Sie konnte sich retten vor dem Krieg, doch nun – in Europa – verstummt sie
Sie ist „die Sprachlose“. Der Bürgerkrieg in ihrer Heimat Syrien und das Trauma der Flucht haben sie verstummen lassen. Nun sitzt Layla AlAmmars Heldin ohne Namen in einer mittelgroßen englischen Stadt und schweigt. Die ärztlichen Untersuchungen legen nahe, dass der Journalistin nichts Körperliches fehlt. Es sind die psychischen Verletzungen, die unsere Ich-Erzählerin verstummen ließen. Mithilfe eines Schreibblocks und als Autorin eines Online-Magazins nimmt die junge Frau aber dann doch Kontakt mit der Außenwelt auf.
Sie nennt sich „die Sprachlose“, sie fühlt sich ausgegrenzt
Die Sprachlose ist eine präzise Beobachterin. Die Beziehungsstreitereien der anderen, die Probleme der Eltern mit ihren Kindern, der Schürzenjäger in der Nachbarschaft – all dies nimmt sie ganz bewusst wahr und analysiert es für sich. Der kleine Laden um die Ecke, in dem sie Zutaten aus ihrer syrischen Heimat findet, gibt ihr Halt. Dennoch fühlt sich ihr Leben an, als hätte es jemand abrupt gestoppt, wie auf Knopfdruck. Hinzu kommt die Ausgrenzung: Viele behandeln sie ganz offensichtlich wie eine Aussätzige. Manche – wie das ältere Ehepaar nebenan – zeigen ihre Feindseligkeit nur unterschwellig, was es nicht weniger schlimm macht.
Ihre Liebe zur Literatur und die Arbeit für das Online-Magazin helfen Layla AlAmmars Heldin
Doch ihre Liebe zur Literatur und die Arbeit für das Online-Magazin helfen ihr. Als Kolumnistin macht sie sich als „die Sprachlose“ einen Namen. Zwar ist sie keine gläubige Muslimin, aber sie schreibt auch über religiöse Themen. In ihren Texten reflektiert sie ihre Position als Geflüchtete und löst damit unterschiedliche Reaktionen aus: Zustimmung, aber auch regelrechter Hass schlagen ihr aus den Kommentaren ihrer Leserinnen und Leser entgegen. Das setzt ihr zu, greift sie an.
Als ein Fest der nahegelegenen Moschee von Rassisten überfallen wird, kommt es zur Eskalation
Dennoch tastet sich die Sprachlose in kleinen Schritten ins Leben zurück. So baut sie eine Beziehung zu einem gleichaltrigen Mann auf, der eine mysteriöse Truhe unter seinem Bett hütet und Studierende zu Protesten und Demonstrationen aufruft. Außerdem schließt sie Freundschaft mit einer schüchternen 14-Jährigen aus der Nachbarschaft. Je mehr sich das Mädchen der Sprachlosen öffnet, umso größer wird Vertrauen zwischen den beiden. Und die Jugendliche offenbart, dass sie in ihrer Familie Gewalt erfährt. Als ein Fest der nahegelegenen Moschee von Rassisten überfallen wird, eskaliert die Situation. Sie muss sich entscheiden: Bleibt sie „die Sprachlose“ oder erhebt sie ihre Stimme?
Katja Danowski gestaltet das „Das Schweigen in mir“ zum atmosphärischen Hörerlebnis
Layla AlAmmars Roman „Das Schweigen in mir“ wird getragen von einer schönen, poetischen Sprache. Die aus Kuwait stammende Autorin fängt die unterschiedlichen Facetten ihrer Figuren mit ihrer genauen Beobachtungsgabe sehr treffsicher ein und macht nachvollziehbar, was es bedeutet, eine Geflüchtete im Europa der Gegenwart zu sein. Die Schauspielerin Katja Danowski ist für diese Geschichte über Heimat und kulturelle Identität eine ideale Besetzung. Denn ihr gelingt es, sowohl die bedrückenden Passagen des Romans, als auch die mitunter von feinem Wortwitz getragenen Szenen aus der Nachbarschaft in genau der richtigen Stimmung vorzulesen. „Das Schweigen in mir“ bietet ein atmosphärisches, ein stimmungsvolles Hörerlebnis von literarischer Tiefe.