Der Tag, an dem sich das Leben der 17-jährigen Victoria radikal ändert
Victoria ist siebzehn und lebt in den 1940er Jahren gemeinsam mit ihrem Vater, Onkel und Bruder am Fuß der Berge Colorados. Weil die Pfirsichfarm der Familie nicht viel Geld abwirft, können sie keine großen Sprünge machen. Eines Tages begegnet sie einem jungen Mann: „Sein Overall und seine Hände waren schwarz wie Kohle. Er hatte Schmutzspuren auf den Wangen. Braune Haut schimmerte unter herabrinnendem Schweiß. Unter seiner Kappe schauten glatte schwarze Haare hervor, viel dunkler als meines, das ein sehr gewöhnliches Braun hatte.“
Wie findet man heraus, was es bedeutet, eine Frau zu werden?
Die beiden gehen ein Stück des Wegs gemeinsam und Shelley Reads Heldin fühlt sich sofort von Wil wie magisch angezogen. „Als meine Mutter starb, war ich noch zu jung, um diese Geheimnisse von ihr lernen zu können, und ich kann mir eigentlich sowieso nicht vorstellen, dass sie sie mit mir geteilt hätte.“ Überhaupt weiß Victoria kaum etwas darüber, was es bedeutet, eine Frau zu werden.
In den USA der 1940er Jahre gehört Rassismus zum Alltag
Genau in dem Moment, in dem Victoria und Wil so nahe beieinander stehen, dass sie seinen moschusartigen und scharfen und seltsam einladenden Geruch riechen kann, hört sie den Ruf ihres Bruder: „Torie, geh weg von diesem dreckigen Hurensohn!“, lallt Seth. Man trägt seinen Rassismus offen zur Schau im Nordamerika der 40er Jahre und Wil ist ein Indianer.
Ist es die Liebe, die Victoria am ganzen Körper zittern lässt?
Victoria treibt ihren betrunkenen Bruder vor sich her nach Hause. Dabei verliert er seine Bierflasche, Victoria stolpert und verstaucht sich den Fuß. Doch Wil ist zur Stelle, hebt sie hoch, trägt sie. „Ich zitterte. Ob es vom Schmerz herrührte oder von den ersten Liebesfunken, weiß ich nicht – vielleicht beides –, aber ich zitterte am ganzen Körper, als hätte Wil mich aus einem gefrorenen Teich gezogen.“
Es wird ein Kopfgeld auf Victorias Liebhaber ausgesetzt
Dann ist Wil verschwunden. Doch Victoria kann ihn nicht vergessen und begibt sich auf die Suche. Auch glaubt sie zu spüren, dass er noch in der Nähe ist. Als Wil zu Unrecht ein Diebstahl in die Schuhe geschoben wird und 20 Dollar Belohnung auf seine Ergreifung ausgesetzt werden, wird ihr klar, dass es schwierig werden wird, den Jungen, in den sie sich verliebt hat, wiederzusehen.
Victoria und Wil lieben sich heimlich in einer Hütte in den Bergen
Aber Victoria findet Wil. Er versteckt sich in einer einsamen Hütte in den Bergen. Und Wil wird ihr Liebhaber. „Rückblickend staune ich, wie unsere Unschuld mit jedem Treffen und jeder Liebkosung langsam, aber sicher verdunstete, bis uns, nur zwei Wochen nachdem mir Will diese blassrosa Tür aufgemacht hatte, unsere Leidenschaften jenseits allen Urteilsvermögens auf eine zweistündige Wanderung zu der abgelegenen Berghütte hoch in der Big Blue Wilderness und in sein Bett trieben.“
Entscheidet sich Victoria für die Liebe oder für die Konvention?
Doch hat diese Liebe eine Zukunft? In einem Amerika, in dem farbige Menschen ausgegrenzt werden und das für die Liebe kein Verständnis hat, weil Männer und Frauen sich aus ganz praktischen, überlebenstaktischen Gründen verbinden, nicht aber wegen der Gefühle, die sie füreinander spüren? Victoria entscheidet sich dazu, ihre Liebe gegen jede Konvention zu leben. Eine Entscheidung, die sie am Ende in die Einsamkeit der Wildnis führen und zu einem brutalen Kampf ums Überleben zwingen wird.
Wie gut ist Shelley Reads Bestseller „So weit der Fluss uns trägt“?
Shelley Reads „So weit der Fluss uns trägt“ ist ein elegant geschriebener Unterhaltungsroman voller eindrucksvoller Naturbeschreibungen. Der Schriftstellerin gelingen glaubwürdige Figuren und ergreifende Szenen. Auch stellt sie die engstirnige Gesellschaft jener Zeit gut nachvollziehbar dar. Allerdings ist „So weit der Fluss uns trägt“ nicht ganz so spannend wie Delia Owens‘ Roman „Der Gesang der Flusskrebse“, mit dem er immer wieder verglichen wird. Shelley Reads Geschichte ist einfacher strukturiert und ihr Ende deutet sich früher an, als dies bei Delia Owens der Fall ist. Dennoch handelt es sich um einen lesenswerten Bestseller, dessen Lektüre Freude macht.