Frau Haigh, in Ihrem neuen historischen Roman „Der süße Duft der Reben“ versetzen Sie uns nach Dénia. Dieser Ort liegt an der Costa Blanca in Spanien und Sie sagen, er sei Ende des 19. Jahrhunderts, in der Zeit also, in der Ihr Roman spielt, eine Art Las Vegas gewesen. Warum?
Der Rosinenhandel brachte Dénia großen Reichtum. Vor allem englische Investoren sorgten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die notwendige Finanzkraft, um die Infrastruktur der Stadt schnell voranzubringen. Dazu gehörte auch der Bau einer der ersten Eisenbahnlinien Spaniens und die Versorgung der Stadt mit Elektrizität. Es gab Theater, Restaurants, Spielhöllen, Weinbars, Clubs und Freudenhäuser, um Arbeiter, aber auch Investoren mit einem attraktiven Kulturangebot zu locken. Wer sich seinerzeit ausufernd vergnügen wollte, tat das an der Costa Blanca und nicht in Madrid.
Wie sind Sie auf Dénia als Schauplatz, die Rosinen und die Reblaus als Thema gestoßen?
Das hat den üblichen Grund: Recherche für die neue Komödie (erscheint 2024), die an der Costa Blanca spielt. Die Eigentümerin des Hotels spendierte mir am Abend Moscatel-Wein und fing an, von der Geschichte Dénias zu erzählen. Rosinenhandel? Totalzusammenbruch des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens einer Stadt, weil die Reblaus hier wütete? Zwei Tage später saß ich beim Weinfest in einer Vorlesung über dieses Thema und fing sofort Feuer. Mutter Natur rächte sich für eine Monokultur, der Wälder sowie Ackerland für allerlei Gemüse und Obst zum Opfer fielen. Das musste ich einfach erzählen.
Im Zentrum Ihrer Geschichte steht die junge Isabel, die aus einer reichen spanischen Familie stammt, aber zu Beginn Ihres Romans noch in London lebt …
Isabels Vater hat früh erkannt, dass Rosinen reißenden Absatz in England finden und wusste, dass damit viel Geld zu verdienen ist. Es gab aber noch einen weiteren Grund, weshalb er Spanien gemeinsam mit seiner Tochter Isabel den Rücken kehrte, um fortan nur noch als Neureicher in London geduldet zu werden, denn Spanier hatten seinerzeit keine Chance in die „upper class“ Londons vorzudringen. Warum er sich und Isabel das zumutete, darauf liefert der Roman eine Antwort.
Isabel malt gerne und bewirbt sich auf der Kunstakademie. Als sie die Zusage bekommt, aufgenommen zu werden, ist sie überglücklich. Doch daraus wird nichts.
Isabel steht kurz davor mit dem Vater zu brechen und nicht nach Spanien zu reisen, um dort den Sohn eines der reichsten „Rosinenbarone“ zu ehelichen, doch sie hätte sich das Studium nicht finanzieren können. Ohne Ehemann wäre ihr Vater sogar ihr Vormund geblieben. Es bleibt ihr keine andere Wahl als abzureisen und die damit verbundene Hoffnung, dass sie einmal zurück in der geliebten Heimat einen Weg finden wird, um sich der Vermählung zu entziehen und dort ihr Glück zu finden.
Was ist an dem vom Vater ausgewählten Bräutigam Rafael so schrecklich?
Isabel kennt ihn aus Kindertagen und hat ihn nicht in besonders guter Erinnerung. Viel entscheidender ist allerdings, dass sie gleich, nachdem ihr Vater die geplante Eheschließung verkündet, etwas über Rafael erfährt, was nicht nur eine unglückliche Ehe erwarten lässt, sonders Isabel auch noch in große Gefahr bringen würde.
Doch ihr Vater bleibt hartherzig und so begibt sich Isabel widerwillig auf ein Schiff, um von London nach Spanien zu fahren. Als Begleiter wird ihr ein junger Mann namens Ferrel zur Seite gestellt. Eine gute Entscheidung des Vaters?
Ferrel hat ein Auge auf Isabel geworfen und bringt sich als Aufpasser mit ins Spiel, weil eine so lange Schiffsreise für eine junge Frau seinerzeit nahezu unmöglich gewesen wäre. Estebans Entscheidung entpuppt sich als fataler Fehler mit weitreichenden Konsequenzen.
In San Sebastian wagt Isabel eine ziemlich verrückte Aktion …
Isabel muss Ferrel loswerden, koste es was es wolle. Die Not macht erfinderisch, doch Ferrel ist mit allen Wassern gewaschen und durchkreuzt ihren Plan. Er hat aber die Rechnung ohne eine Mitreisende gemacht, die Isabel ins Herz geschlossen hat und gemeinsam mit Isabel, kurz bevor das Schiff Malaga erreicht, einen Fluchtplan ausheckt, der noch gewagter, aber auch erfolgversprechender ist. Der Preis, den Isabel dafür zahlen muss, ist unerwartet hoch. Sie landet in der Hölle Dénias und fragt sich, ob eine Eheschließung mit Rafael nicht das viel kleinere Übel gewesen wäre. Nur ein glücklicher in der Vergangenheit begründeter Umstand gibt ihr die Möglichkeit sich daraus zu befreien…
Als Isabel ganz verzweifelt ist, trifft sie auf ihre Jugendliebe.
Isabel und Fernando kennen sich seit ihrer Kindheit. Als kleiner Junge hat er geschworen, sie eines Tages zu heiraten. Fernando lebt beim alten Cristóbal auf einer Finca, auf der im Gegensatz zu den Moscatel-Monokulturen Landwirtschaft im Einklang mit der Natur betrieben wird. Er ist der einzige Mensch, dem Isabel vertraut, doch kann aus einer naiven Kinderschwärmerei wahre Liebe werden, zumal Rafael und einer der Rosinenbarone alles daransetzen, ihr und sein Leben um jeden Preis zu zerstören?
Wird Isabel am Ende doch noch ihr Glück finden?
Für mich gibt es nichts Schlimmeres, als die Heldin am Ende eines Romanes nach einem steinigen Weg nicht zu belohnen. Und wenn sich jemand verdient hat, das Glück zu finden, dann Isabel.
Wie schon in „Die Wiege der Hoffnung“ oder in „Die Klänge der Freiheit“ stellen Sie auch in „Der süße Duft der Reben“ eine starke Frauenfigur in den Mittelpunkt Ihrer Geschichte. Wie gehen Sie dabei vor: Haben Sie zuerst die Protagonistin im Kopf oder ihr Umfeld – in diesem Fall den Handel mit Rosinen?
Bei diesem Roman hat mich die historische Folie zu Isabel geführt. Zu ihr ging es über den Rosinenexport nach England bis hin zu den Ereignissen, die Dénia dem Untergang weihten. All diese recherchierten Elemente legten mir automatisch Figuren nahe, die sie organisch tragen. So entstanden Isabel und alle anderen Charaktere.
Sie sind unglaublich produktiv, schreiben jedes Jahr mindestens einen Roman. Wie machen Sie das – haben Sie jeden Tag eine bestimmte Anzahl an Stunden oder Seiten, die Sie unbedingt geschrieben bekommen müssen?
Jedes Jahr schreibe ich zwei Romane. Eine Komödie und einen historischen Roman. Die Exposés entstehen im Spätherbst. Die historischen Romane schreibe ich von Mitte Januar bis März. Die Komödien meist in den Sommermonaten. Es gibt zwar Abgabetermine, doch in der Regel schreibe ich automatisch zwischen acht und zehn Seiten pro Tag – im Endspurt, wenn mich die Spannung selbst in die Geschichte zieht, auch mal fünfzehn. Mehr geht nicht, denn in meinem Alter ist es wichtig sich viel zu bewegen, was beim Tippen schlecht geht. (Tara Haigh lächelt.)
Wie lange brauchen Sie genau für ein Rohmanuskript wie das von „Der süße Duft der Reben“?
Für eine Komödie brauche ich um die fünf bis sechs Wochen. Für einen historischen Roman circa acht bis neun Wochen – am besten ungestört am Stück (was leider nicht immer gelingt). Das geht, weil ich bis auf das letzte Drittel, um den Figuren Freiräume zu geben, präzise vorplotte und gerade für die historischen Romane vor Schreibbeginn ausführlich recherchiere. Dazu kommen dann noch einige Wochen für Korrekturen nach den Lektoraten und ein Polishing. Im Prinzip bin ich ganzjährig damit beschäftigt.
Die Costa Blanca ist ein wunderschöner, sonniger Schauplatz. Haben Sie eine persönliche Beziehung zu dieser Küste?
In den Küstenstreifen und sein angenehmes Mikroklima habe ich mich auf Reisen während der Orangenblüte verliebt. Der Duft versetzt einen in einen wahren Glücksrausch. Dénia liegt zwischen den Megastädten Valencia und Alicante und bietet alles, was der Mensch zum Leben braucht. Schöne Strände, eine sehr gute Infrastruktur und herzliche Menschen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dort den sogenannten Herbst des Lebens zu verbringen – in sonnigen Gefilden schreibt es sich sowieso besser.