Herr Hacke, wie heiter sind Sie heute und wieso?
Heute bin ich ziemlich heiter. Ich habe morgens mit meinem ältesten Sohn unsere jüngste Enkelin in die Kita gebracht, habe dann mit ihm in einem Café gefrühstückt und einen Spaziergang gemacht. Dann bin ich mit einem ICE gefahren, der pünktlich war. Jetzt arbeite ich, und abends gehe ich mit meinem jüngsten Sohn zum Essen in eines meiner Lieblingslokale. Wie soll man da nicht heiter sein?
In Ihrem Buch zitieren Sie Thomas Mann und sein Wort vom „durchheitern“, das er für seine Romane benutzte und das sein Mittel war, um sie besser lesbar zu machen: Haben Sie eine Methode, Ihren Alltag zu durchheitern?
Ich versuche, mir in jeden Tag mindestens ein, zwei Momente der Leichtigkeit und Entspanntheit einzubauen. Morgens ganz früh vor der Arbeit im See oder im Freibad schwimmen gehen. Oder eine halbe Stunde lang im Café lesen, bevor ich im Büro verschwinde. Oder mir den Abend komplett freihalten, um einfach Zeit für ein Buch zu haben oder mit meiner Frau in den Biergarten gehen – wonach immer mir gerade ist. Früher habe ich das oft nicht getan, aus Zeitmangel. Ich hätte es aber tun sollen.
Was hat Sie auf die Idee gebracht, ein Buch über die Heiterkeit zu schreiben – gab es ein konkretes Erlebnis?
Eigentlich war es eine Kette von Erlebnissen, eine schwierige Zeit, die sich über drei Jahre hinzog. Corona mit erheblichen finanziellen Verlusten, weil keine Lesungen stattfanden, ein schwerer Unfall und andere Krankheits- und Todesfälle in der Familie. Einer meiner besten Freunde starb nach langem Leiden. Ich habe mich gefragt, wie ich das überstehen kann, ohne schwermütig zu werden.
Sie wollten selbst heiter sein?
Genau. Ich schreibe meine Bücher ja oft, weil ich selbst etwas verstehen möchte. Und dann fragte mich mein guter Freund Andreas Lebert, der das Magazin ZEITWissen macht, ob ich einen Aufsatz über diesen Begriff schreiben wolle. Dabei habe ich entdeckt, wie vielschichtig der Begriff ist und welch lange Geschichte er hat, von den antiken Philosophen über Goethe und Thomas Mann bis zu uns heute. Und wie viel er uns bedeuten könnte und sollte. Als ich diesen Essay fertig hatte, habe einfach gleich weitergearbeitet für das Buch.
Sie werfen die Frage auf, ob wir heiter sein dürfen, obwohl die Zeiten – zum Beispiel im Hinblick auf die Klimakrise oder den Krieg in der Ukraine – ernst sind. Zu welchem Ergebnis kommen Sie?
Vielleicht muss man da erst mal kurz was zur Begriffsklärung sagen. Es gibt ja ein oberflächliches Verständnis, das Heiterkeit mit Lachen, Witzen, Alkohol in Verbindung bringt. Ich verstehe das ¬– wie viele andere vor mir – aber nicht so. Heiter zu sein, heißt nicht, das Schwierige zu verdrängen und schon gar nicht zu leugnen, sondern es gerade zu akzeptieren und zu verarbeiten, aus dem Schweren etwas Leichtes zu machen. Wir werden die Herausforderungen der Welt nicht nur im tiefen Ernst bewältigen, das schafft kein Mensch. Da werden Sie am Ende depressiv.
Was heißt das: aus dem Schweren etwas Leichtes zu machen?
Es heißt, das Leben als Ganzes zu sehen. Es ist nicht nur ernst und nicht nur komisch, es ist beides. Nehmen Sie mal Loriots Sketche und ziehen sie alles Komische ab: Dann sehen Sie tief traurige Menschen, die sich nicht mal über ein Frühstücksei verständigen können. Darüber hätte man lauter Tragödien schreiben können. Das hat Loriot aber nicht getan. Er hat uns unsere eigene alltägliche Komik gezeigt und dass man darüber nicht weinen muss, sondern lachen kann. Darin liegt etwas existentiell Tröstliches.
In „Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten“ schreiben Sie, sie selbst seien eigentlich kein heiterer Mensch, jedenfalls nicht durchwegs. Ihre Texte allerdings haben oftmals einen heiteren Vorder- oder Hintergrund. Könnte es sein, dass traurigere Menschen eher Heiteres produzieren können, weil sie das Heitere deutlicher wahrnehmen?
Da ist was dran. Peter Ustinov, einer der komischsten Menschen der Weltgeschichte, hat mal gesagt, Humor sei die komische Art, ernst zu sein. Das ist eine tiefe Wahrheit. Es heißt, der Komiker beschäftigt sich mit keinem anderen Thema als der Tragöde. Er tut es nur anders. Er macht eben das Schwere leicht. Vielleicht sind deshalb Menschen, die Komisches produzieren, im Alltag sehr ernst. Sie finden gerade in ihrer Arbeit den besten Ausweg aus der Melancholie.
Waren Sie schon immer eher ernst oder hat sich da im Laufe Ihres Lebens etwas verschoben?
Ich war jedenfalls (und bin es oft auch heute) ein ernsthafter, vom Leistungsanspruch geplagter, nicht zu alltäglicher Heiterkeit neigender Mensch mit manchmal hängenden Mundwinkeln. Aber meine Arbeit hat mir oft einen Ausweg daraus gezeigt. Schreiben war und ist für mich immer Freiheit, Gelöstheit, Entspanntheit. Das ist mir im Laufe der Jahre immer klarer geworden: was das für mich bedeutet.
Darf ich Sie um Ihre Stellungnahme zu einem persönlichen Erlebnis bitten: Als ich dreizehn Jahre alt war, starb mein Vater. Alle waren während der Beerdigung sehr traurig. Dann gingen wir zum Leichenschmaus ins Wirtshaus. Es dauerte kaum eine Viertelstunde, da erfüllte fröhliches Gerede den Saal. Mich irritierte dies als Kind heftigst: Mein Vater war tot und alle feierten. Heute empfinde ich es selbst als erleichternd, wenn es beim Leichenschmaus wieder fröhlich wird. Verändert sich die Fähigkeit zur Heiterkeit im Laufe des Lebens? Und hat dies vielleicht sogar einen Sinn?
Die Irritation verstehe ich. Der Tod eines Menschen bedeutet für jeden Zurückbleibenden etwas anderes, für manche ist es ein irreparabler Verlust, für andere nicht. Und so eine schöne Leich, wie man in Bayern sagt, hat ja auch was mit dem Zurückfinden ins Leben, mit einer Feier des Lebens im Angesicht des Todes zu tun. Ich habe schon ein paar Trauerreden halten müssen, und ich fand es immer wichtig, dass die Leute dabei auch lächeln können. Es wird ja ein ganzes Leben gewürdigt, und das ist selten nur ernst.
Hat Heiterkeit auch etwas mit dem Tod zu tun?
Ja, natürlich, sehr viel. Unser Leben endet nun mal mit dem Sterben, das ist für jeden Einzelnen von uns so, es nimmt niemanden aus. Und ich halte es für besser, das lächelnd zu ertragen als dem Ende angstvoll entgegenzublicken.
Gibt es Zeiten oder Orte, in denen Heiterkeit nun wirklich fehl am Platze ist oder sollten wir der Heiterkeit immer eine Spielfläche lassen?
Da müssen wir noch mal zum Begriff kommen. Für mich ist das nichts grell Komisches, sondern eher eine ruhige Gelassenheit, ein Lächeln viel mehr als ein Lachen, eine grundlegende Haltung dem Dasein gegenüber. Und die ist immer am Platze.
Sie erinnern an das Lachen des Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Ahrtal, das ihn die Kanzlerschaft kostete. Was sagt diese Episode über unser Verhältnis zur Heiterkeit in diesen Zeiten aus?
Für mich ist nicht sein Lachen das Problem gewesen, sondern der fürchterliche Ingrimm, mit dem der Mann dann verfolgt wurde. Hat Laschet über die Opfer gelacht? Das werden nicht mal seine schärfsten Gegner angenommen haben. Warum ist man dann nicht achselzuckend zu den wichtigen Themen übergegangen? Weil in unserer Welt, die zunehmend von den sozialen Medien bestimmt wird, nicht Gelassenheit belohnt wird, sondern stets der immer weiter eskalierende Furor, der sich vergrößert wie eine Lawine. Der Zorn ist Alltagsgefühl geworden, und wer ihn fürchtet, lebt in ständiger Vorsicht. Darin sehe ich wenig Sinn.
Wenn man die Sache ernsthaft betrachte, schreiben Sie, sei unser Leben ohne Heiterkeit nicht möglich. Heißt das, die Heiterkeit ist ein Trick, ein Kunstgriff, den wir Menschen anwenden, um das Leben überhaupt auszuhalten?
Nehmen Sie die Begriffe, die Sie wünschen. In meinen Augen ist es großartig, dass wir Menschen fähig sind, dem Dasein so etwas wie Heiterkeit abzugewinnen.
Aber macht sich der Heitere dann nicht mitunter auch etwas vor?
Tut das der Ernste nicht?
Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch mit Sempé, Sigmund Freud, der Bibel, Gerhard Polt, Max Giermann, Elena Uhlig, Loriot und vielen anderen. Gibt es eine Erkenntnis über die Heiterkeit, die Ihnen besonders am Herzen liegt?
Sempé, der großartige französische Zeichner, hat einmal einen Autor, dessen Namen er selbst nicht mehr wusste, mit dem Satz zitiert, der Mensch sei ein Wesen von untröstlicher Heiterkeit. Ein großartiger Satz: Wir sind beides, untröstlich und heiter. Dazwischen liegt das Leben.
Lüftet Ihr Buch auch das Geheimnis, wie es gelingt, ein heiterer Mensch zu sein?
Ich bin kein Ratgeber-Autor. Ich sage den Leuten nicht, was sie tun sollen. Diese ewigen Zehn-Punkte-Pläne zum Lebensglück wollen doch nur den Menschen das eigene Denken abnehmen: Tu, was ich dir sage, und alles wird gut. So funktioniert das aber nicht.
Wie dann?
Man muss sich schon selbst auseinandersetzen und selbst nachdenken. Das ist, was ich auch in diesem Buch tue: sozusagen öffentlich nachzudenken. Da kann jede und jeder sich anregen lassen und mit seinen eigenen Gedanken einhaken. Man braucht ein Ideal für die eigene Lebensführung. Für mich liegt es in Freundlichkeit anderen und sich selbst gegenüber, in Wohlwollen und Neugier, Distanz auch mal zum eigenen Leben und einer gewissen Gleichmut dem Unabänderlichen gegenüber. Übrigens hat mir die Arbeit an dem Buch tatsächlich geholfen, zu einer heiteren Haltung dem Leben gegenüber zu finden. Das finde ich eigentlich am besten an der Sache.