Die Erzählung „Ein guter Lapp in Unterjoch“ spielt auf dem Dorf
Josef lebt in einem Dorf, in dem der unbeliebte Bürgermeister Joch ausgesprochen viel Macht hat. „Er bestimmt, wer wen heiratet, er legt fest, wann wer wo krepiert“ und so hat Joch auch seine Schwiegertochter ausgewählt. Josef ist ein gewissenhafter und ordentlicher Maurer und Hochzeitslader. Ihm ist bewusst, dass niemand, absolut niemand, Joch wirklich mag. Die Dorfbewohner fürchten sich vor ihm und hoffen zugleich von seiner Macht zu profitieren.
Ein Entkommen aus der Enge des kleinen Orts scheint unmöglich
In dem Dorf kann man nicht mehr zwischen Brüdern oder Cousins unterscheiden, da alle Familien so eng miteinander verwoben sind, dass sie zu einer einzigen werden. Der Patriarch hat die volle Kontrolle über sie und ausbrechen aus dieser sozialen Hierarchie ist fast unmöglich. Fast, weil Josef es nicht mehr aushält und auch noch etwas von der Welt sehen möchte, bevor ihn der diagnostizierte Tumor umbringt.
Helena Adlers Helden Josef und Maria wagen den Ausbruch
Auch Maria, die künftige Schwiegertochter des Bürgermeistes möchte dem „Zwangsglück“ entkommen und so verlassen Josef und Maria den einzigen Ort, den sie je kannten, um der Unterdrückung zu entkommen. Zu erwähnen ist noch, dass Maria bereits schwanger ist, aber nicht von ihrem Verlobten bzw. Ehemann, sondern vom Bürgermeister, dem Herrscher des Dorfes.
„Unter die Erde“ erzählt von einem neugeborenen Kind
Es wird etwas geboren, was als „Nachtschattengewächs“ bezeichnet wird. Diese giftige Pflanze gilt es, gegen den Willen der Mutter, sofort zu vernichten, damit niemand daran zu schaden kommt, weshalb das neugeborene Etwas gleich unter der Erde begraben wird. Doch das vermeintlich Böse lebt unter der Erde weiter und stellt die Frage, wer gerade wen begraben hat. Ein Neugeborenes ist doch die Unschuld in Person, Hoffnung der Menschheit und es gibt keinen Grund jenes Wesen zu begraben.
Eine Geschichte über eine Gesellschaft, die keine Kritik zulässt
Unter der Erde erklingt nun ein Apell über die Schandtaten ein Kind zu begraben. „Gekrochen sollt ihr kommen, wenn die Erde bebt, denn ihr zündelt mit dem Fegefeuer“, stellt die Begrabene zornig fest. Helena Adlers Kurzgeschichte „Unter die Erde“ umfasst zwei Seiten und erzählt doch so viel über eine Gesellschaft, die keine Kritik zulässt und alles als Böse deklariert, was nicht in ihr Weltbild passt.
„Miserere Melancholia“ ist ein Text über den „Dämon Depression“
Der Dialog einer Person stellt ein Streitgespräch zwischen ihr selbst und ihrer Depression dar. Die Depression wird als „er“, Dämon oder Gnom bezeichnet und trotz der gegenseitigen Abneigung, sind sie abhängig voneinander. Sie sind sich so vertraut, wie mit keinem anderen Menschen und beide wissen, was der andere als nächstes tun wird. Und doch tauchen eben Konflikte auf, wobei sie sich gegenseitig in den Tod drängen (könnten).
Helena Adler schrieb „Miserere Melancholia“ für den Bachmann-Wettbewerb
Die Erzählung „Miserere Melancholia“ wurde für den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb verfasst und es lassen sich aus ihr auch Rückschlüsse auf Helena Adlers Leben ziehen. Das Ich in diesem Text ist der festen Überzeugung, dass es von dem „Gnom“ aufgesucht wird, damit er ihr Leben zerstört: „Er machte mir die Tagträume madig, und sobald ich mich aufraffte, um aufzustehen, beschwerte er meine Beine mit Blei, und ich schritt voran wie ein Schlachtschaf zum Schafott, ein Lamm Gottes, das sich seine Zukunft vergegenwärtigte.“
Wer ist schuld an der Depression? Woher kommt sie? Warum gibt es sie?
Dann aber spricht der Dämon: „Und ich weiß, dass du mit mir gerechnet hast. Du rechnest immer mit dem Schlimmsten.“ Somit stellt sich die Frage, wer denn wirklich die Personifizierung der Depression ist. Das Ich, das keine Lebenslust verspürt und seinen Weggefährten loswerden will oder der Dämon, der teilweise Lebenslust aussprüht? Am Ende stellt sich heraus, dass beide Gestalten sich einander ähneln und nicht ohne einander leben können. „Ich hab dich. So, wie man eine Krankheit hat“. Der Konflikt mit sich selbst kann vermutlich nicht ganz geheilt werden, aber wie es scheint, sollte man das Beste daraus machen.
Helena Adlers Anthologie „Miserere“ vereint drei Meisterwerke
Die Erzählungen in „Miserere“ werden alle durch ein bestimmtes Motiv verbunden: die Schwermut. Es ist eine Schwermut, die sicher auch Helena Adler erfasst hatte, als sie die Diagnose Krebs bekam und von der auch ihre Leserschaft erfuhr. Diese drei kleinen Meisterwerke sollten allen in Erinnerung rufen, was das Privileg zu leben bedeutet.