Frau Bluhm liest „Kalter Schnitt“: 4 von 5 Blu(h)men
Ein abartiger Psychopath jagt in Daniel Holbes „Kalter Schnitt“ rothaarige Frauen
Seit über 20 Jahren ermittelt Julia Durant nun schon in Frankfurt. Nichts kann die taffe Kommissarin stoppen: Private Probleme, die Eskapaden ihres Partners Frank Hellmer, die Jagd nach den widerwärtigsten Psychopathen der Stadt … noch nicht mal der viel zu frühe Tod ihres einstigen Schöpfers Andreas Franz. Julia Durant ermittelt seit diesem August in ihrem 17. Fall, bereits das 5. Mal unter der Federführung von Autor Daniel Holbe, der damals das Werk von Franz weiterführte. Und dieses Mal hat ein ganz besonders abartiger Psychopath es auf rothaarige Frauen in der Mainmetropole abgesehen!
Von Julia Durant zu lesen, ist wie mit einer Freundin am Main zu spazieren
Kurz zur Zusammenfassung: Julia Durant, mittlerweile 51, ermittelt nach wie vor mit ihren Kollegen Frank Hellmer, Doris Seidel und Peter Kullmer in der Mordkommission. Doch ihr hochgeschätzter Vorgesetzter Berger hat sich Ende des Jahres in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Sein Nachfolger ist kein anderer, als Julias Lebensgefährte Claus, der dafür extra von München nach Frankfurt und zu Julia in die Wohnung zieht. Und wäre dies an emotionalem Stress für die einsame Löwin Julia nicht genug, treibt ein besonders widerwärtiger Mörder sein Unwesen in Frankfurt: Eine weibliche Leiche wird in der Kennedyallee gefunden: Mittleres Alter, rothaarig, eindeutig gut situiert. Der Mörder hat sie missbraucht, verstümmelt, ihr die Klitoris entfernt und getötet. Schnell bekommt der Täter von der Presse den Namen „Schnitter“ verpasst. Für Julia beginnen die Ermittlungen, die von Anfang an unter Hochdruck laufen, denn wer kann wissen, wann der Schnitter wieder zuschlägt?
Bereits der Prolog von „Kalter Schnitt“ raubt einem den Atem
Wie für die Reihe üblich, eröffnet auch dieses Mal der Autor sein Buch mit einem Prolog, der außerhalb des sehr deutlich gesteckten Zeitfensters des weiteren Romans stattfindet. Keiner weiß, wann es passiert, jeder weiß, was auf einen zukommt, denn spannende Prologe gehören zu jedem Durant-Roman, wie Baustellen auf die A3. Dieses Mal hat sich Daniel Holbe beim Schreiben dieses Prologes selbst übertroffen. Ich kann mich an keinen Auftakt der Reihe erinnern, der so eindringlich, schonungslos und bedrückend fesselnd gewesen wäre. Bereits auf den ersten Seiten folgen wir Autor Daniel Holbe in die finstere Welt des käuflichen Sex, nichts wird beschönigt, nichts wird weißgewaschen. Ehrliche Worte, die uns Frankfurts, und der Menschheit dunkle Seiten zeigen. Wir werden hineingeworfen in die Subkultur der Prostitution, die man als Fast-Frankfurterin, wie ich es bin, natürlich kennt, aber irgendwie auch doch nicht. Und wie schon von früheren Teilen der Serie gewohnt, werden wir ins Buch mit einem großen, beklemmenden, schockierenden Knaller entlassen.
Daniel Holbe fesselt auch mit dem Privatleben seiner Helden
Mit Julia Durant gemeinsam fangen die Ermittlungen an. Es gibt ein großes Wiedersehen mit allen alten Freunden, die man über die Jahre hinweg begleiten durfte: Frank Hellmer und seiner Frau Nadine, mit Doris und Peter, die sowohl privat als auch beruflich ein Spitzenteam sind, und mit allen anderen wohlbekannten Gesichtern. Man hat als Leser fast das Gefühl, die alte Clique wieder zu treffen.
In „Kalter Schnitt“ beschäftigt sich Daniel Holbe wieder viel mit dem Privatleben seiner Polizisten. Ich glaube, hier liegt auch das Geheimnis seines stetigen Erfolges mit Julia Durant und Kollegen: Über die Jahre hinweg sind sie einem so ans Herz gewachsen, einfach weil sie alles andere als perfekt sind. Wir als Leser sind durch Höhen und Tiefen mit „unseren Lieblingen“ gegangen und wenn wir wieder einmal mit Julia durch eine Beziehungs- und Sinnkrise gehen, werden wir sie uns „anhören“, weil wir das für jede unserer anderen Freundinnen doch auch tun würden. So wird dieses „Außenrumgeschreibe“, das einem in jedem anderen Roman vielleicht zu viel wäre, zum Erwünschten, denn egal, was sie erlebt hat, Julia Durant ist über die ganze Zeit hinweg zu einer Freundin geworden.
Die „Hauptdarstellerin“ Frankfurt zeigt ihre Schattenseiten
Der bedrückend schonungslose Tonfall, der schon im Prolog eingeführt wird, setzt sich im ganzen restlichen Buch fort. Holbe baut meiner Meinung nach zwar keinen immensen Spannungsbogen auf, hält aber die erschreckende Grundstimmung von Anfang an. Man merkt, dass er viel über das Thema „weibliche Beschneidung“ und „Kindesmissbrauch“ recherchiert hat. Beides Themen, die dazu einladen Beklemmung beim Leser hervorzurufen. Holbe schafft es allerdings die Waage zwischen Ekel und Spannung gut zu halten. Zum Ende hin zieht er die Spannung nochmal deutlich an, und wartet dann mit dem für ihn so typischen überraschenden Ende auf. Durch den für ihn charakteristischen Perspektivenwechsel zwischen Mörder und Ermittler wird diese Stimmung noch verstärkt.
Bei aller Begeisterung: Ich habe auch einen Kritikpunkt!
Leider kommt es mir fast so vor, als hätte Daniel Holbe dieses Mal etwas zu viel Information in seinen Roman gepackt. Er geizt nicht an Nebenhandlungssträngen, die allesamt gut erdacht und aufgebaut sind, in der Mitte des Buches hält man als Leser dann aber fast schon zu viele lose Enden in der Hand, die man zum Schluss hin in Lichtgeschwindigkeit zu einem Wandteppich verknüpfen muss.
Dies ist aber auch wirklich der einzige Kritikpunkt am 17. Fall der sympathischen Ermittlerin Julia Durant. Für alle, die wie ich seit 20 Jahren treu an ihrer Seite stehen, ist das Lesen dieses Buches sowieso ein Muss. Natürlich verrate ich hier nichts über die offenen Ermittlungen. Was ich aber verraten kann, ist, dass gerade privat am Ende des Buches noch einige spannende Baustellen offenbleiben. Von daher können wir uns wohl jetzt schon mal auf ein Wiedersehen im 18. Fall freuen.
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