Frau Fluor, Herr Campi, in „Kopfschuss“, dem ersten Fall Ihrer neuen Serie „Kapo Bern“, wird ein junger Kosovare vor einem Friseursalon in Bern mit einem Kopfschuss hingerichtet. In welche Richtungen deuten die Ermittlungen?
Fluor: Man steht vor einem Rätsel. Hat man es hier mit einer Abrechnung zu tun, ist es Blutrache, hat das Opfer kriminelle Beziehungen gepflegt, obwohl es bei der Polizei unbekannt war? Alles ist zu Beginn noch offen.
Jonas Bauer ist ein erfahrener Ermittler, mit dem nicht so einfach zusammenzuarbeiten ist. Jetzt bekommt er Kristjan Berisha an die Seite gestellt. Geht das gut?
Campi: Anfänglich droht die Zusammenarbeit der beiden klar zu scheitern, doch durch den Mordfall, der sich gleich am ersten Tag der neuen Partnerschaft ereignet, landen die beiden in einem ziemlich außergewöhnlichen Fall, der sie automatisch, trotz Gegensätzen, zusammenschweißt.
Was zeichnet Jonas Bauer und Kristjan Berisha als Menschen aus? Wo liegen ihre Schwächen?
Fluor: Jonas Bauer ist schon so lange bei der Polizei dabei, dass er ziemlich festgefahren in seinen Mustern ist und sich mit neuen Partnern an seiner Seite schwertut. Er vergrault einen nach dem anderen, da keiner ihm wirklich passt. Seine Ansprüche scheinen nicht erfüllbar zu sein. Bis Berisha kommt. Kristjan hingegen ist ein junger, dynamischer Polizist mit Migrationshintergrund. Er weist ein großes Interesse an der Tätigkeit als Kriminalist vor und ist wissbegierig. Er ist auch offen gegenüber anderen Menschen und Kulturen. Eine Schwäche ist vorerst nicht ersichtlich, wobei im Laufe der Geschichte eine ebensolche bei der Witwe des Opfers zu erahnen ist.
Jonas Bauer war früher ein „Schwinger“. Das müssen Sie bitte für Ihre deutschen Leserinnen und Leser erklären. Was ist das?
Campi: Schwingen ist eine Schweizer Sportart, die ursprünglich aus dem Alpenraum stammt. Auf einer runden, mit Sägemehl gepolsterten Fläche findet ein Zweikampf statt. Die beiden Kontrahenten tragen eine aus Zwilch gearbeitete kurze Hose. Beide halten den Gegner an dieser Schwingerhose fest und versuchen ihn auf den Rücken, respektive auf den Boden zu verfrachten. Der Sieg ist gültig, falls der überlegene Schwinger den Unterlegenen mit mindestens einer Hand an der Schwingerhose festhält und der Unterlegene den Boden mit beiden Schulterblättern oder mindestens zwei Drittel des Rückens berührt.
Setzt Bauer diese Fähigkeit auch als Polizist ein?
Fluor: Nein, definitiv nicht. Er ist der typische, alteingesessene Polizist, der nicht mehr in Situationen kommt, wo seine körperlichen Stärken vonnöten sind. Wobei sich die Frage stellt, ob er diese noch aufweist, da er sich die letzten Jahre eher dem ungesunden Lebenswandel hingegeben hat. Er zieht auch die friedlichen Ermittlungen klar dem Handgemenge vor.
Was lustig ist: Bauer ist genervt von Berishas Auto …
Campi: Ja, das ist eine typische Szene, wo wir eine Prise Humor eingebaut haben. Wir haben immer mal wieder mit den gängigen Klischees gespielt. Über die Kosovaren sagt man gern, dass sie immer die getunten und meist auch die auffälligeren Fahrzeuge fahren, während viele Schweizer, vor allem die „Bünzlis“ …
… das sind Spießbürger …
… das Auto gerne als Mittel bezeichnen, mit dem man von A nach B fahren kann, meist mit der Abschlussbemerkung „Ich brauche kein teures oder protziges Auto“. Als Bauer und Berisha zu ihrem ersten Mordfall zum Wankdorf fahren wollen, gibt der alte Volvo von Bauer den Geist auf. Sein neuer Partner Berisha bietet daher sein Privatauto an, einen aufgemotzten BMW, der nicht nur das Klischee erfüllt, sondern auch an Bauers Bünzli-Nerven zehrt.
Der Fall, den die beiden Kripo-Männer zu lösen haben, reicht zurück bis in den Kosovo-Krieg. Gibt es einen wahren Fall, der Sie zu Ihrem Kriminalroman inspiriert hat?
Fluor: Diese Idee stammt von Sascha, da er viele Kosovaren kennt, welche ihm auch viel über die entsprechenden Hintergründe erzählt haben. Das Wissen über den Kosovokrieg und dessen Motive stammen von meinem Co-Autor.
Sie erzählen Ihre Geschichte nicht nur auf zwei Zeitebenen – Kosovokrieg und Gegenwart –, sondern auf der Gegenwartsebene auch noch aus verschiedenen Perspektiven. An den Mordgeschehnissen zum Beispiel nehmen wir direkt teil. Welche Überlegungen stecken hinter dieser Entscheidung für die verschiedenen Perspektiven?
Campi: Für mich ist Kurzweiligkeit eines der wichtigsten Merkmale meiner Bücher. Ich versuche unnötige Ausschweifungen zu vermeiden und halte mich meist sehr kurz, wodurch der Spannungsbogen auch öfters in die Höhe schlägt, das hoffe ich zumindest. Es bedeutet zwar, dass meine Bücher keine 500 Seiten lang werden, hat aber den Vorteil, dass sich auch Personen an meine Bücher wagen, welche sonst nicht so viel lesen. Das schönste Kompliment, welches ich bereits das eine oder andere Mal erhalten habe, war folgendes: „Ich lese normal keine Bücher, doch deines habe ich gelesen. Wann kommt das nächste?“
Frau Fluor, Sie sind studierte Juristin, haben die Polizeischule besucht und arbeiteten für die Kantonspolizei Zürich. Ist „Kapo Bern“ hart am Polizeialltag geschrieben?
Fluor: Es gibt bestimmt Parallelen, ich habe auch Wert darauf gelegt, dass gewisse Sachen möglichst realitätsnah beschrieben wurden. So der Besuch bei der Obduktion, dort ist der Kriminalbeamte tatsächlich, wenn immer möglich, mit dabei. Auch die Tatsache, dass die Kriminalpolizei für die meisten das höchste zu erreichende Ziel ist, stimmt. Ich würde behaupten, in diesem Buch gibt es keine Szene, die komplett falsch dargestellt ist. Wobei natürlich die einzelnen Abläufe und Vorgehen bei jedem Korps wieder unterschiedlich sind, so ist die Basis wie hier vorgestellt.
Warum sind Sie nicht Polizistin geblieben?
Fluor: Ich konnte wegen meiner Frontuntauglichkeit aufgrund eines Unfalls nicht bleiben.
Hätten Sie das Buch auch so schreiben können, ohne diesen interessanten beruflichen Background?
Fluor: Niemals, denn ich habe bewusst persönliche Erfahrungen und Erlebnisse mit eingebaut. Ohne meinen Background hätte ich dieses Wissen nie gehabt, wie man einen Mordfall löst. Da ich dies aber persönlich kennenlernen durfte, konnte ich aus dem Vollen schöpfen. Und ja, ich war auch bei Obduktionen mit dabei.
Herr Campi, Sie sind Krimiautor. Wie haben Sie mit Claudia Fluor zusammenbearbeitet? Saßen Sie gleichzeitig am selben Computer?
Campi: Nein wir haben uns drei- bis viermal persönlich getroffen, jedoch unzählige Stunden telefoniert. Ich habe die ungeraden Kapitel geschrieben und Claudia die geraden Kapitel. Es gab einen Plot, doch hatte jeder seine Freiheiten in den Kapiteln. Man durfte sich immer auf das Kapitel des anderen freuen und manchmal zerbrach man sich auch den Kopf über die neuen Wendungen, die der andere überraschend eingebaut hatte. Bei Claudia konnte ich im Ermittlungsteil nicht viel beisteuern, da ist sie die Fachfrau. Jedoch konnte ich beim Kürzen und gewissen Wendungen mithelfen. Claudia bremste mich zwischendurch bei meinen Phantasieausschweifungen und bat mich auch immer mal wieder auf dem Boden der Realität zu bleiben, wofür ich ihr sehr dankbar war. Die Zusammenarbeit mit Claudia hat enorm viel Spaß gemacht.
Wenn Sie sich nicht einig waren – hat es auch mal zwischen Ihnen gekracht?
Campi: Nein, es hat nie gekracht und ehrlich gesagt auch keine Uneinigkeiten gegeben. Wir hatten von Anfang Art eine angenehme Art der Kommunikation und jeder von uns ein gutes Gespür für den anderen. Im Privaten, wir beide sind mittlerweile auch gut befreundet, waren wir öfters anderer Meinung, doch auch da haben wir gelernt, dass man sich nicht überall einig sein kann.
Die Story spielt, wie es der Titel „Kapo Bern“ bereits andeutet, in der Schweizer Hauptstadt. Ist das wirklich ein so brutales Pflaster, wie von Ihnen geschildert?
Campi: Nein, überhaupt nicht! Doch hätten wir einen Krimi komplett der Realität entsprechend geschrieben, wäre es wohl eine „Gute-Nacht-Geschichte“ geworden. Klar ereignen sich auch in Bern Tötungsdelikte. Einer der bekanntesten war sicher der Fall Zwahlen. Er soll seine Frau ermordet haben. Ein besonders umstrittener Fall, bei dem es heute noch zwei Lager gibt: die einen, die an seine Schuld, und die anderen, die an seine Unschuld glauben. Doch solche Fälle sind eine Seltenheit.
Bauer und Berisha sind als Serienermittler angelegt. Worum geht es im zweiten Fall?
Campi: Bauer liegt im Koma. Berisha tritt während dieser Zeit in seine Fußstapfen und erhält eine neue Partnerin mit italienischen Wurzeln, die von der Kapo Zürich strafversetzt wurde, weil sie sich mit dem Polizeikommandanten verstritten hat. Gleichzeitig taucht ein Serienmörder auf, der über zwanzig Jahre lang nicht mehr aktiv war. Der Täter hatte seine Opfer früher über Zeitungsinserate angelockt und jetzt, über zwanzig Jahre später, führt er sein diabolisches Treiben über die Onlinedating-App Tinder weiter. Auch der zweite Teil spielt sich in zwei Zeiten ab, jedoch diesmal im selben Land. Zum einen erlebt man Bauer als jungen Mann bei seinem ersten Fall, denn er jagte den Killer bereits vergebens. Und zum anderen Berisha und seine neue Partnerin in der Gegenwart. Am Ende verstrickt sich dann alles.
Was sind direkt jetzt Ihre nächsten Pläne?
Campi: Aktuell arbeite ich an vier Buchprojekten für 2022/2023. Zum einen mit Claudia an „Kapo Bern – Eiskalt“, also dem zweiten Teil, zum anderen an einem Krimi mit dem Titel „Das Zähmen der Bestie“, mit dem ich auch in Deutschland noch besser Fuß fassen möchte und dann bin ich noch an zwei weiteren Büchern dran, über die ich noch nicht viel sagen darf und kann. Das eine wird eine Biografie einer bekannten Rotlicht-Koryphäe sein. Ich freue mich auf die neuen Bücher und auch auf die weitere Zusammenarbeit mit dem Werd & Weber Verlag in Thun. Ich bin meiner Verlegerin Annette Weber und ihrem Verlagsleiter Lukas Heim sehr dankbar, dass Sie mich und meine Buchprojekte mit so viel Herzblut unterstützen. So macht das Schreiben gleich doppelt Freude!
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