfinden Sie, wenn Sie durch dieses Buch blättern?

Diese Bildsprache erreicht mich sehr direkt und regt mich immer wieder an zum Nachdenken, über damals, heute und über die Zukunft. Und das geht vielen so, den Autorinnen und Autoren, die sich in Beiträgen für dieses Buch äußern, Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, die die Bilder sahen.

Der Fotograf Bernard Larsson ist berühmt, weil er etwa den erschossenen Benno Ohnesorg fotografierte. Was zeichnet seine Art der Fotografie aus?

Er war und ist der Fotograf der 68er Bewegung. Einzigartig. Bewegend.

Sie konnten Prominente wie Ulla Hahn, Klaus-Peter Wolf und Gregor Gysi als Autorinnen und Autoren dieses ziemlich besonderen Buchs gewinnen. Fiel Ihnen das leicht?

Ich musste den vertretenen Autorinnen und Autoren nicht lange erklären, worum es geht. So kamen wir gut zusammen.

Wie nah sind sich die Protagonisten der 68er-Zeit heute?

Das ist vermutlich recht unterschiedlich, manche Wege haben sich getrennt, andere führen immer wieder zusammen. Es gibt Freundschaften, es gibt Gedankenaustausch über die Gegenwart und mögliche Zukunft.

Für ältere Leserinnen und Leser ist der Band Erinnerungsarbeit und Einladung zu nostalgischen Gedanken. Inwiefern ist das Vermächtnis, das das Buch widerspiegelt auch eine Aufforderung an die Jugend und ein Impuls für die Zukunft?

Ich möchte niemanden in seinen nostalgischen Gedanken stören, aber ich nehme immer wieder wahr, dass über die Altersgruppen hinweg Fragen und Diskussionen zur aktuellen Politik und Gesellschaft aufkommen.

Brauchen wir eine neue 68er-Bewegung – eine neue „Revolte“?

Gibt es dafür nicht schon Ansätze zur Klimapolitik, zu Kriegen, zu sozialen Fragen, zu bezahlbarem Wohnen, zur gesellschaftlichen Stellung von Frauen?

Da haben Sie recht. Beeindruckend in „Revolte“ sind die Bilder scheinbar unübersehbarer, demonstrierender Menschenmengen, die sich für eine gemeinsame Aussage sammelten. Was drücken sie für Sie aus?

Bewegung, Mut, Aufbruch, engagiertes Miteinander.

Gibt es ein Foto in diesem Bildband, das Sie besonders berührt?

“Erschossen werden, weil man seine Meinung äußert, das war der Gipfel der Repression”, sagte der Fotograf. Das berühmteste und wohl traurigste Foto des ermordeten Benno Ohnesorg lässt sicher niemand kalt, aber in diesem Band gibt es kein Foto, das mich nicht berührt.

Wir finden Fotos wichtiger Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze, von der Springer-Presse-Demonstration, vom Schah-Besuch – Bernard Larsson scheint überall dabei gewesen zu sein. Wie ist ihm das gelungen?

Er ist ein Profi, arbeitete zum Beispiel für den „stern“. Und Fotografie sieht er als „ein aufklärerisches Mittel“, mit dem er „etwas bewegen wollte“. Da muss man sich eben selbst auch bewegen.

Vietnam-Krieg

© Bernard Larsson

„Wir hatten aus der Geschichte gelernt. Glaubten wir. Sicher. Und heute? Wo bleibt unser Protest gegen den Krieg in Europa, gegen Kriege überhaupt?“, schreibt Ulla Hahn in Ihrem Text, der neben dem Foto eines Opfers amerikanischer Angriffe auf Vietnam steht. Stellt sich Ihnen Ulla Hahns Frage auch?

Ja, viele engagieren sich für den Frieden, aber es können gar nicht genug sein. Menschenleben werden noch immer geopfert für unmenschliche Ziele in menschenverachtenden Kriegen. Und die vergeudeten Ressourcen, für die noch immer internationale Rüstungskonzerne Riesenprofite einstreichen, könnten stattdessen im Frieden für die Ernährung der Weltbevölkerung, für eine wirksame Klimapolitik, zur Bewältigung von Naturkatastrophen, für Gesundheit, Soziales, Bildung und Kultur aufgebracht werden. Ulla Hahns Beitrag ist ein gutes Beispiel für die Denkanstöße des Buches.

Die 68er räumten mit der Nazi-Ideologie auf – auch das drücken Bernard Larssons Bilder aus. Inwiefern bekommen solche Impressionen im Angesicht eines gegenwärtig zunehmenden gesellschaftlichen Rechtsrucks bedrohliche Aktualität?

Ja, das ist noch immer oder wieder aktuell, dabei ist neben der Ideologie auch immer nachzufragen: Wem nützt was? Politisch? Sozial? Ökonomisch? Macht und Geld für wen?

„Wenn ich heute in Schulen auftrete und mit jungen Menschen über diese Zeit rede“, schreibt der Krimi-Autor Klaus-Peter Wolf, „dann merke ich, dass sie kaum eine Vorstellung davon haben, wie die Gesellschaft vor den 68ern aussah. Junge Paare konnten keine Wohnung mieten, geschweige denn ein Hotelzimmer, wenn sie nicht verheiratet waren, denn das verstieß gegen den Kuppelei-Paragraphen. Homosexualität war eine verbotene, strafbare Handlung. Das nannten wir Spießermoral.“ Müsste man die Ideen der 68er wieder mehr in das Blickfeld der jungen Menschen rücken?

Dieses Buch ist ein Angebot dafür. Es wird immer mit Begriffen wie „Zeitenwende“ jongliert. Worum geht es wirklich? Um welche Interessen, welche Rechte, wessen Einfluss, Macht?

Haben die 68er auch mitunter am Ziel vorbeigeschossen oder eklatante Fehler gemacht?

Wo Menschen sind, gibt es auch Fehler. Wenn Fehler gemacht wurden, sollten wir also versuchen, aus ihnen zu lernen.

Aus heutiger Sicht wie aus der Zeit gefallen wirken mitunter die Kleider, die die Menschen auf den Fotos anhaben: Viele Demonstranten tragen Hemd, Krawatte, Jackett. Es waren nicht nur Langhaarige und Hippies, die auf die Straße gingen. Wie sahen Sie damals aus?

Ich hatte auch die eine oder andere Krawatte. Zu Hause im Schrank. Ansonsten nach Wetterlage. Die Infragestellung von gesellschaftlichen Konventionen und deren Veränderungen drückten sich auch in Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haartracht aus – allerdings nicht uniform „im Gleichschritt“.

Wir sehen auch Fotos von Polizeieinsätzen. Inwiefern hat sich das Verhältnis der Staatsgewalt zu Demonstranten verändert?

Das frage ich mich auch immer wieder, wenn ich an G20 denke oder an den unverhältnismäßigen Umgang mit der letzten Generation.

Foto aus Revolte

© Bernard Larsson

Die Studentenbewegung stellte die vorherigen Generationen in Frage. Haben Sie sich persönlich in Diskussionen mit Ihrer Elterngeneration begeben?

Ja, diese Diskussionen waren selten einfach. Nicht unbedingt wegen der Altersunterschiede, sondern wegen politischer Differenzen besonders zur deutschen Politik vor und nach 1933, zu den Verbrechen des Hitler-Faschismus.

Was wünschen Sie sich, was der „Revolte“-Bildband im Idealfall bewirken sollte?

Nachdenken. Mehr Einsatz für Zuwendungen in den Bereichen Bildung und Kultur. Miteinander reden. Fragen stellen. Antworten suchen. Und mit Jimi Hendrix hoffen: „We got to stand side by side. We got to stand together and organize.“ Straight Ahead.

 
 
 
 
 
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Begleitet werden die Fotos im Bildband von Textbeiträgen von …

• Günter Amendt
• Elke Bitterhof
• Anna Bremer
• Martin Buchholz
• Hans-Peter de Lorent
• Franz Josef Degenhardt
• Frank Göhre
• Gregor Gysi
• Ulla Hahn
• Heinrich Hannover
• Corinna Hauswedell
• Luc Jochimsen
• Beate Klarsfeld
• Steffen Lehndorff
• Erik Merks
• Rolf Nagel
• Iakovos Papadopoulos
• Uschi Reich
• Jan-Uwe Rogge
• Dirk Römmer
• Tom Schroeder
• Friedemann Schulz von Thun
• Alice Schwarzer
• Doris Stoisser
• Dieter Süverkrüp
• Uwe Timm
• Fredrik Vahle
• Henning Venske
• Uwe Wandrey
• Konstantin Wecker
• Klaus-Peter Wolf

ISBN 978-3-8337-4692-5

200 Seiten

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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