ISBN 978-3-257-07077-4

ca. 272 Seiten

€ 24,00

Im Interview über sein Buch „Der unsichtbare Roman“ spricht Christoph Poschenrieder über Recherchen auf Friedhöfen, Schreibkrisen und seinen Helden Gustav Meyrink, der Yoga machte und die hohe Politik narrte.

Christoph Poschenrieder im Interview über sein Werk „Der unsichtbare Roman“, in dem Sprache zur Waffe werden soll

Titelbild Der unsichtbare Roman

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Christoph Poschenrieder im Interview über seinen Roman „Der unsichtbare Roman“


Herr Poschenrieder, Ihr Buch „Der unsichtbare Roman“ erzählt eine unerhörte Geschichte: Der für seinen erfolgreichen „Golem“-Roman bekannte Schriftsteller Gustav Meyrink bekommt vom Außenministerium in Berlin den Auftrag, ein Buch zu schreiben, in dem den Freimaurern die Schuld am Ersten Weltkrieg zugeschoben wird. Er sagt zu, obwohl er keine Lust hat, aber Meyrink ist pleite und fürchtet um seine schicke Villa am Starnberger See. Wieviel Wahrheit steckt in diesem irrwitzig klingenden Plot?

67,56% – nein, natürlich nicht. Ich wünschte, es gäbe eine Maßeinheit für Wahrheit, aber das scheint mir ein binärer Begriff zu sein: Entweder ist etwas „wahr“ oder „nicht wahr“, also falsch. Wahr ist: Es gab diesen Auftrag an Meyrink. Das lässt sich aus den Dokumenten im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde belegen. Aber die Dokumente scheinen mir auch nicht vollständig zu sein. Leider weiß ich noch immer nicht, warum und wie die Herren im Auswärtigen Amt auf diese Idee gekommen sind, und warum sie ausgerechnet Gustav Meyrink auserwählt haben. Obwohl – das lässt mir natürlich auch den Raum, meine eigenen Vorstellungen zu entwickeln … Dass Meyrink sich Sorgen machen musste um seine Zukunft, ist dagegen sehr klar. Die Romane nach dem Bestseller „Der Golem“ liefen von Mal zu Mal schlechter und der „Simplicissimus“ als Auftraggeber war zu dem Zeitpunkt schon ausgefallen.

Sie haben für dieses Werk viel recherchiert – davon zeugen unter anderem auch die über den Text verteilten Recherchenotizen, die noch einmal eine ganz eigene spannende Geschichte erzählen – kann man sagen, dass Sie während des Schreibens immer mehr in der Figur des Schriftstellers Meyrink aufgegangen sind? Es geht hier ja auch sehr viel um das Schriftstellersein, um Schreibkrisen und finanzielle Probleme, die Literaten allzu häufig heimsuchen …

Meine Figuren halte ich mir durchaus vom Leib, und so sehr ich vieles von dem, was Meyrink, der Autor, erleben musste, nachfühlen oder zumindest nachvollziehen kann (manches auch gar nicht) – zu einer „Verschmelzung“ oder ähnlichem darf es nicht kommen. Brächte ja auch nichts: echter als Meyrink selbst kann ich auch nicht werden. Ich zeige nur, was ich in ihm sehe, aber aus meinen Augen gesehen, auf meinem eigenen Erfahrungshorizont. Das kann mit einer völlig fiktionalen Figur anders sein, die kann man sich, wenn man will, sozusagen auf den Leib schneidern. Mit einem gelebten Leben, das Spuren in der Wirklichkeit hinterlassen hat, funktioniert das nicht.

Meyrink hat in Ihrem Roman ja eine veritable Schreibkrise. Hatten Sie sowas schon mal?

Nein, meine Methode war bisher: Lange über die Geschichte nachdenken, vielleicht hier und da Skizzen anfertigen, und dann schnell und konzentriert schreiben. Ich muss auch nicht sequentiell vorgehen, meistens habe ich mehrere Baustellen gleichzeitig offen. Wenn es an der einen wegen Material- oder Ideenmangels nicht recht weitergeht, springe ich zu einer anderen Baustelle. Das hat bisher recht gut geklappt. Kreativität lässt sich ja nicht erzwingen, auch Ideen „stellen sich ein“, und das, wann und wie sie wollen. Möglicherweise ist eine echte, anhaltende Schreibblockade ja auch ein Indikator … dass die Geschichte nicht funktioniert, dass man keinen Zugang zum Stoff findet. Im Falle Meyrinks natürlich ein (verständlicher) Widerwille.

Sie lassen historische Figuren auftreten wie etwa Erich Mühsam und Kurt Eisner, es sind die Tage der Revolution in München. Sie erfinden Gespräche, Treffen, Gedanken. Wie ist es, so nah an der deutschen Geschichte zu schreiben – hilft das oder ist es auch ein Hemmnis, weil man stets im Kopf haben muss, dass irgendein Schlaumeier daherkommt und sagt, dass das aus diesem oder jenem historischen Grund so gar nicht gewesen sein kann?

Die Schlaumeier hoffe ich mir durch sorgfältige Recherche vom Hals zu halten – was das klassische „Gscheithaferl“ natürlich nicht abschreckt. Aber das gehört zum inhärenten Risiko solcher Bücher. Die Freiheit, von den „Fakten“ abzuweichen, wenn sie mir nicht passen, oder nicht in den Erzählfluss passen, nehme ich mir ja ohnehin. Es ist halt nur blöd, wenn man aus Bequemlichkeit nicht einmal die leicht Google-baren Tatsachen hinbekommt; bei so etwas möchte ich nicht erwischt werden. Und wenn man den Kontext kennt und die Motivlage der Figuren, dann ist das mit den Gesprächen und Gedankengängen nicht ganz so schwierig. Das bekommt dann schon seine innere Stimmigkeit, sofern man eine gewisse Distanz zu den Figuren nicht unterschreitet und ein bisschen Selbstvertrauen mitbringt.

Literatur soll in „Der unsichtbare Roman“ zur politischen Waffe werden. Davon können wir heute nur träumen, oder kommt das wieder?

Die Zeiten, falls es sie je gegeben haben sollte, sind vorbei. Dass Literatur politische Durchschlagskraft hat – glaube ich nicht. Höchstens noch in Diktaturen, und da dann indirekt; eher als eine Art von Zwischen-den-Zeilen-Literatur. In einer offenen, demokratischen Gesellschaft dürften literarische Werke, wenn sie denn von einem genügend großen Querschnitt der Gesellschaft wahrgenommen werden, immerhin zur Debatte beitragen. Meistens spielt sich das allerdings in den beschränkten Kreisen des „Betriebs“ und des Feuilletons ab. Wer als Autor richtig politisch wirksam werden will, sollte wohl besser in den Ortsverein/-verband einer zu ihm/ihr passenden Partei eintreten. Das soll wiederum nicht heißen, dass Politik nichts in Romanen zu suchen hätte, im Gegenteil.

Gustav Meyrink hatte einen Hang zur Esoterik und zum Okkulten. Er machte Yoga und nahm an Séancen teil. Ist er in diesem Sinne nicht ein Mensch, der auch sehr gut in unsere Gegenwart passen würde, wo an jeder zweiten Ecke Münchens ein Yoga-Studio öffnet?

Dieser Meyrink war ein Suchender und seine Methode, scheint mir, ein ziemlich brachiales Ausschlussverfahren: Alles probieren und sehen, was am Ende bleibt. Das war für ihn das Yoga (er nannte es noch „der“ Yoga). Und damals kannte er drei Formen von Yoga, heute gibt es wohl dutzende, wenn nicht hunderte Sorten und Geschmäcker. Ob ihn das gefreut hätte – eher nicht. Später hat er auch manchen Scharlatan im okkulten Business entlarvt. Er war wohl sehr offen, aber sich für dumm verkaufen lassen, das wollte er sicher nicht.

Machen Sie Yoga?

Yoga ohne Gimmicks und Klangschalen-Gesäusel, ohne salbungsvolles Geschwätz dazu, finde ich gut, habe ich auch schon probiert, aber noch nicht ernsthaft in meinen Alltag integriert. Könnte aber durchaus noch passieren, zumal meine Frau seit längerem Yoga praktiziert.

Und wie halten Sie es mit dem Übersinnlichen?

Ich halte es eher mit der Metaphysik, das ist ein Überbleibsel meines Philosophiestudiums. Menschen haben ein „metaphysisches Bedürfnis“, sagt Schopenhauer, ein Verlangen nach letzten Begründungen, nach einem Blick hinter die Grenzen des Dinglichen. Religionen können dieses Bedürfnis befriedigen, auch die Philosophie, aber die ist anstrengend. Im Gegensatz dazu natürlich die gesamte gegenwärtige Esoterik, alle modernen Kulte und Ersatzreligionen, die sind bequemer, das läuft nach dem Motto „Für jedes Tierchen ein Plaisirchen“. Ich bin durch und durch rational eingestellt, lese aber seltsamerweise gerne Märchen.

Sie waren für die Recherchen auch am alten Starnberger Friedhof, wo Gustav Meyrink begraben liegt und hatten ein irritierendes Erlebnis.

Nun, weil ich den genauen Ort des Grabs nicht kannte, bin ich alle Friedhofswege abgegangen. Schon als ich den Friedhof betrat, guckte mich eine Frau, die da an einer Grabstätte Blumen einsetzte, so intensiv an, als wollte sie mich gleich ansprechen, was sie aber nicht tat. Als ich auf meiner Suchrunde noch einmal an ihr vorbeiging, sagte sie dann, sie hätte geglaubt, den Doppelgänger von irgendjemand vor sich zu haben. Das hat mich dann schon ein bisschen elektrisiert, weil „Doppelgänger“ im Zusammenhang mit Meyrink ein besonderer Begriff ist. Im „Golem“ etwa spielt das eine Rolle, auch in anderen Werken. Naja – Zufall, oder? Aber, so sagt Meyrink, schreibe ich im „Unsichtbaren Roman“: „Der Zufall steht so kurz vor dem Ende meines Wörterbuchs, dass er eigentlich schon fast in den Abgrund der Nichtwörter gefallen ist.“

Was meinen Sie, was für ein Doppelgänger das gewesen sein könnte, den die Frau am Friedhof in Ihnen zu erkennen glaubte?

Keine Ahnung, ich habe mal lieber nicht nachgefragt …

Letztlich ist „Der unsichtbare Roman“ auch ein Werk, in dem man viel über die Schriftstellerei erfährt. Sie streuen immer wieder Wahrheiten über das Schreiben hinein. Man könnte geradezu eine Zitatesammlung aus Ihrem Buch ziehen. Was bedeutet es Ihnen, was bedeutet es für Ihr Leben, Schriftsteller zu sein?

Bin ich das überhaupt? Ist das ein Beruf, eine Berufung, ein Hobby? Ich bin jetzt seit etwa zehn Jahren und sechs Romanen in der Manege und präsentiere meine Kunststückchen. Das Schreiben macht mir immer noch viel Spaß, und die Ideen dürften vorerst auch noch nicht ausgehen. Ob ich in zehn Jahren noch Schriftsteller bin, keine Ahnung. Es geht von Buch zu Buch.

Sie erzählen Ihre Geschichte aus vielen unterschiedlichen Perspektiven, mal rücken Sie den Figuren näher, mal halten Sie sich auf Distanz, und dann gibt es noch die Teile mit den Recherchenotizen, in denen Sie quasi auch als Autor die Bühne betreten. Wie sind Sie auf dieses ungewöhnliche Erzählkonstrukt gekommen – bereits vor der Niederschrift? Während des Schreibens? Wie war das?

Hat sich irgendwie angeboten, und zwar schon in der Konzeption. Da gibt es eben viele Schichten, in dieser Geschichte. Als Hauptfigur ein Schriftsteller, der sich mehrfach selbst erfindet und seine Biographie legendenhaft verschleiert. Die kaum glaubliche Geschichte um den Auftragsroman, die als solche zwar belegbar ist, letztlich dennoch absurd und irrational bleibt. Ich wüsste nur zu gern, was die Männer im Auswärtigen Amt sich dabei gedacht haben, doch das gibt die Aktenlage nicht her, leider. Und ich dachte mir, es könnte für die Leser reizvoll sein, mir an der einen oder anderen Stelle über die Schulter zu gucken, zu sehen, wie ich mich (manchmal zähneknirschend) mit „Fakten“ arrangieren muss. Und wie ich mich dann doch drüber hinwegsetze. Es ging mir auch darum, dem Meyrink ein gewisses Korrektiv entgegenzusetzen, etwa wenn wir aus sicherer Quelle erfahren, dass der ehemalige Banker „ein Finanztrottel“ gewesen sei. Oder zu zeigen, wie dreist er seine Auftraggeber in Berlin über den Fortschritt der Arbeit anlügt. Vielleicht ist das Ganze auch nur eine Variation der Kant’schen Fragen: Was können wir wissen, was dürfen wir glauben?

Bei all Ihren Werken schimmert immer ein typischer, wunderbar stiller Poschenrieder-Humor durch, so auch in diesem Roman. Fließt Ihnen der so locker von der Feder wie er sich liest?

Ich glaube schon, der ist wohl so ein Nebenprodukt meiner Weltsicht, also immer präsent. Ich muss das gelegentlich eher unterdrücken, sonst werde ich ja von der Literaturkritik nicht ernstgenommen. Dabei ist der Witz der kleine, flinke Bruder vom Tiefsinn. Aber das weiß nicht jeder.

Am Ende überwindet Gustav Meyrink seine Schreibkrise auf ziemlich durchtriebene Weise und er löst damit auch das Problem mit dem Auswärtigen Amt, das er sich aus Geldnot geschaffen hat. Ich weiß gar nicht, ob wir das hier verraten sollen. Sollen wir?

Lieber nicht …

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ISBN 978-3-257-07077-4

ca. 272 Seiten

€ 24,00

<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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