ISBN 978-3-96093-438-7

272 Seiten

€ 14,00

Als der Chefarzt sagt „Sie haben Krebs“, bricht für sie die Welt zusammen. Hier und jetzt erzählt Anja Koeseling, Autorin von „Krebskriegerinnen“, sehr ergreifend, wie sie mit dieser schockierenden Diagnose umging.

Anja Koeseling, Autorin von „Krebskriegerinnen“, erzählt wie sie von ihrer Krebserkrankung erfuhr

Krebskriegerinnen

© sun ok – Shutterstock.com: 1487602829

Sie haben Krebs“, sagt der Chefarzt wenig einfühlsam

Wenig einfühlsam und in gleichgültigem Ton posaunt mir der Chefarzt höchstpersönlich das Ergebnis meiner letzten Darmspiegelung ins Ohr. In weniger als einer Sekunde verzerrt sich das Bild um mich herum, verschwimmen Farben und Geräusche. „Sie haben Krebs“, schallt es immer wieder durch mein Gehirn. „Sie haben Krebs. Sie haben Krebs …“

Der Morgen nach der Diagnose: Wie geht es nun weiter?

Der nächste Morgen fühlt sich an, als hätte ich zwei Flaschen Rotwein allein getrunken. Der Kopf ist schwer, die Zunge pelzig, die Lider sind angeschwollen und meine Augen verklebt. Vorsichtig versuche ich trotzdem, sie zu öffnen. Ich starre die Zimmerdecke an und falte die Hände über meinem Bauch zusammen. Wie geht es nun weiter? Was wird sich alles ändern? Mir wird klar, dass meine Lebensordnung nun durch eine neue ersetzt wird. Ich werde mich mit Themen auseinandersetzten müssen, die bis jetzt kein Bestandteil meines Alltags waren. Angst und Unsicherheit steigen in mir hoch. Mir fallen die vielen Berichte über Krebskranke ein, die ich in Zeitschriften nur flüchtig gelesen habe. Dass ich jemals davon betroffen sein könnte, kam mir niemals in den Sinn. Oft ertragen wir das Schicksal der anderen ja kaum und versuchen, diese Geschichten so schnell wie möglich abzuschütteln.


DER INHALT VON „KREBSKRIEGERINNEN“ IN KÜRZE:

Als Anja Koeseling mit der Diagnose Darmkrebs konfrontiert wird, verliert sie kurzzeitig den Boden unter den Füßen. Ihre Freundin Mina Teichert kann ihre Gefühle nur zu gut verstehen: Vor Jahren hatte sie Gebärmutterhalskrebs. Mit vereinten Kräften ziehen die beiden ins Gefecht, das aus Medikamenten, Operationen, Ängsten und wenig hilfreichen Kommentaren besteht. Beide wissen: Krebs kann jeder kriegen, und um ihn erfolgreich zu bekämpfen, braucht es außer der medizinischen Betreuung Freundschaften, die einem die Kraft geben, trotz Krankheit frei zu bleiben. Berührend erzählen die Freundinnen abwechselnd vom erfolgreichen Kampf gegen die Krankheit, die beider Leben so sehr bestimmt hat.

Die Auseinandersetzung mit dem Tod – warum? Ich bin jung!

Bilder flackern auf. Von Frauen und Männern, die durch eine Chemotherapie alle Haare verloren haben. Matt, dünn, kreidebleich und an Plastikschläuchen hängend, in kargen Krankenhausbetten liegend … Meine Kehle schnürt sich zu. Ich habe das Thema bisher ganz weit von mir weggeschoben, fühlte mich unangreifbar, nicht davon betroffen. Nicht einmal, als ich das erste Blut in der Toilette sah. Hämorrhoiden hat doch jeder ab einem gewissen Alter, dachte ich mir. Auch als es mehr wurde, schob ich das Thema weit aus meinem Bewusstsein. Ich war beschäftigt, hatte einen Vollzeitjob, eine Tochter, die mich noch brauchte, Hunde, die versorgt werden mussten, eine Trennung zu verkraften und ein Leben, in dem für eine Krankheit auf keinen Fall Platz war. Die Auseinandersetzung mit dem Tod war mir bisher nicht im Entferntesten in den Sinn gekommen. Warum auch? Ich bin jung, habe Ziele.

Google listet mir die Risikofaktoren erbarmungslos auf

Und mit einem Mal bricht die Welt, die ich bis jetzt kannte, schlagartig zusammen. Wie wird es weitergehen? Ich greife nach meinem Laptop und gebe den Suchbegriff „Darmkrebs“ bei Google ein.


Zu den Risikofaktoren zählen vor allem:

  • langjährige chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, vor allem Colitis ulcerosa.
  • Darmkrebsfälle in der Familie, insbesondere, wenn die betroffene Person bei Erkrankungsbeginn unter 50 Jahre alt war.
  • Darmpolypen bei sich oder bei engen Familienmitgliedern.
  • Eine ungünstige Ernährung: wenig Ballaststoffe, viel Fett und Fleisch (insbesondere rotes Fleisch), wenig Obst und Gemüse.
  • Übergewicht und Bewegungsmangel, Rauchen, ein hoher Alkoholkonsum.
  • Fälle von bestimmten anderen Krebsarten bei sich selbst oder bei nahen Verwandten.

Wie sage ich es meinem Kind? Ich muss ein Testament schreiben

Hatte jemand in meiner Familie Krebs? Oder bin ich vielleicht selbst schuld, weil ich in der Studentenzeit ein eher wildes Leben geführt habe? In Gedanken rattere ich die To-do-Liste herunter, die ich mir kurz vor dem Einschlafen für den heutigen Tag erstellt habe: Testament schreiben, Beerdigung planen und mir ein Lied überlegen, dass während der Beisetzung laufen soll. Das weiß ich schon: „November Rain“ von Guns N‘Roses habe ich mir ausgesucht. Aber wo will ich eigentlich beerdigt werden? Und funktioniert die Umsetzung meines Wunsches überhaupt? Ich muss meine Mutter anrufen! Mein Herz zieht sich zusammen … Möchte ich eingeäschert werden? Lieber nicht! Meine Oma sagt, man kommt dann nicht in den Himmel. Glaube ich überhaupt daran? So viele Fragen, über die ich mir mit vierzig Jahren das erste Mal ernsthafte Gedanken machen muss. Doch die wichtigste ist, wie und wann kann ich die Diagnose meiner Tochter, meiner Familie mitteilen? Mein sensibles Kind fängt in ein paar Wochen seine Ausbildung an. Darf ich überhaupt mit meiner Diagnose in ihr Leben grätschen? Und wenn ja, welche Worte wähle ich? Wie beginne ich …? Oh Mann, ich hänge an meinem Leben! Noch so eine Frage: Was wird mir fehlen? Ich streife den weißen Bademantel über, setze mich mit einem Bleistift und einem Block wieder in den Garten und erstelle eine Liste. Mit zitternden Fingern schreibe ich: den Geruch von Hundepfoten, von Sommerregen, Barfußgehen im nassen Gras, das Zirpen von Grillen, der Geruch von Schnee an kalten Wintertagen … Und dann frage ich mich, ob das Sterben schmerzhaft sein wird. Wie stirbt ein Mensch? Spüre ich, dass ich noch zweimal einatme und dass es dann vorbei ist?

Ich habe die Sorge um meine Gesundheit immer hintangestellt

Eine gewisse Vorahnung hat mich schon lange begleitet. Im Grunde genommen kenne ich die Diagnose seit Monaten. Die Symptome waren klar: Sodbrennen, Abgeschlagenheit, Nachtschweiß und ein wichtiges Indiz: Blut im Stuhl. Doch ich habe mich und meine Gesundheit eine Weile hintangestellt. Wegen des Jobs, der mich fordert, meiner Tochter, die mich in ihrem jungen Alter noch braucht, den drei Hunden und nicht zuletzt der Angst vor dem Ungewissen. Doch nun ist die Zeit mein gefährlichster Gegner und ich habe keine Wahl mehr.

Wem kann ich mein Geheimnis zumuten und anvertrauen?

Ich überlege, wem ich dieses Geheimnis zumuten und anvertrauen kann, wer mir zur Seite stehen könnte und schon ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Ich muss einen klaren Kopf behalten. Mich bei Betroffenen informieren. Erfahrungen einsammeln. Denn je genauer ich meine neue Lebenssituation kenne und je systematischer ich die nächsten Schritte abarbeite, umso leichter wird es mir und meiner Familie fallen, mit der Situation umzugehen. Wie sind die Behandlungsmethoden? Was sind die Nebenwirkungen? Werde ich danach noch ein normales Leben führen können? Eins wird mir umgehend klar: Je detaillierter meine Entscheidungen sind, desto bewusster kann ich anfangen, die Krankheit zu bewältigen.

Die Wölfe in der Taiga können Tumore erkennen

Ich erinnere mich an einen Bericht über eine Filmemacherin, die in der Taiga allein unterwegs war, um den Spuren von Wölfen zu folgen. Eines Nachts wurde sie von einem Rudel umzingelt. Sie legte sich ganz ruhig auf den Boden, und anstatt sie anzugreifen, ließ sich die Leitwölfin behutsam für einige Minuten ganz nah neben ihrem Kopf nieder, ein weiteres Tier dicht an ihrem Körper. Irgendwann verschwanden sie. Die Frau konnte kaum glauben, was sie gerade erlebt hatte. Als sie wieder zu Hause war, bekam sie starke Kopfschmerzen und ging zum Arzt. Nach einem MRT-Termin wurde ein Tumor in ihrem Gehirn diagnostiziert, und da wurde ihr bewusst, dass genau dieser Tumor der Grund für das Verhalten der Wölfe war. Und wie sozial die wilden Tiere ihr gegenüber gewesen waren.

Meine Hunde kümmern sich rührend um mich

Ich denke an meine Hunde und begreife, welch rührendes Spiel sie vor einiger Zeit begonnen haben. Erst jetzt kann ich das richtig einordnen. Routiniert wechseln sie sich täglich ab, ihren Platz an meinem Kopfende einzunehmen. Die Hündin liegt entweder auf dem Kopfkissen, immer darauf bedacht, mich wenigstens mit einer Pfote zu berühren, oder schmiegt sich ganz dicht an meinen Bauch. Und der Rüde trottet mir mit müden Augen und hängendem Kopf hinterher, wenn ich nachts auf die Toilette muss. Als mir bewusst wird, was das zu bedeuten hat, fange ich bitterlich an zu weinen. Blasen steigen mir aus der Nase, in meinem Hals schnürt sich eine Kugel zusammen, ich bekomme kaum noch Luft. Da ist er wieder, dieser Augenblick. Ich weine und weine. Schniefe wie ein kleines Kind und schaffe es einfach nicht, mich wieder zu beruhigen.

Dann wähle ich zitternd die Nummer meiner Mutter

Ich setze mich unter den Kirschbaum, streichle vorsichtig über die herabhängenden Blätter und überlege, was nun zu tun ist. Ich will mich über die Abläufe der Operation informieren, Forum-Mitglied werden, Geschichten von Menschen lesen, die diesen schweren Weg bereits gegangen sind, Arzttermine vereinbaren und das bestmögliche Krankenhaus für mich auswählen. Doch bevor ich den Laptop wieder hochfahre, wähle ich zitternd die Nummer meiner Mutter. Es fällt mir schwer, doch ich nehme mir vor, ganz tapfer zu sein. Aber als ich ihre Stimme höre, fange ich trotzdem sofort an, bitterlich zu weinen und bin nicht in der Lage zu reden. Sie ist ganz still. Meine wundervolle Mutter bleibt ganz stark. Sie hört mir zu. Ich erzähle ihr von dem Anruf, der mein bisheriges Leben aus den Fugen gerissen hat. Von den drei Sätzen, die der Arzt mir gestern am Telefon ganz ohne Empathie um die Ohren gehauen hat: Sie haben Krebs. Melden Sie sich in der nächsten Woche in meinem Sekretariat. Ein schönes Wochenende für Sie! So wie: Nichts für ungut, ich wünsche Ihnen noch eine angenehme Restzeit.

Wie dankbar ich bin, dass meine Freundin Mina bei mir ist

Ich weiß, dass auch meine Mama in den nächsten Wochen nicht mehr gut schlafen können wird und doch hat sie mir mit nur einem einzigen Satz Kraft gegeben: Wir sind für dich da! Familie – ein zartes Wort. Mein Optimismus ist plötzlich verschwunden. Wieder geht mir durch den Kopf, dass nichts organisiert ist für den Fall, dass ich sterbe. Aber ich habe ja noch ein paar Wochen Zeit, um mein ganzes kurzes Leben zu sortieren. Ich spüre plötzlich Minas Hand auf meiner rechten Schulter, ihre Finger streicheln beruhigend über meine Haut, in der anderen Hand hält sie eine Tasse Kaffee mit Zimt für mich. Wie dankbar ich bin, dass sie heute Morgen bei mir ist. Sie setzt sich zu mir unter den Kastanienbaum, der nur ein paar Strahlen der matten Sonne auf ihr Gesicht scheinen lässt. In ihren Augen sehe ich Besorgnis und als ihr Blick auf den geöffneten Laptop fällt, sagt sie: „Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder? Willst du wirklich aufgeben?“

Ich schreibe einen wichtigen Satz in mein schwarzes Notizbuch

Die Seiten mit den Informationen zur Testamentsaufsetzung und zur Patientenverfügung sind noch immer geöffnet. Sie wird richtig wütend. Und eigentlich will ich mich damit ja auch gar nicht befassen. Aber muss ich das nicht? Ich schwanke zwischen Aufgeben und Fallenlassen und Tiefdurchatmen und Kämpfen. Aber weiß ich tatsächlich, was ich wirklich will? Jetzt? In diesem Moment, in dem sich quasi mein Leben auflöst, das alte verblasst … Wie viel kann ich einer Freundin zu muten? Wo sind ihre persönlichen Grenzen? Ich rede und rede. Sie hört mir aufmerksam zu. Dann sagt sie: „Ich helfe dir!“
„Kannst du das wirklich ertragen?“, antworte ich ihr. „Es wird ein Alptraum aus Schläuchen, Darminhalt und unsagbaren Schmerzen …“
„Na sicher!“, erwidert sie fast eine Spur zu schnell und dann lächelt sie mir aufmunternd zu. „Ich werde mein Bestes geben!“
Auf einmal überkommt mich dieses sagenhafte Gefühl, das mir fast den Atem raubt. Mit aller Macht spüre ich, wie sehr ich das Leben liebe und wie wichtig eine Freundin ist, die ihr Leben hinten anstellt, um da zu sein, in höchster Not. Freundschaft ist auch Selbstaufgabe, zu spüren, was die andere gerade braucht! Ich nehme mein schwarzes Notizbuch und schreibe mit großen Druckbuchstaben auf die erste Seite:
ICH WILL LEBEN. ICH WILL.


Das Gewinnspiel ist beendet.

ISBN 978-3-96093-438-7

272 Seiten

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