
Ein brillanter Roman von erschreckender Aktualität
Dieser Roman, der von einer Gruppe erzählt, die für Außenstehende sektenartige Züge hat, sich selbst jedoch als überlegen empfindet, ist brillant erzählt und angesichts des Umsichgreifens von Verschwörungsideologien aktueller denn je. Jordan Tannhills Hauptfigur ist Lehrerin an einer Highschool im ländlichen Texas. Claire ist Ende dreißig, glücklich verheiratet und Mutter einer Tochter. Eines Abends aber hört Claire ein Geräusch, das sie nicht zuordnen kann. Es handelt sich um ein Summen, das von seiner Qualität her maschinellen Ursprungs sein, oder aber auch von einem Tier wie einer Mücke stammen könnte. Seltsamerweise kann weder Claires Mann das Geräusch hören, noch ihre pubertierende Tochter.
Bald ist Jordan Tannahills Hauptfigur Claire wie besessen
Da Claire sich aber sicher ist, dass das, was sie hört, wirklich existiert, begibt sie sich auf die Suche. Zunächst versucht sie, im Rahmen ihrer morgendlichen Joggingrunden herauszufinden, wo das Summen lauter wird und wo es abnimmt. Doch bleibt diese Suche erfolglos. Schon bald ist Claire wie besessen von dem Geräusch. Diese Tatsache und die bohrenden Fragen, wo das Summen herkommt und weshalb es sonst niemand hört, werfen Claire immer mehr aus ihrem gewohnten Lebensrhythmus. Sie wird schlaflos und unkonzentriert und fällt ganz allmählich bei ihrem eigentlich sehr verständnisvollen Ehemann in Ungnade. Auch in der Schule bemerken Schüler und Kollegen, dass mit Claire etwas nicht stimmt.
In ihrem Schüler, dem 17-jährigen Kyle, findet Claire einen Verbündeten
Umso erleichterter ist Claire, als sie herausfindet, dass einer ihrer Schüler das Summen auch zu hören scheint. So wird der 17-jährige Kyle zu ihrem Verbündeten. Fortan sind sie zu zweit auf den Spuren des Geräuschs unterwegs. In Claires SUV fahren die beiden eine Pipeline, das Gelände eines Rüstungskonzerns, einen 5G-Mast und andere verdächtige Stellen ab. Mithilfe einer App messen sie verschiedene Frequenzen, doch keine passt zu dem, was die beiden zu hören glauben.
Gesellschaftlich isoliert findet Claire Halt bei einer seltsamen Gruppe
Allerdings fällt das ungleiche Paar – Lehrerin und minderjähriger Schüler! –, das mitunter spät abends an seltsamen Orten aufkreuzt, schon bald negativ auf. Claires Kollegen und Kyles Mutter wittern eine missbräuchliche Affäre und erzwingen Claires Kündigung. Auch Claires Tochter und ihrem Ehemann fällt es immer schwerer ihre Manie zu tolerieren. Am Höhepunkt ihrer gesellschaftlichen Isolation stoßen Claire und Kyle über einen Aushang auf eine Gruppe Menschen, die auch das Summen hören.
Die Gruppe der „Hörenden“ macht quasi-orgiastische Erfahrungen
Anführer der „Hörenden“ sind der zwangspensionierte Physikprofessor Dr. Howard Bard und seine Frau. In ihrer Villa rufen sie regelmäßig Menschen zusammen, die das Summen wahrnehmen. Für Dr. Bard sind die Menschen, die das Geräusch hören können, Auserwählte mit einer besonderen, kosmologischen Wahrnehmungsfähigkeit. Und nicht nur das: Wer sich auf das Geräusch „einschwinge“, könne zu höheren Bewusstseinsebenen finden. Gemeinsam üben die Gruppenmitglieder, zu denen auch ein Verschwörungsideologe gehört, das „Einschwingen“ und steigern sich in quasi-orgiastische Erfahrungen hinein.
Claire und dem minderjährigen Kyle wird eine Affäre nachgesagt
Je mehr sich Claire mit der Gruppe identifiziert, umso mehr wird sie vom Rest der Gesellschaft ausgegrenzt, ihr Mann zieht sogar mit der gemeinsamen Tochter aus dem Familienheim aus. Und auch Kyle verlässt sein Elternhaus und wohnt fortan in einem Zelt im Park. Weil seine Mutter das Gefühl hat, der Junge sei Opfer einer Gehirnwäsche geworden oder jedenfalls in einer Art Liebesbeziehung mit der viel älteren Claire verbunden, schlägt sie Alarm.
Am Ende von „Das Summen“ eskaliert die Situation auf tödliche Weise
Da nun auch der Rest der Gruppe den Druck der Außenwelt spürt, verschanzt man sich in der Villa des Physikprofessors Dr. Bard. Nur hier, unter den Gleichgesinnten, fühlt man sich verstanden. Hier ist man sich einig: Es gibt dieses Summen und es ist gut, denn es eröffnet Sinneswahrnehmungen und emotionale Erlebnismöglichkeiten bis hin zum kosmologischen Orgasmus. Doch die Außenwelt ist nicht bereit, diese Wahrnehmungsdifferenz zu akzeptieren, geschweige denn als harmlos zu klassifizieren. Als schließlich die Villa belagert wird von Angehörigen und Polizei, von Übertragungswagen und Schaulustigen, und die Gruppe im Haus sich hierauf kollektiv „einschwingt“, eskaliert die Situation auf so ekstatische wie tödliche Weise.
Ein Lehrstück über die verschiedenen Formen von Wahrheit
Mit „Das Summen“ gelingt Jordan Tannahill ein so erschreckendes wie faszinierendes Lehrstück über Verschwörungsideologien und die verschiedenen Ausformungen von Wahrheit. Auf brillante Weise veranschaulicht der Schriftsteller die Mechanismen, die Sekten, Verschwörungsideologen und Fake-News-Propagandisten zusammenhalten. Dazu zählt das Gefühl der Wissensüberlegenheit, aber auch die Erkenntnis, dass die Innenperspektive einer sektenartig esoterischen Gemeinschaft schlüssig ist und ihre manipulativen Tricks und Widersprüche nur von außen erkennbar werden.
Marion Elskis liest das Hörbuch ruhig, weich und doch markant
Um seinen Roman glaubwürdig erzählen zu können, hat Jordan Tannahill ein repräsentatives und farblich fein abgestimmtes Ensemble an Figuren zusammengestellt. Seine Dialoge sind lebendig und realistisch. Deshalb ist die Wahl von Marion Elskis als Sprecherin auch so gelungen. Denn mit ihrer ruhigen und weichen, dabei aber markanten Stimme stellt sie sich exzellent auf die einzelnen Charaktere ein. Und so darf man die Hörbuchfassung dieses spannenden Romans ohne Einschränkung als kongenial bezeichnen.