Das Licht im Rücken

ISBN 978-3-463-00025-1

496 Seiten

€ 23,00

eBook: € 19,99

Im Gespräch gewährt Sandra Lüpkes Einblicke in ihre Arbeit an ihrem packenden Familienroman „Das Licht im Rücken“ über die Revolution der Fotografie im 20. Jahrhundert.

Sandra Lüpkes Roman „Das Licht im Rücken“ spielt zwischen Wetzlar und New York

Titelbild Das Licht im Rücken

Frau Lüpkes, Sie sagten einmal, die Ideen für Ihre Bücher „kämen zu Ihnen“. Auf welchem Weg erreichte Sie die Idee zu „Das Licht im Rücken“?

Bei der Recherche zu meinem Roman „Die Schule am Meer“, in dem ich die Geschichte einer Reformschule auf der Insel Juist erzähle, fand ich im dortigen Foto-Archiv eine Unmenge regelrechter Schnappschüsse, was für die 1920er Jahre ungewöhnlich ist. Im Schulbericht wurde mehrfach die Firma Leitz als Sponsor erwähnt – der jüngste Sohn war Schüler auf Juist und hatte wohl auch eine Kleinbildkamera mitgebracht. Ich wurde neugierig, wollte wissen, was für ein Familienunternehmen dahinter steckt, und war sofort begeistert, weil sich anhand der Erfindung der Leica Zeit-, Medien- und Wirtschaftsgeschichte erzählen lässt.

Sie erzählen einerseits ein revolutionäres Kapitel der Geschichte der Fotografie. Andererseits ist Ihr Roman als sich über mehrere Generationen erstreckendes Familienepos angelegt. Dabei schreiben Sie detailreich und spannend. Wieviel haben Sie dazuerfunden?

Bei der Firmen- und Familiengeschichte musste quasi nichts dazu erfunden werden, denn diese ist für sich genommen schon ein fanstastischer Romanstoff. Vater-Tochter-Konflikte, die Diskrepanz zwischen Unternehmertum und Menschlichkeit, vor allem der mutige politische Einsatz ab 1933.
Ein Bilderbuch-Held ist auch Oskar Barnack, der als asthmakranker Feinmechanikergeselle an einer kleinen, leichten Kamera tüftelt, weil er das Tragen der alten Apparate leid ist, und zu einem der wichtigsten deutschen Erfinder des vorigen Jahrhunderts wird. Die anderen Figuren – die Familie Gabriel, der Arbeitskämpfer Uli Placke, der Obernazi Gernot Hütte – sind zwar fiktiv, basieren allerdings auf verschiedenen Persönlichkeiten, denen das, was im Roman geschieht, wirklich zugestoßen ist. Würde ich da lauter Einzelcharaktere erzählen, gäbe es jedoch zu viel Personal und der Roman wäre unlesbar. Aber keine Sorge, im Nachwort gehe ich für die, die es interessiert, darauf ein, was wahr und was dichterische Freiheit ist.

Wenn wir uns die Geschichte der Familie Leitz seit 1914 anschauen: Welches sind die Wendepunkte, an denen auch alles ganz anders hätte verlaufen können?

Die Entscheidung, die Leica im großen Stil zu produzieren, wurde kurz nach der Inflationszeit getroffen und war wirtschaftlich hoch riskant, da hätte ein anderer Unternehmer vielleicht eher auf Sicherheit gesetzt – und eine große Chance vertan. Zehn Jahre später musste sich die Familie Leitz entscheiden, wie sie mit den neuen Machthabern umgeht. Totale Ablehnung hätte zur Enteignung geführt, also entschied man sich schweren Herzens, die Forderungen der Nazis zu erfüllen. Es wurde für die Waffenindustrie gearbeitet, auch mit Hilfe von Zwangsarbeitern, und die Leica diente mitunter als Propaganda-Werkzeug. Doch so behielt die Familie Leitz die Zügel in der Hand und verhalf mit ihrem Einfluss und Vermögen vielen von Verfolgung Bedrohten zur Ausreise. Als Tochter Elsie sich für bessere Zustände in den Arbeitslagern einsetze und die Flucht einer Jüdin organisierte, wurde sie verhaftet und saß drei Monate in Gestapohaft. Überlebt hat sie nur, weil der Vater Unsummen an Bestechungsgeldern zahlte. Und da werfe ich schon die Frage auf: War die Entscheidung richtig, die Nazis zu bezahlen? Hätte man mit dem Geld nicht viele andere Leben retten können? Ich weiß darauf keine Antwort. Da gibt es kein eindeutiges richtig oder falsch. Das ist, wenn man so will, das Grundthema dieses Romans: Zwischen Schwarz und Weiß finden sich unendlich viele Farben. Passt ja auch wieder zur Fotografie.

Was ist das „Haus der Präsente“?

Dieses – fiktive – Ladengeschäft der Familie Gabriel in der Altstadt präsentiert stets die neuesten Erfindungen und ist eine Institution in Wetzlar. Doch da der Inhaber Jude ist, bleiben irgendwann die Kunden aus, wird randaliert und geplündert. Am Ende müssen die Familienmitglieder die nackte Haut retten – und schlagen unterschiedliche Wege ein. Vorbild war dabei das „Kaufhaus Ehrenfeld“ in Frankfurt, dessen Besitzerfamilie sich im letzen Moment ins Ausland absetzen konnte – auch dank der Unterstützung von Ernst Leitz II.

Wo und wie haben Sie für Ihren Roman recherchiert?

Familien- und Firmengeschichte sind ganz klar in Wetzlar verankert. Dank eines Stipendiums des Berliner Senats konnte ich mehrmals dorthin reisen, auch für einen längeren Zeitraum. Ich war im Firmenarchiv, habe mir den Familiensitz Haus Friedwart angeschaut, wo vieles noch genau so aussieht wie vor hundert Jahren. Dann durfte ich einem Spezialisten für Historische Leicas in der Werkstatt über die Schulter schauen, habe mir den Stollenbunker zeigen lassen, in dem während der letzten Kriegsjahre die Produktion verlegt wurde, war auf Fotosafari im Leitzschen Jagdrevier, hab in Nordhessen auf der Burg Ludwigstein persönliche Korrespondenzen von Elsie gesichtet – um nur einige Stationen zu nennen. Doch am wichtigsten sind die vielen Gespräche mit Historikerinnen, Familienmitgliedern, Fotografen, Zeitzeuginnen, ohne deren Offenheit der Roman nicht so menschlich geworden wäre.

Ihr Werk spielt an mehreren Schauplätzen, darunter Wetzlar und New York. Finden sich heute dort auch noch Spuren der Geschichte der Leica?

Die erste Aufnahme mit dem Prototypen der Leica wurde 1914 auf dem Eisenmarkt in Wetzlar gemacht und ein verzierter Kanaldeckel kennzeichnet heute die genaue Position des Fotografen. Überhaupt sind für mich die Aufnahmen, die mit einer Leica gemacht wurden, die eindrücklichsten Spuren. Zahlreiche Fotoikonen wie beispielsweise die New Yorker Bauarbeiter, die 1932 auf einem schwebenden Balken Pause machen, oder die Kinder, die in den 1970er Jahren in Vietnam um ihr Leben rennen – faszinierende Zeitzeugnisse, die es ohne die neue, die unkomplizierte Art des Fotografierens nicht gegeben hätte. Einige davon haben wir übrigens ins Buch hineingenommen, ein aufwendiges, aber sehr wirkungsvolles Detail, das den Lesenden Freude machen wird.

Welche Auswirkungen hatte die Erfindung der tragbaren Fotoapparate auf die Bilder?

Vor der Erfindung der Kleinbildfotografie hatte man nur eine begrenzte Zahl Glasplatten dabei, die belichtet werden konnten. Da wurde vorher genau geplant, was aus welchem Winkel wie fotografiert werden soll. Die Leica war viel schneller einsatzbereit und hatte Filme für 36 Aufnahmen, da konnte man einfach mal spontan losknipsen und experimenteller sein. Alltagsszenen, Prominente in unbeobachteten Situationen, waghalsige Expeditionen – das alles wurde sichtbar gemacht. Heute, wo jedes Handy unzählige Fotos in hervorragender Qualität schießt, hat sich das ganze noch mal potenziert, und wir wissen ja alle, was das für unsere Gesellschaft bedeutet, im negativen und positiven Sinne.

Fotografieren Sie selbst gerne?

Tatsächlich überhaupt nicht, mich beschleicht dann immer das Gefühl, dass sich etwas zwischen mich und die Wirklichkeit schiebt. Im Zuge der Recherche habe ich aber dennoch einen Fotografie- und Dunkelkammerkurs besucht und mir sogar eine Leica aus dem Jahr 1931 zugelegt, um mich ins Technische reinzufuchsen. Der Funke ist trotzdem nicht übergesprungen. Dafür liebe ich es, alte Fotografien anzuschauen, eine für mich sehr wichtige Inspirationsquelle.

Bei aller Historie kredenzen Sie Ihren Leser*innen durchaus auch romantische Szenen. Handelt „Das Licht im Rücken“ auch von der Liebe?

Natürlich! Eine meiner schriftstellerischen Stärken sind die lebensnahen Figuren, mit denen ich leichtfüßig durch die mitunter schwierige Geschichte wandle. Da erleben wir die Liebe zwischen Vater und Tochter Leitz, die sich gerade deshalb kompliziert gestaltet, weil sich die beiden so ähnlich sind. Warm und voll selbstloser Hingabe ist dagegen die Liebe zwischen Dana Gabriel und ihrem traumatisierten Vater. Und natürlich leide und juble ich mit meiner Lieblingsfigur Milan Gabriel, ein sich stets ein bisschen selbst überschätzender Charmeur, dem die Verehrerinnen zu Füßen liegen und der dann ausgerechnet im Krieg die wahre Liebe findet.

ISBN 978-3-463-00025-1

496 Seiten

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/simone-lilienthal/" target="_self">Simone Lilienthal</a>

Simone Lilienthal

Geboren und aufgewachsen in München, studierte Simone Lilienthal, Jahrgang 1984, in Frankfurt Deutsch und Französisch aufs Lehramt. Nach dem Referendariat entschloss sie sich aber für die Freiheit und ein Leben als Autorin. Simone Lilienthal schreibt für verschiedene Magazine und arbeitet im Café.

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