Frau Pfeifer, mit Ihrem letzten Hörspiel „Operation Ratlines“ befassten Sie sich mit den Gräueln des Nationalsozialismus und einer dystopischen Zukunftswelt. Nun legen Sie mit „Sahara No Man’s Land – Der Aufstand der Mädchen – Kafkaeskes Drama“ ein neues Stück vor. Worum geht es dieses Mal?
Die Zwillinge Loveth und Grace aus Edo State versuchen in einer Realität aus Gewalt und Grauen zu überleben. Sie werden auf dem europäischen Menschenmarkt angeboten und an die Meistbietenden weiterverkauft. Mit Lucy, einer Leidensgenossin, schmieden sie in der blauen Stadt einen mörderischen Plan um dem Kreislauf aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung zu entkommen. Der Aufstand beginnt …
Wem Schreckliches widerfährt wie Loveth und Grace, den treiben auch Rachegefühle um. Wie ordnen Sie Ihr Hörspiel diesbezüglich ein?
Der Aufstand der Mädchen ist metaphorisch zu verstehen, jedweder Rachegedanke liegt mir fern. Ich bin seit einiger Zeit in Schutzwohnungen für Menschenhandelsopfer aus der Zwangsprostitution. Es ist unvorstellbar was die Frauen, Mädchen und Kinder durchleiden mussten. Es dauert Jahre bis sie, wenn überhaupt, ins Leben zurückfinden.
Wie kommt es, dass Grace und Loveth in die Hände von Menschenhändlern geraten? Was müssen sie erleiden?
Die Zwillinge stehen exemplarisch für Tausende von ähnlichen Schicksalen. Ein Großteil der Opfer kommt aus Benin City, es ist ein Drehkreuz des internationalen Menschenhandels. Es geht um eine Form von Zwangsmigration von jungen Frauen und Kindern unter permanenter Kontrolle von Männern. In „Sahara No Man’s Land“ stammen die Akteurinnen aus verschiedenen Ländern Westafrikas. Sie unternehmen den Versuch, auf unterschiedlichen Wegen Europa zu erreichen, um dort auf menschenwürdige Lebensbedingungen zu stoßen, Arbeit zu finden und Armut, Krieg und politische wie auch ethnische Willkür hinter sich zu lassen. Überleben die Akteurinnen die Strapazen des Weges durch die Wüste, sind sie dennoch stets gefährdet, indem sie etwa von diversen Sicherheitskräften gestellt und reihenweise wochenlang von diesen festgehalten und im Rotationsprinzip missbraucht werden. Abgründe menschlichen Daseins tun sich auf; peu à peu setzt ein Prozess ein, den man psychische Liquidierung nennen könnte. Opferzeuginnen schildern ihren Leidensweg durch die Sahara: „Wir gehörten keineswegs uns, wir waren Ware auf dem Weg zum Besteller.“ Florence aus Benin City / Menschenhandelsopfer
Auch für dieses neue Hörspiel fahren Sie wieder alles auf, was ein gutes Hörspielstudio zu bieten hat: atmosphärische Geräusche, exzellente Sprecherinnen und Sprecher. Sie versetzen uns mit Ihrer virtuosen Regie direkt an die Orte des Geschehens. Man hat das Gefühl, dass in diesem Hörbuch sehr viel Herzblut steckt?
Es ist mir ein tiefes Bedürfnis auf dieses unfassbare Unrecht aufmerksam zu machen.
Was kann Westeuropa tun, um den ausgebeuteten Frauen zu helfen und wie kann die Ausbeutung gestoppt werden?
Es gibt NRO’s die sich der Frauen annehmen. Die traurige Realität ist, Europa profitiert direkt und indirekt vom Menschenhandel. Die Sexindustrie ist ein Milliardenmarkt. Menschenhandel blüht und hat im Umfang Drogen- und Waffenhandel überholt. Trafficking in Human Beings funktioniert nach den Gesetzen der Marktwirtschaft. Die Nachfrage bestimmt das Angebot und die günstigen Angebote erhöhen die Nachfrage. Wirtschaftliche Ausbeutung, ob in der Zwangsprostitution oder in der Arbeitssklaverei ist ein sicherer Wachstumsmarkt.
Was sind Ihre weiteren Pläne?
Im Herbst werden im Wissenschaftsverlag K & N „Operation Ratlines“ und „Sahara No Man’s Land“ als kafkaeske Dramen – Erzählung und Dokumentation – in einem Band erscheinen. Im Moment arbeite ich an „Paranoia im Totalitarismus“ mit dem ungarischen Politologen Krisztián Kovács.
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