ISBN 978-3-7725-3030-2

283 Seiten

€ 24,00

Sie war selbst eine Schlaflose und begab sich deshalb auf Ursachensuche. Im Interview über ihr Buch „Einschlafen“ verrät Bregje Hofstede, was sie herausfand.

Bregje Hofstedes Buch „Einschlafen“ ist ein besonderes Buch über Schlafprobleme

Titelbild Einschlafen

Frau Hofstede, Sie sind eine gefeierte Romanautorin. Warum haben Sie ein Sachbuch über das Schlafen geschrieben?

Wenn ich ein Problem habe oder mich etwas gedanklich stark beschäftigt, habe ich immer Lust, etwas darüber zu lesen: damit ich es verstehe und auch, damit ich mich weniger allein damit fühle. Ich habe etwa zehn Jahre lang mit Schlaflosigkeit gekämpft. In dieser Zeit ist in mir das Bedürfnis entstanden, darüber zu lesen. Allerdings fand ich außer einiger schöner Gedichte nicht das richtige Buch. Mit „Einschlafen“ habe ich im Grunde das Buch geschrieben, das ich selbst als Schlaflose gerne gelesen hätte.

Es gibt ja viele Bücher über das Schlafen, aber Ihres ist ein besonderes, richtig?

Die meisten Bücher über Schlaf konzentrieren sich vor allem auf das Gehirn. Sie zeigen, was schief läuft im Gehirn, und wie schlimm es ist, wenn wir zu wenig schlafen. Und sie wiederholen einige Tipps, die man, wenn man schon lange nicht schlafen kann, wahrscheinlich schon ausprobiert hat: zum Beispiel weniger Kaffee trinken, keine Bildschirme direkt vor dem Schlafengehen, tagsüber ein bisschen mehr Sport machen … Ich hatte all diese Tipps auch schon ausprobiert, aber es hat nichts geholfen. Zu lesen, wie schlimm meine Schlaflosigkeit war und wie sehr das die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass ich Krebs bekommen würde, war auch nicht gerade beruhigend und hilfreich.

Und Ihr Gehirn ändern konnten sie ja auch nicht …

Genau. Ich fragte mich also: Was machen, wenn mir ein geänderter Lebensstil nicht ausreichend hilft? Was bleibt da noch für Hoffnung? Ich hatte das starke Bedürfnis nach einem weiteren, breiteren Blick auf den Schlaf. In meinem Buch versuche ich also, etwas zu hinzuzufügen zu der üblichen Geschichte vom Schlaf, und einen breiteren Kontext an Themen zu beleuchten, die auch ganz wichtig für unseren Schlaf sind. Wir sind ja keine isolierten Gehirne – wir leben in einer komplexen Welt mit vielen anderen Menschen zusammen. Gefühle von Einsamkeit zum Beispiel beeinflussen sehr stark unsere Nächte. Ebenso wie finanzielle Probleme, eine Arbeit, die permanenten Zeitdruck mit sich bringt oder ein Alltag, in dem wir ständig in unserem Handy verschwinden und eigentlich nie richtig vor Ort sind. Wenn man sich diese Sachen vergegenwärtigt, wird das Problem der Schlaflosigkeit zwar komplexer, aber man gewinnt auch eine Möglichkeit, etwas zu ändern. Wie gesagt: Unser Gehirn können wir nicht ändern, da sind wir hilflos; aber wenn wir das Problem breiter betrachten, dann lässt sich da schon etwas machen.

Was ist für Sie das Schlimmste am Nicht-Schlafen-Können?

Die Hilflosigkeit: Man kann sich nicht zum Schlafen zwingen. Je mehr man sich zu schlafen bemüht, desto weniger gelingt es einem. Und man fühlt sich nachts allein.

Hat das Nicht-Schlafen auch etwas Gutes an sich?

Ja! In meinem Buch erkläre ich, wie besonders Schlaflose sind, wie sie sich von den meisten anderen Menschen unterscheiden. Sie sind überdurchschnittlich aufmerksam, aktiv und wachsam: Alles, was man so im Körper und im Gehirn messen kann – den Herzschlag, den Cortisol-Pegel, die Körpertemperatur, die Gehirnaktivität und so weiter, ist bei ihnen ziemlich hoch. Und zwar sowohl nachts, als auch tagsüber. Wegen dieser Wachsamkeit ist der chronisch schlaflose Mensch tagsüber, trotz mangelnden Schlafs, eigentlich immer noch sehr aufmerksam und funktioniert erstaunlich gut. Man sieht oft Forschungen die behaupten, Schlafmangel sei katastrophal für die Leistungen tagsüber, aber diese Studien macht man fast immer mit Menschen, die normalerweise gut schlafen können, und nur für die Forschung wach gehalten werden. Macht man die gleichen Versuche mit echten Schlaflosen, sind die Ergebnisse ganz anders. Und wenn es einem gelingt, Schlaflose besser schlafen zu lassen, so werden ihre geistigen Leistungen überdurchschnittlich. Die andere, die gute Seite der Medaille der Schlaflosigkeit, ist also oft ein scharfer, aufmerksamer Geist.

Wie hängen Nicht-Schlafen, Angst und Depression zusammen?

Eines der überraschenden Ergebnisse meiner Suche nach dem Schlaf, war der enge Zusammenhang zwischen Angst, Depression und Schlaflosigkeit. Üblicherweise wird behauptet, Schlaflosigkeit verursache Stimmungsschwankungen. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Genetisch, aber auch in ihrer Wirkung auf das Gehirn, sind Schlaflosigkeit und Depression so ähnlich, dass Schlafwissenschaftler jetzt vermuten, dass Nicht-Schlafen, Angst und Depression drei Ausdrucksformen eines einzigen Problems sind: Nicht schlafen zu können, hat genau genommen ganz wenig zu tun mit dem Schlaf. Die physischen Strukturen und Systeme, die unseren Schlaf organisieren, und die Gene, die mit dem Schlaf zusammenhängen, haben eigentlich nichts mit der Schlaflosigkeit zu tun. Nicht schlafen hat aber ganz viel zu tun mit Stimmung, mit Angst und Depression. Und wir wissen auch, dass die Umgebung die Stimmung ganz stark prägt; und damit auch den Schlaf. Wenn man das weiß, kann man Schlaflosigkeit erfolgversprechender angehen als mit neuen, blickdichten Vorhängen und Melatonin-Tabletten.

Sie haben viele Jahre lang wirklich alles ausprobiert, um zu Schlaf zu finden – bitte erzählen Sie ein wenig, was Sie alles unternommen haben.

Kein Kaffee oder Schokolade, kein Alkohol. Ich habe versucht, einen gleichbleibenden Rhythmus beizubehalten, nicht zu spät Kaffee zu trinken, jeden Tag Sport zu machen, abends nahm ich ein heißes Bad, um die Körpertemperatur zu senken, nachts trug ich Ohrstöpsel und Augenmaske. Ich nahm Schlaftabletten, rauchte Gras, machte eine kognitive Verhaltenstherapie und achtete auf gesundes Essen …

Und was war das Ergebnis von all den Anstrengungen?

Die Schlaflosigkeit wurde zu einer anstrengenden Beschäftigung. Eigentlich war mein ursprüngliches Problem – nicht schlafen zu können – nur noch größer geworden, es nahm jetzt plötzlich meinen ganzen Tag ein. Und ich konnte immer noch nicht schlafen. So zu leben machte sehr wenig Spaß!

Manchmal hilft es auch, eine andere Perspektive einzunehmen. Sie haben herausgefunden, dass die Idee vom Durchschlafen-Müssen eine relativ neue Vorstellung ist. Früher haben die Menschen nicht die ganze Nacht durchgeschlafen?

Stimmt. Bis ins späte 19. Jahrhundert – also eigentlich bis vor kurzem – war es im Westen ganz normal, einen ‘ersten Schlaf’ und dann einen ‘zweiten Schlaf’ zu haben: Man ging ins Bett, schlief einige Stunden, wurde wach, und blieb dann auch eine Weile wach. Man plauderte, erledigte vielleicht kleinere Hausarbeiten; und dann kam der ‘zweite Schlaf’. Wenn man heutzutage mitten in der Nacht nur ein wenig wach ist, nennt man das eine Schlafstörung. Das klingt besorgniserregend — und Besorgnis hilft nicht beim Weiterschlafen. Unsere Normen und Standards sind furchtbar streng geworden. Wenn Schlaf aber eine Leistung wird, behindert das die Entspannung.

Sie sind bei Ihren Recherchen über den Schlaf auf eine interessante Tatsache gestoßen, zum Beispiel dass „unser Denken nicht auf unser Bewusstsein beschränkt ist“. Das müssen Sie erklären.

Ich wunderte mich oft, dass ich hellwach war und nicht zur Ruhe kam, ohne dass mir klar war, worüber ich mich denn so aufregte. Ein Psychiater erklärte mir, dass es durchaus möglich ist, dass man über Gefühle und Gedanken beunruhigt ist, derer man sich noch gar nicht bewusst geworden ist. Das Gehirn und der Geist sind immer aktiv, auch im Schlaf, auch wenn wir glauben, wir würden gerade an überhaupt nichts denken. Der Mensch überschätzt ständig das eigene Bewusstsein und unterschätzt den Teil seines Denkens und Fühlens, der im Schatten bleibt. Es ist dieser Teil, der uns öfter wach hält.

Was ist mit unseren Gefühlen – in welcher Verbindung stehen Sie zum Schlaf?

Schlafforscher sind sich einig, dass Gefühle der wichtigste Grund fürs Nicht-Schlafen-Können sind. Umso befremdlicher finde ich es, dass man in Schlafratgebern immer wieder andere Faktoren betont, wie Koffein, Diät und blickdichte Vorhänge. Wenn man wirklich einsam, unglücklich oder gestresst ist, reicht das natürlich nicht aus.

Als einen Schlafkiller haben Sie Geld ausgemacht. Wieso Geld?

Geld oder der Mangel an Geld, bestimmt ganz viele Dinge im Alltag: Wo man lebt, was man sich leisten kann an Freizeit, und wie sicher und geschützt man sich fühlt. Studien zeigen, dass Leute, die wenig Geld haben, viel öfter an Schlaflosigkeit leiden. Finanzielle Benachteiligung spürt man auch beim Schlafen.

Welche weiteren schlafstörenden Dinge haben Sie gefunden?

Einsamkeit; zu große Beschäftigung mit seinem Ruf oder mit seinem Ego; ein Mangel an Natur um sich herum; ständiger Zeitdruck. All das sind auch Schlaf-Feinde.

Sie stellen auch fest, dass Schlafen nicht das Problem eines einzelnen ist, sondern der gesamten Gesellschaft. Wie meinen Sie das?

Wenn wir erkennen, dass Probleme wie Einsamkeit, finanzielle Ungleichheit, ständiger Zeitdruck – und so weiter – fundamental sind für unseren Schlaf, dann müssen wir uns eingestehen: Diese Sachen sind zu groß und umfangreich, als dass wir sie alleine ändern könnten. Es sind gesellschaftliche Probleme, sie fordern politische Lösungen.

Nun hoffen wir natürlich alle, dass Sie das Rätsel guten Schlafs am Ende doch noch geknackt haben. Haben Sie?

Ein bisschen! Zauberei gibt es leider nicht, aber man kann versuchen, die schlafstörenden Umstände in seinem Leben zu ändern. Mir hat es zum Beispiel geholfen, dass ich aus der Stadt herausgezogen bin; ich lebe jetzt in einem kleinen Dorf in Frankreich, wo das Leben viel billiger ist und ich viel weniger Stress habe, um die monatliche Miete zusammen zu kriegen. Deswegen habe ich auch mehr Zeit neben der Arbeit, bin ich öfters draußen, arbeite im Garten … Das ändert meinen Alltag ganz grundlegend. Ich verstehe, dass nicht jeder Mensch die Freiheit hat, umzuziehen. Auch hält mein Buch kein universelles Rezept für den gelungenen Schlaf, aber es enthält Ansätze: Jeder sollte für sich sehen, welche von den Dingen, die seinen Schlaf am meisten stören, sich in seinem Leben ändern lassen.

Aber können Sie uns wenigstens irgendetwas Ermutigendes mitgeben?

Mich hat es sehr ermutigt, als ich erkannte, dass ich nicht wegen meiner Gene oder wegen der Eigenschaften meines Gehirns zur Schlaflosigkeit verurteilt bin. Ich kann etwas ändern. Wenn es nicht ausreicht, meinen Lebensstil zu ändern, dann ändere ich eben mein Leben. Das Gute daran ist: Im Allgemeinen sind die Sachen, die gut für unseren Schlaf sind, auch diejenigen, die uns glücklicher machen, also zum Beispiel mehr Zeit zu haben für die Menschen um uns herum, uns weniger um unser Ego, unsere Karriere oder unseren Ruf zu kümmern. Wenn man wirklich so müde ist, dass man bereit ist, alles zu machen, nur um schlafen zu können, dann kann diese Schlaflosigkeit doch ein richtig triftiger Grund sein, endlich die Dinge zu tun, die man sich schon immer gewünscht hat, aber die man sich bisher nicht gönnte.


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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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