Die schlechte und die gute Nachricht über die Baltimores zuerst
Die schlechte Nachricht zuerst: Joël Dickers Roman „Die Geschichte der Baltimores“ kann weder mit seinem Vorgänger „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ noch mit seinem Nachfolger „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ mithalten. Die gute Nachricht: Dass „Die Geschichte der Baltimores“ nicht mit den anderen beiden Werken mithalten kann, hat vor allem mit dem anderen Genre zu tun, dem dieses Buch zuzuordnen ist.
„Die Geschichte der Baltimores“ ist eine Familiensaga
„Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ und „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ sind beides herausragende Kriminalromane. Bei „Die Geschichte der Baltimores“ handelt es sich um eine Familiensaga. Der Roman erzählt von den beiden Zweigen einer amerikanischen Familie: den Goldmans aus Baltimore und den Goldmans aus Montclair. Die Baltimores sind erfolgreich und wohlhabend und leben in einem schönen Haus. Ihre beiden Söhne sind talentiert und durch und durch besonders.
Joël Dickers Roman erzählt von der Rivalität zweier Familien
Die Goldmans aus Montclair gehören zum durchschnittlichen amerikanischen Mittelstand. Sie sind normal. Ihr Sohn Marcus, den wir bereits als Hauptfigur aus Joël Dickers „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ kennen, ist Schriftsteller. Er schreibt – sozusagen als Roman im Roman – die Geschichte der Baltimores und Montclairs auf. Marcus geht „nur“ auf eine staatliche Schule. Sein Cousin Hillel dagegen ist hochbegabt, ihm stehen alle Bildungswege offen; und Woody, der andere Cousin – er wurde von den Baltimores adoptiert – ist ein außergewöhnlicher Sportler, der dank seines Talents auch Zugang zu hervorragenden Universitäten bekommt. Der Vater der Baltimore-Goldmans ist ein renommierter Rechtsanwalt. Die Mutter Anita eine wunderschöne Frau.
Bereits auf der ersten Seite des Romans deutet sich die Katastrophe an
Doch bereits im Prolog deutet Joël Dicker an, dass die Erfolgsgeschichte der Baltimores keine bleiben wird. Der Prolog ist datiert auf den 24. Oktober 2004 und überschrieben mit der Zeile „Einen Monat vor der Katastrophe“. Sein erster Satz lautet: „Morgen muss mein Cousin Woody ins Gefängnis. Dort wird er die nächsten fünf Jahre seines Lebens verbringen.“ Damit ist die Fallhöhe eingenordet und jedem Leser klar, dass das schöne Leben der Goldmans aus Baltimore nicht auf ewig schön bleiben wird. Was man zunächst nicht ahnt, ist, dass es viel schlimmer kommen wird, als es der Prolog andeutet. Es wird nicht beim Gefängnis für Woody bleiben.
Wir erleben Todesfälle, Fluchten und Verfolgungsjagden
Zwischen dem Prolog und der Auflösung nach etwa 500 Seiten entfaltet Joël Dicker in „Die Geschichte der Baltimores“ eine Story vor unseren Augen, die trotz ihrer vielen Zeitsprünge stets verständlich bleibt. Wir sehen den drei Cousins dank plastischer Beschreibungen beim Aufwachsen zu, wir durchleiden die Höhen und Tiefen ihrer Leben. Alle drei lieben dasselbe Mädchen. Nur einer von ihnen wird Alexandra am Ende erobern. Zu diesem Zeitpunkt wird sie eine erfolgreiche Sängerin sein, aber auch allerlei Schicksalsschläge ertragen und Tränen vergossen haben. Wir werden Todesfälle, Fluchten und Verfolgungsjagden miterleben und immer wieder über Joël Dickers eleganten Stil staunen. Aber in einen Leserausch verfallen werden wir bei diesem Roman nicht. Woran dies liegt? Es ist schwer zu sagen. Vielleicht sind „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ und „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ – die beiden anderen Romane Joël Dickers einfach so unerreichbar gut, dass dieser hier abfallen muss. Das ist ein bisschen schade.
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