ISBN 978-3-458-17780-7

174 Seiten

€ 20,00

Eine Frau zieht ans nördlichste Ende Finnlands. Dort will sie Seevögel beobachten und Zeit mit ihrem Geliebten verbringen. Doch es kommt anders in Gøhril Gabrielsens Roman „Die Einsamkeit der Seevögel“.

Gøhril Gabrielsens „Die Einsamkeit der Seevögel“ ist ein Roman von hoher sprachlicher Intensität

Titelbild Die Einsamkeit der Seevögel

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Frau Bluhm liest „Die Einsamkeit der Seevögel“:  4 von 5 Blu(h)men


Gøhril Gabrielsen entführt uns in eine Bretterhütte am Ende der Welt

Am Ende der Welt befindet sich eine kleine Bretterhütte. Dort schlägt die Protagonistin ihr Lager auf, um im Verlauf mehrerer Wochen das Verhalten der Seevögel zu beobachten. Ihre Forschung dient allerdings nicht nur dem Umweltschutz, oder dem Voranbringen ihrer eigenen Karriere: Sie soll ihr vor allem auch zu ungestörter Zeit mit ihrem Geliebten verhelfen. Für Jo hat sie vor einiger Zeit ihren Mann verlassen, und er soll als ihr Forschungspartner in einigen Wochen nachkommen. Doch Jo kommt und kommt nicht; die Tage am nördlichsten Punkt Finnlands werden länger und länger, und die Situation für die junge Forscherin immer bedrückender. Sie fühlt sich wie eingesperrt.

Die sprachliche Intensität der Beschreibung ist außergewöhnlich

„Die Einsamkeit der Seevögel“ ist der erste Roman von Gøhril Gabrielsen, den ich gelesen habe. Von Anfang an war ich sehr beeindruckt von der sprachlichen Intensität, mit der die Autorin die Einöde, in der sich ihre Protagonistin befindet, beschreibt. Noch viel mehr Eindruck machte aber die Spiegelung der Innenwelt der Forscherin auf mich. Die Autorin findet schonungslos ehrliche und authentische Worte, um den inneren Prozess der Vereinsamung zu beschreiben, dem die junge Frau unterliegt, und macht ihren Roman damit zu einer 173 Seiten langen Metapher für die Isolation eines Individuums. Auch wenn „Die Einsamkeit der Seevögel“ in der Einöde Finnlands spielt, wirken die Worte auch im heimischen Wohnzimmer in der Seele des Lesers nach und setzen sich fest.

In der Einsamkeit wird die Hauptfigur zur Tagträumerin

Abgeschnitten von der Außenwelt, bleibt der Forscherin schon sehr bald nichts mehr übrig, als sich mit sich selbst, ihrer Biografie und ihrem eigenen Gefühlshaushalt zu beschäftigen. Gedanken über die Tochter, die sie zuhause zurückgelassen hat, überschneiden sich mit den Sorgen, die sie sich bezüglich ihres gewaltbereiten Exmannes macht und werden wiederum abgelöst durch die Vorfreude auf das Kommen des Geliebten Jo. Doch schon bald reichen die reellen Begebenheiten nicht mehr aus, und so spinnt sie sich Tagträume von einer Familie, die dort vor 140 Jahren gelebt hat. Bald schon werden die Tagträume zu Geschichten und die Geschichten zu gefühlter Realität und sie kann nicht mehr unterscheiden, was wirklich ist, und was nicht.

Mir hat nicht alles gefallen an Gøhril Gabrielsens Roman

Bei aller sprachlichen Intensität, die dieser Roman mitbringt, hätte ich mir dennoch etwas mehr emotionale Anbindung gewünscht. Noch nicht mal den Namen der Forscherin erfährt man während der Lektüre. Ich nehme das als ganz bewusst gewähltes Stilmittel wahr, das bei mir jedoch leider nicht zum Lesevergnügen beigetragen hat. Als Wissenschaftlerin ist die Hauptfigur es gewöhnt, ihre unmittelbare Umgebung in klinischen Fakten darzustellen. Das oben erwähnte Stilmittel unterstützt diesen Ansatz, doch ich empfinde dadurch die Protagonistin selbst als zu kalt und emotional nicht greifbar. Ein klein wenig mehr Menschlichkeit hätte mir die Hauptfigur nähergebracht, gerade auch, weil die Autorin sie mit so schonungsloser Ehrlichkeit betrachtet. Aber so empfinde ich die Forscherin nicht als sympathisch. Ich konnte mich nicht in sie einfühlen, und ich wollte es über weite Strecken auch gar nicht.

Der Schluss von „Die Einsamkeit der Seevögel“ ist fulminant

Der sprachlichen Kunst der literarischen Darstellung tut dies allerdings keinen Abbruch. „Die Einsamkeit der Seevögel“ entwickelt eine fast schon klaustrophobische Intensität, mit einem Spannungsgipfel und einem fulminanten Ende. Gøhril Gabrielsen legt einen Roman der ganz anderen Art vor, den ich trotz meiner kleinen Kritik sehr interessant finde.

ISBN 978-3-458-17780-7

174 Seiten

€ 20,00

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Frau Bluhm

Geboren 1984 in Aschaffenburg, studierte Katharina Bluhm Psychologie und arbeitet seither als Erzieherin. Sie liebt Bücher und Filme. Seit 2017 bewertet sie in ihrer Kolumne „Frau Bluhm liest“ für BUCHSZENE.DE mit Begeisterung, aber auch kritisch Bücher jeden Genres. Sie lebt mit ihrer Familie in Aschaffenburg.

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