ISBN 978-3-257-07181-8

ca. 368 Seiten

€ 25,00

Ein liberaler, westdeutscher Großvater erfährt wider Erwarten, dass er eine vierzehnjährige Enkelin hat, die unter völkischen Siedlern lebt. Bernhard Schlinks Roman „Die Enkelin“ ist unbedingt lesenswert.

Bernhard Schlinks Roman „Die Enkelin“ spannt einen Bogen von der DDR bis zu den völkischen Siedlern von heute

Titelbild Die Enkelin

Eines Tages findet der Buchhändler seine Frau tot in der Badewanne

Er ist Buchhändler, sie Schriftstellerin. Die beiden leben in Berlin. Eines Tages findet Kaspar sie tot in der Badewanne – Valium. Birgit trank, sie hatte Depressionen, aber Kaspar hätte nicht gedacht, dass es so schlimm war. Als ihr Verleger sich meldet und Kaspar bittet, ihm ihr letztes Romanprojekt zugänglich zu machen, beginnt Kaspar widerwillig, in Birgits Unterlagen zu stöbern. Was er findet, wirft alle Vorstellungen, die er von ihrem gemeinsamen Leben hatte, über den Haufen.

Der Student aus dem Westen und die Schlagfertige aus dem Osten

Für Kaspar war es Liebe auf den ersten Blick: Er, der Student aus dem Westen, hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt. „Als er sie auf dem Bebelplatz sah, lebhaft, strahlend, schlagfertig und, anders als die anderen, nicht ideologisch borniert, sondern voller Lust am Wortgefecht, war er überwältigt.“ Kaspar wäre für sie in die DDR ausgewandert. Aber es kommt anders. Am 16. Januar 1965 landet Birgit nach einer Flucht über Prag nach Wien auf dem Flughafen Tempelhof. Ihr gemeinsames Leben beginnt.

Beim Stöbern entdeckt Kaspar Birgits Lebensgeheimnis

Ein Manuskript, das veröffentlicht werden könnte, entdeckt Kaspar nicht in den Unterlagen der toten Birgit. Dafür findet er Aufzeichnungen, aus denen hervorgeht, dass Birgit – als sie ihn kennenlernte – ungewollt schwanger war. Und dass sie, um zu ihm in den Westen zu fliehen, ihr Baby in fremde Hände gab.

Sie hatte ihr Leben lang unter ihrer Entscheidung gelitten

Mit einem Mal fällt es Kaspar wie Schuppen von den Augen, wieso Birgit zu trinken begonnen hatte und welchen Ursprungs ihre Depressionen womöglich gewesen waren: Birgit hatte ihr Leben lang an ihre Tochter gedacht. Hatte mit ihrer Entscheidung gehadert und unter ihr gelitten. Hatte versucht, sich ihre Tochter und deren Leben vorzustellen. Hatte ihre Tochter sehen wollen.

Kaspar fasst einen Entschluss: Er will Birgits Tochter finden

Nachdem Kaspar sich einigermaßen von der Erkenntnis erholt hat, dass seine Frau ein Leben lang mit einer Lüge, einem Geheimnis vor ihm gelebt habt, fasst er einen Entschluss: Er will Birgits Tochter finden. Vielleicht kann er ihr ein Vater sein, wenn sie schon keine Mutter hatte?

Svenja lebt in einer Gemeinschaft völkischer Siedler

Die Suche gestaltet sich als nicht ganz einfach. Dennoch findet Kaspar über Umwege zu Birgits Tochter Svenja. Sie lebt unter völkischen Siedlern im ostdeutschen Lohmen. „Die Frau sah müde aus, nicht wie nach ein oder zwei schlecht geschlafenen Nächten, sondern als koste sie alles schon seit langem zu viel Kraft. Gleichwohl erinnerte sie Kaspar an Birgit, der Mund, die dunklen Augen, die dunklen Haare, und auch die Stimme klang ihm vertraut.“

Bernhard Schlinks Held entwickelt einen kühnen Plan

Neben der Frau steht ein Mädchen in buntem Rock und bunter Bluse, rothaarig schlaksig, vielleicht vierzehnjährig. Es ist „Die Enkelin“, es ist Sigrun. Zu der Familie gehört auch noch ein dominanter Vater, kurzgeschorene Haare, tätowierte Arme, ruppige Umgangsformen. Obwohl Kaspar auf deutliche Abweisung stößt, fühlt er sich Sigrun, der Enkelin, verbunden. Und so beginnt er – gegen alle Widerstände – einen Plan umzusetzen, der das Leben des Mädchens auf grundlegende Weise verändern wird.

Ab einem gewissen Zeitpunkt entwickelt der Roman ungeheure Sogkraft

Liest sich Bernhard Schlinks Roman – wegen der notwendig zu erzählenden Vorgeschichte – zunächst etwas träge, gewinnt er ab dem Zeitpunkt, in dem Kaspar auf seine Enkelin und die völkische Gemeinschaft trifft, ungeheure Sogkraft.

„Die Enkelin“ macht das Leben der völkischen Siedler verständlich

Bernhard Schlink beschreibt das Leben der Siedler glaubwürdig und er zeigt, wie schwierig es ist, sich aus den Zwängen einer obskuren Gemeinschaft herauszulösen. Gleichzeitig macht er nachvollziehbar, warum sich viele Menschen zu einem Leben unter völkischen Siedlern hingezogen fühlen. Sigruns Leben nimmt durch die Einmischung ihres Stiefgroßvaters eine interessante Wendung.

Der Roman beantwortet Fragen, regt zum Nachdenken an, ist lesenswert

Auch die Vorgeschichte über das Leben in der DDR und die Flucht erzählt Bernhard Schlink detailreich und treffend. Mit „Die Enkelin“ gelingt ihm ein Roman, der sowohl große historische deutsche Themen, als auch brandaktuelle politische Probleme in eine spannende Handlung einbettet. Dieses Buch diskutiert drängende Fragen, es regt zum Nachdenken an, es ist unbedingt lesenswert.

ISBN 978-3-257-07181-8

ca. 368 Seiten

€ 25,00

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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