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Sie leben im Lande Draculas und im Herzen Europas. Sie trotzen der Globalisierung. Sie sind die letzten ihrer Art. Eine Reise nach Rumänien – voller stiller Abenteuer unter Siebenbürger Sachsen.

Von Wölfen, Dracula und Frau Schuster, die Fieber kriegt, wenn sie an Deutschland denkt

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Bram Stokers „Dracula“ ist eine Werbefigur, aber wir sehen einen echten Wolf

Kürzlich fahren wir über Wien nach Budapest – und dann noch viel weiter in den Osten. Wir hören viele Folgen der drei ??? und gelangen irgendwann nach Transsilvanien. Wie wir alle wissen, soll dort ein Graf gelebt haben, dem Bram Stoker mit seinem Roman „Dracula“ ein Denkmal gesetzt hat. Dracula scheint hier jedoch nur als Werbefigur zu existieren, allerdings sehen wir gleich am ersten Tag einen Wolf durchs Feld rennen – einen echten. Dracula ist ja derjenige in Bram Stokers Werk, der vor Wölfen keine Angst zu haben braucht, er herrscht über sie.

Auf den Feldern arbeiten Bauern mit Pferden und Sensen

Wir zweigen von der stark befahrenen Landstraße ab und folgten viele Kilometer lang einer von Schlaglöchern perforierten Straße. Zwar gehört Transsilvanien zu Rumänien. Doch leben hier seit Jahrhunderten aus Deutschland eingewanderte Sachsen. Es werden immer weniger, vor allem nach dem Zusammenbruch der Ceaușescu-Diktatur verließen Anfang der 1990er viele das Land.
Die Häuser längs der Landstraße kleben bunt und wunderhübsch aneinander. Sie sind winzig und wenn wir auf die Felder schauen, staunen wir über Bauern, die noch mit Pferdefuhrwerken und Sensen das Feld mähen. Schweine, Gänse und Hühner laufen frei herum. Kühe träumen in nicht umzäunten Wiesen vor sich hin. Hirten ziehen mit ihren Schafsherden und Hütehunden durch die Hügel. Vor den Häusern sitzen Menschen, die aussehen wie Vertreter des sogenannten fahrenden Volks. Und irgendwie müssen sie uns als ihresgleichen anerkennen, denn je tiefer wir uns Schlagloch für Schlagloch in die Einöde vorarbeiten, um so häufiger grüßt uns dieser oder jener lässig mit einem Kopfnicken oder mit einer sparsamen Handbewegung. Gerade so wie wir es von unserem oberbayerischen Dorf zuhause kennen. Auf dem Dorf, da grüßt man sich.

Ein tiefer Dorfbrunnen mit Eimer und ein junger Priester mit Mut

Ganz am Ende der holperigen Straße dann das Dorf Malmkrog. Hier leben noch 130 Siebenbürger Sachsen unter einfachsten Bedingungen. Weiter weg von der Zivilisation kann man in Europa nicht sein. Wer mal eine Pause braucht von den abgeschmackten Seiten der Globalisierung – hier, wo die Dorfstraße noch ein Schotterweg ist und wo man Wasser mit einem Eimer aus einem tiefen Brunnen schöpft, wird er sie kaum spüren. Das Dorf wird zusammengehalten von einem evangelischen Priester, der 1992 als Praktikant kam und blieb. Sein Sohn absolvierte, so erzählt uns die alte Dame, der wir an der Kirche begegnen, das Abitur und studiert mittlerweile in Deutschland.

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Wenn Frau Schuster an Deutschland denkt, bekommt sie Fieber

Die Dame ist 78 Jahre alt, ich nenne sie Frau Schuster. Frau Schuster erlebte den Krieg, die kommunistische Zeit und die Phase, als die meisten Siebenbürger Sachsen als Spätaussiedler Rumänien verließen. Auch ihre Schwester zog damals nach Stuttgart. Im vergangenen Jahr kam die Schwester mit zwei Flugtickets zurück und wollte Frau Schuster und eine weitere Schwester nur für einige Tage zur Konfirmation der Enkelin nach Deutschland mitnehmen. Aber als der Tag der Abreise näher rückte, bekam Frau Schuster plötzlich Fieber und bei ihrer Schwester stieg der Blutdruck so stark an, dass an eine Flugreise nicht zu denken war. Die Schwestern blieben, wo sie immer geblieben waren: in ihrem Heimatdorf. Wenn Frau Schuster davon erzählt, spüre ich, dass sie über diese Entscheidung kein bisschen unglücklich ist. Frau Schuster möchte übrigens nur so alt werden wie ihr Vater es wurde: 98 Jahre.

Die Siebenbürger besitzen seit 300 Jahren ein probates Mittel gegen Scheidungen

Die Sachsen bezeichnen sich selbst als ein wenig langsam. Vielleicht aber sind sie einfach nur nachdenklich und schlau? In dem Büchlein „Legenden und Geschichten aus Siebenbürgen“ finde ich die Geschichte vom „Zimmer gegen Ehescheidungen”. Danach habe die Gemeinde beschlossen, Ehepaare, die sich trennen wollten, „in ein kleines Gemacht zu sperren, wo es ein einziges Bett, einen einzigen Teller, ein einziges Besteck, ein Stück Brot und eine Kanne mit Wasser gab. Da mussten sie etwa zwei Wochen leben.“ Es heißt, dass in den letzten 300 Jahren nur ein Ehepaar nach den zwei Wochen der Zweisamkeit dennoch die Trennung beantragt habe.

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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