Marschlande

ISBN 978-3-10-397496-6

320 Seiten

€ 24

Die eine bewirtschaftet um 1570 gegen alle Widerstände einen großen Hof. Die andere stößt 500 Jahre später auf ihre Spur. Jarka Kubsova über ihren Roman „Marschlande“.

Jarka Kubsova im Interview über starke Frauen, Erwartungshaltungen und ihren Roman „Marschlande“

Marschlande

Frau Kubsova, herzlichen Glückwunsch – „Marschlande“ ist nominiert für das Lieblingsbuch der Unabhängigen Buchhandlungen! Was war der Impuls, der Sie dazu brachte, diesen Roman über zwei in völlig unterschiedlichen Epochen lebende Frauen zu schreiben?

Der Impuls war augenblicklich da, als ich auf die ersten Informationen zu dem Leben und dem Schicksal der Marschbäuerin Abelke Bleken gestoßen bin. Ich war berührt, bewegt, schockiert – und ich wollte sofort und dringend über das Leben dieser Frau erzählen.

Sie versetzen uns mit dieser Geschichte in die Mitte des 16. Jahrhunderts. Wer war Abelke Bleken und was für ein Leben führte sie in dieser Zeit?

Über Abelke Bleken ist überliefert, dass sie um das Jahr 1570 in den Hamburger Marschlanden einen großen Bauernhof allein und erfolgreich bewirtschaftet hatte. Damit war sie zu dieser Zeit eine Besonderheit, dadurch fiel sie auf, innerhalb der damaligen Gesellschaft allerdings nicht unbedingt im besten Sinne. Man muss annehmen, dass sie schon früh eine Außenseiterrolle hatte und im Gerede der Leute stand, was ihr später zum Verhängnis wird.

Abelke Bleken ist eine Kämpferin? Für was setzt sie sich ein?

In erster Linie kämpft sie für Ihren Hof, auch dann noch, als der von einer schweren Sturmflut getroffen wird. Von da an beginnt eine Abwärtsspirale, gegen die sie sich lange stemmt. Doch gerade weil Abelke allein ist und alleine kämpft, hat sie es unendlich schwer. Dazu kommt, dass man sie scheitern sehen wollte. Denn es gab Menschen, die ihre eigenen Interessen mit Abelke Blekens wertvollem Grundstück verfolgten. Abelkes Wehrhaftigkeit und Kampfgeist werden dann schließlich durch eine Hexereianklage beendet.

„Marschlande“ hat aber noch eine zweite Zeitebene: Britta Stoever lebt fast fünfhundert Jahre am gleichen Ort später und stößt dort auf Abelke Blekens Geschichte. Was macht das mit ihr?

Britta wird in einer fragilen Phase ihres eigenen Lebens auf das Schicksal von Abelke Bleken aufmerksam und kann sich dem nicht entziehen. Sie beginnt Forschungen anzustellen, sie stößt auf Ungereimtheiten in der Erzählweise über Abelkes Geschichte und versucht zu rekonstruieren, was damals wirklich vorgefallen sein muss. Das macht dann bald auch etwas mit ihrem eigenen Leben.

Was verbindet die beiden Frauen?

Sie sind vor allem durch Strukturen miteinander verbunden, durch die Form unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung: Sowohl der Kapitalismus als auch die Rolle der Frauen wurden zur Lebzeit von Abelke etabliert und hängen eng miteinander zusammen. Ich wollte mit Abelke eine Frau zeigen, die sich am Anfang dieser Prozesse befindet und mit Britta eine Frau dort, wo diese Prozesse aktuell stehen.

Womit hadert Britta Stoever in Ihrem Leben?

Als ob es die Leere und die Kargheit der Marschlande gebraucht hätte, wird Britta dort erst bewusst, wie sehr sie in der Rolle der Mutter und Ehefrau sich selbst, ihre Ziele und Wünsche aus den Augen verloren hat; wie viel sie von sich selbst aufgeben musste um die Erwartungen an sie als Frau zu erfüllen. Die Recherche zu Abelkes Geschichte lässt sie in größeren Zusammenhängen denken, sie erkennt das strukturelle an dem, was sie für ein individuelles Problem gehalten hatte.

Was zeichnet Abelke und Britta aus, was mögen Sie besonders an ihnen?

Sie sind mir beide auf ihre Weise arg an Herz gewachsen. Abelke war sicher eine Frau mit großem Mut und Kampfgeist und der bitter tragische Verlauf ihrer Geschichte lässt wohl niemanden kalt. Bei Britta hat es mir Spaß gemacht, sie mit dem besonderen Talent auszustatten, in Landschaften lesen zu können, durch Raum und Zeit zu sehen. In vielen Dingen ist sie zögerlich, eingeschüchtert, das musste so sein, das steht für etwas. Aber irgendwann nimmt Britta Anlauf und wagt etwas, es war toll, sie schreibend auf diesen neuen Weg zu bugsieren.

Würden Sie sagen, „Marschlande“ ist ein feministisches Buch? Ein wenig vermitteln Sie ja den Eindruck, dass wir in Sachen Frauenrechte so weit gar nicht vorangekommen sind?

Es geht nicht so sehr um Frauenrechte, die sehen zumindest in Deutschland auf dem Papier oder vor dem Gesetz nicht schlecht aus. Es geht in dem Buch – wie im Alltag – eher um subtilere Dinge: Was ist die Erwartungshaltung, der Anspruch an Frauen und was passiert, wenn sie nicht bereit sind, diese Erwartungen zu erfüllen, wenn sie sich ihnen entziehen? Wir leben in einer Gesellschaft, die vor allem die angepasste, gebende, lächelnde, ruhige Frau gutheißt und belohnt, eine, die sich selbst, den Haushalt und die Kinder (die sie sich natürlich wünscht) im Griff hat. Dort, wo eine Frau diese Ansprüche nicht erfüllt, muss sie immer noch mit Beschämung, Ausgrenzung, Verunglimpfung, mit Feindseligkeit bis hin zur körperlichen Gewalt rechnen.

Die Landschaft der Hamburger Marschlande ist ein ganz eigener Akteur in dem Roman. Was bedeutet Ihnen diese Gegend?

Ich finde sie faszinierend. Nicht unbedingt im Sinne von schön, sondern es ist eine Landschaft, in der greifbar und spürbar ist, dass Menschen sich seit Jahrhunderten an ihr abgearbeitet haben. Sowas interessiert mich, ich finde solche Landschaften extrem spannend, sie bergen existenzielle Geschichten. Eine davon ist die von Abelke. Ihr Schicksal ist sehr eng mit dieser Landschaft und den besonderen Bedingungen dort verknüpft.

Ihr Werk vermittelt angenehm nebenbei viel über die Geschichte der Marschlande, dies mitunter sehr konkret. Woher haben Sie Ihre Informationen? Wie haben Sie recherchiert?

Ich bin zum Glück nicht die erste, die die Region, die auch als Vier- und Marschlande bezeichnet wird, interessant findet. Es existieren dort so viele eigene Bräuche, Traditionen und Redensarten, dass schon sehr früh viel über das Leben der Marschbauern dokumentiert wurde, von den Bewohnern selbst aber auch von Außenstehenden. Auf diese Regionalliteratur konnte ich zugreifen und bin gern darin versunken. Darüber hinaus habe ich viel Zeit vor Ort verbracht, habe beobachtet, erkundet und mit Menschen gesprochen, die sich dort gut auskennen.

Schreiben Sie bereits an einem neuen Roman?

Ich weiß zumindest genau, worüber ich schreiben möchte. Gerade bin ich mit „Marschlande“ viel auf Lesereise unterwegs, was eine große Freude ist. Aber ein bisschen freue ich mich auch schon auf die etwas stillere Zeit, die ich am Schreibtisch mit dieser nächsten Geschichte verbringen kann.

ISBN 978-3-10-397496-6

320 Seiten

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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