Frau Bluhm liest „Lost Souls“: 4 von 5 Blu(h)men
Eine Archäologin stößt auf mysteriöse Ereignisse und Todesfälle
Als die Archäologin Jessika Raapke zu einem Fund nahe der mitteldeutschen Stadt Hameln gerufen wird, betrachtet sie diesen zunächst als unerwartete Chance, ihre Karriere voranzutreiben. Immerhin gibt es Aufträge für Archäologen innerhalb von Deutschland nicht wie Sand am Meer und Jessika ist neu in der Gegend, weil sie nach dem unerwarteten Tod ihrer besten Freundin die Vormundschaft für deren 16-jährige Tochter Leonie übernommen hat. Doch bei der durch Restaurieren zufällig freigelegten Fundstelle häufen sich mysteriöse und brutale Vorkommnisse. Auch in der näheren Umgebung gibt es plötzlich einen rasanten Anstieg von Unfällen und merkwürdigen Todesfällen. Eines haben diese Ereignisse alle gemeinsam: Ratten. Auch Schädlingsbekämpfer Peter sichtet mehrere außergewöhnliche Begebenheiten rund um die Kanalisation von Hameln und macht sich schon bald gemeinsam mit Jessika und Leonie auf, um das bizarre Verhalten der Ratten genauer unter die Lupe zu nehmen, angefangen bei dem Waldhaus, in dem die beiden Frauen leben, und das laut örtlicher Sagenkunde schon immer von Geistern heimgesucht wurde …
Das Buch basiert auf (sehr vielen) nachweisbaren Fakten
Zunächst einmal ist zu sagen, dass man sich bei der Lektüre dieses Romans unbedingt vor Augen halten sollte, dass man die Vorkommnisse keinesfalls unter realistischen Aspekten betrachten darf. Es ist das, was es ist: ein Horrorthriller. Überirdische und unrealistische Aspekte inbegriffen. Wenn man sich darauf einlässt, erwartet einen ein unglaublich gut recherchiertes und durchdachtes Buch. Fast schon etwas zu recherchiert, da der Autor, so lässt er uns auch im Nachwort wissen, wirklich viele tatsächliche Fakten eingearbeitet hat. An manchen Stellen ist das etwas langatmig und stört den Spannungsbogen. Man bekommt das Gefühl, dass Thomas Finn da alles unterbringen wollte, was er bei seiner Aufarbeitung des Themas gefunden hat. Was einerseits unglaublich interessant ist, da es verblüffend viele Fakten gibt, auf die sich diese fiktive Geschichte stützt, andererseits ist das wirklich mein einziger gewichtiger Kritikpunkt. Ein klein wenig weniger wäre da mehr gewesen.
Die Sage des Rattenfängers von Hameln ist kunstvoll eingearbeitet
Apropos Fakten, denn die gibt es wirklich. Wie ihr euch vielleicht bereits gedacht habt, stützt sich der Horrorthriller auf die Geschichte des berühmt-berüchtigten Rattenfängers von Hameln. Der soll laut Sage, unter anderem erzählt von den Brüdern Grimm, im Jahr 1284 von der Obrigkeit der Stadt Hameln engagiert worden sein, um der Rattenplage, die die Stadt damals fest im Griff hatte, Herr zu werden. Doch er wurde um seinen Sold geprellt und so nahm der Rattenfänger eines Nachts seine Flöte, und lockte damit alle Kinder der Stadt in die nahegelegenen Berge. Sie wurden nie mehr gesehen.
Die Lektüre von „Lost Souls“ regt zum Weiterrecherchieren an
Was wie ein gewöhnliches Märchen klingt, welches Kinder dazu anregen soll, nur ja brav auf seine Eltern zu hören und immer folgsam, großzügig und rechtschaffen zu bleiben, unterliegt wirklich vielen nachgewiesenen Fakten, die Thomas Finn alle in seinem Buch verarbeitet. Wer sich für sowas interessiert, der bekommt hier viele Anstöße. Ich bin mir sicher, dass die Lektüre von „Lost Souls“ für viele Leser der Beginn weiterer Recherchen zu dem Thema sein wird. Ich gebe zu, sogar ich habe beim Lesen etwas gegoogelt, und werde mir vielleicht sogar mal bei einem meiner geliebten Roadtrips das Burgtor der Stadt Hameln ansehen. Lustiger Fakt: Selbst heute noch ist in der Gasse, die zum Tor hinausführt, das Spielen jeglicher Musik strikt verboten. Sicher ist sicher.
Schockmomente, Mystik, Grusel – hier ist Gänsehaut garantiert
Doch auch jenseits der Faktenlage bietet „Lost Souls“ sehr interessante und vor allem spannende Momente. Und ganz ehrlich: Wer würde sich bei dem Gedanken an eine riesige Meute überintelligenter, bestens organsierter Mörderratten nicht gruseln? Und so mysteriös und unrealistisch es vielleicht klingt, Thomas Finn hat es hier geschafft gerade so viel tatsächliche Fakten einzuarbeiten, dass der gruseligen Grundstimmung des Buchs so viel Realismus zu Grunde liegt, um die Gänsehaut auf den Unterarmen und im Nacken quasi einzuzementieren. Durch das Grundlevel von beklemmender Atmosphäre, Schockmomenten und einem Hauch Mystik wird die Geschichte zum interessanten Pageturner und spukt einem auch dann noch im Kopf herum, wenn man die Lektüre abgeschlossen hat.
Ratten werde ich in Zukunft ganz genau im Auge behalten
Ich jedenfalls werde die langschwänzigen, mit ohnehin schon schlechtem Ruf behafteten Schädlinge in Zukunft ganz genau im Auge behalten. Vielleicht lasse ich auch in nächster Zeit rein pro forma meinen Kater im Bett schlafen. Win-Win-Situation. Und wie gesagt: Sicher ist sicher.