ISBN 978-3-257-07195-5

ca. 304 Seiten

€ 25,00

Hat ihr Freund seinen Onkel ermordet, um sein Erbe zu sichern? Christoph Poschenrieders „Ein Leben lang“ ist ein Roman über eine Gruppe bester Freunde und das Lügen.

In „Ein Leben lang“ arbeitet Christoph Poschenrieder einen spektakulären Kriminalfall auf

Titelbild Ein Leben lang

Eine spannende und nicht selten verstörende Lektüre

Ich habe Christoph Poschenrieders Roman „Ein Leben lang“ in einer Nacht gelesen. Eigentlich wollte ich schlafen, aber dieses Buch, das auf dem wahren Münchner „Parkhaus-Mord“ basiert, ist eine spannende und nicht selten verstörende Lektüre, die ihre ganz eigene Sogkraft entwickelt.

Der Fall erregte wegen seiner Brutalität Aufsehen

Im Jahr 2006 wurde die Eigentümerin eines nur wenige hundert Meter vom Münchner Marienplatz gelegenen Parkhauses ermordet. Die Frau wurde mit einem stumpfen Gegenstand, vermutlich mit so etwas wie einem Baseballschläger, erschlagen. Der Prozess erregte großes Aufsehen. Zum einen wegen der Brutalität und Blutigkeit der Tat; zum anderen, weil schon sehr bald der Neffe des Opfers ins Visier der Ermittlungen geriet, der eigentlich als Erbe der kinderlosen Millionärin vorgesehen war. Als Motiv stand die Drohung der Ermordeten im Raum, den jungen Mann zu enterben, weil er sein Jurastudium abgebrochen und dies über Monate verheimlicht hatte. Und schließlich spielte auch noch die Gruppe bester Freunde des Tatverdächtigen eine Rolle: Sie hielten den Prozess an der Öffentlichkeit und kämpften um den Ruf ihres Vertrauten.

Christoph Poschenrieder hat ein wesentliches Detail verändert

In Christoph Poschenrieders Roman ist das Opfer keine Frau, sondern ein Onkel des Tatverdächtigen. Ansonsten hat der Schriftsteller, der in den vergangenen Jahren mehrere Bestseller verfasst hat – darunter „Der unsichtbare Roman“ und „Mauersegler“ – wenig an den Tatsachen verändert. Man kennt die Geschichte also, sofern man seinerzeit die mitunter sensationsheischende Berichterstattung über den Münchner Parkhaus-Mord verfolgt hat. Umso erstaunlicher ist es, dass man Christoph Poschenrieders Ausführungen dennoch wie gefesselt folgt. Woran liegt das?

In „Ein Leben lang“ werden Leser und Leserin selbst zu Ermittlern

Der Autor weicht in seiner Erzählweise von der üblichen Prosa ab. Sein Text setzt sich zusammen aus „Aussagen“ der besten Freunde des Tatverdächtigen, seines Anwalts und des Tatverdächtigen selbst, die er wohl in Gesprächen und Schriftwechseln mit ihnen gesammelt hat. Ich selbst habe diese Montagetechnik in meinem Kriminalroman „Der Fall Augustin Stiller“ auch einmal angewandt. Entscheidend für den Erfolg dieser Art zu schreiben, ist die Anordnung der einzelnen, in Gesprächen mit den „Zeugen“ gewonnenen Erkenntnisse. Hier darf man auf keinen Fall zu viel auf einmal verraten, sondern die teils widersprüchlichen Informationen Happen für Happen an die Leserinnen und Leser weitergeben. So werden sie selbst zu Ermittlern.

Dieser Roman hat die Qualität, einen die ganze Nacht wach zu halten

Christoph Poschenrieder macht dies sehr geschickt. Schicht für Schicht entfernt er die Schalen der Zwiebel, bis am Ende ein ziemlich eindeutiges Bild entsteht. Aber er hält die einzelnen Textabschnitte kurz, manchmal handelt es sich lediglich um zwei, drei Sätze. So verlockt er uns immer wieder aufs Neue zum Weiterlesen. Im Ergebnis hält er uns die ganze Nacht damit wach.

Die besten Freunde des Angeklagten halten ihn für unschuldig

Der Kriminalfall ist insofern ungewöhnlich, als sich die Gruppe bester Freunde des Tatverdächtigen sofort nach Bekanntwerden des Verbrechens – und trotz einiger schwerwiegender Indizien, die für seine Täterschaft sprachen – dazu entschlossen hat, ihn für unschuldig zu erhalten. Und dieser Linie sind die jungen Leute, die heute Astronomin, Lehrerin, Musikkaufmann, Anwalt und auch Eltern geworden sind, im Verlauf des zwei Jahre währenden Prozesses treu geblieben.

Die Argumentation der Verteidigung gibt Anlass zu Zweifeln

Dabei gibt die Gerichtsverhandlung Anlass zu massiven Zweifeln an der Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit des Angeklagten. Nicht nur, dass sein Alibi eine entscheidende Lücke aufweist. Auch wurden bei ihm mehrere 500-Euro-Scheine gefunden, auf denen sich Blut des Opfers befand und deren sonstige mutmaßliche Herkunftsgeschichte irritierende Fragen aufwirft. Auch dass die Morgenzeitungen des Opfers sich bei der Hausdurchsuchung in der Wohnung des Tatverdächtigen fanden, stärkt nicht die Unschuldsvermutung.

„Ein Leben lang“ ist auch eine Parabel über Freundschaft und Lüge

Christoph Poschenrieder lässt die Freunde des mutmaßlichen Täters, der auf seiner Unschuld beharrt, den Kriminalfall aus ihrer Sicht erzählen. Und je mehr sie erzählen, um so mehr Unstimmigkeiten schleichen sich ein. Als Leser werden wir die in feine Häppchen portionierten Hinweise immer wieder neu ordnen und bewerten. Am Ende kommt jeder zu einem Ergebnis. Wenngleich nicht zu einem identischen. Denn dazu ist der Fall, der auch als Parabel über Freundschaft und Lüge, Vertrauen und Zusammenhalt gelesen werden kann, zu vielschichtig.

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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