ISBN 978-3-86971-274-1

192 Seiten

€ 22,00

eBook: € 18,99

Gäbe es dieses Autorenduo nicht bereits, müsste man es erfinden. Andreas Doraus und Sven Regeners „Die Frau mit dem Arm“ liest man in einem Zug durch.

Andreas Doraus und Sven Regeners Geschichtensammlung „Die Frau mit dem Arm“ ist sehr lustig

Titelbild Die Frau mit dem Arm

Wir alle dachten, wir wären Genies – vermutlich ein Irrtum

Ich muss gestehen, ich habe dieses Buch eigentlich nur als Methadon, also Drogenersatz in Erwägung gezogen, für Sven Regeners Romane aus dem Herr-Lehmann-Kosmos, die ich übrigens gerade zum wiederholten Mal mit meinem bald fünfzehnjährigen Sohn lese, wobei wir uns jeden Abend, wenn wir uns zum Ritual treffen, schief lachen über Raimund, Ferdi, BummBumm und „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“. Die anderen Bände haben wir alle schon durch und es ist einfach schön, abends zu zweit im Bett zu liegen und dieses Zeugs zu lesen. Ich erinnere mich an die Jahre damals, als wir alle dachten, wir wären Genies, was wir erstaunlicherweise nicht waren; mein Sohn findet auch irgendetwas an den Romanen lustig, wobei ich nicht genau weiß, was. Vielleicht freut er sich einfach, dass ich so fröhlich bin, wenn wir das lesen. Kinder sind ja doch sensibel.

Einmal gepackt, lässt einen „Die Frau mit dem Arm“ nicht mehr los

Doch wenden wir uns der aktuellen Literaturkritik zu: Es ist gut, dass es Andreas Doraus und Sven Regeners „Die Frau mit dem Arm“ gibt, weil der letzte Roman von Sven Regener „Glitterschnitter“ bei mir leider nur schwache Wirkung erzielte. Umso mehr „Die Frau mit dem Arm“. Es war eine Verzweiflungstat, das Büchlein zu bestellen aber die Lektüre wurde ein Fest. Ich wollte „Die Frau mit dem Arm“ eines Abends eigentlich nur anlesen, aber dann kam ich davon nicht weg und las das ganze Ding in ein paar Stunden einfach so weg. Das ist mir schon sehr lange nicht mehr passiert. Die Frage ist: Woran liegt das?

Bekloppte, selbstironische Looser-Geschichten eines Superstars

Bei „Die Frau mit dem Arm“ kommen zwei Dinge zusammen: Zum einen die bekloppten, selbstironischen Looser-Geschichten des unbekanntesten Superstars der Musikindustrie der 80er Jahre, Andreas Dorau. (Er ist berühmt, weil er 1981 als fünfzehnjähriger Schüler, gemeinsam mit anderen, den Neue-Deutsche-Welle-Hit „Fred vom Jupiter“ in die Welt setzte). Zum anderen Sven Regeners seltene Gabe, solche bekloppten Looser-Geschichten genau so zu erzählen, dass man die Looser liebt für ihr Looser-Sein, gleichzeitig sie aber so darzustellen, dass man sie stets respektiert. Jeder, der mal Kunst gemacht hat oder versucht hat, Kunst zu machen, der weiß, dass man stets auf dem schmalen Grat zwischen Größenwahn und mentalem Totalabsturz unterwegs ist, weil Kunst, Musik und Literatur Dinge sind, deren Qualität man nicht subsumieren kann wie ein Gerichtsurteil und weil man nirgends sicher ein Sehr-gut-Häkchen setzen kann, weil alles subjektiv ist. Und so hat man die Zweifel immer im Rucksack mit dabei. Damit man ihrer Herr wird, braucht es eine gehörige Portion Wahsinn. Genau dieses Gefühl transportieren Andreas Dorau und Sven Regener stabil durch alle – ich nenne sie mal – Kurzgeschichten in „Die Frau mit dem Arm“.

Dorau und Regener erzählen davon, wie es ist, wenn im Leben der Wurm drin ist

Wovon nun handeln die Geschichten in „Die Frau mit dem Arm“? Die beiden Erzähler versetzen uns an den Beginn der 2000er Jahre. Unser Held, Ich-Erzähler Andreas Dorau, befindet sich in einer Krise, die er wie folgt definiert: „… war irgendwie der Wurm drin, die Luft raus, das Getränk des Lebens schal geworden, die Hitmaschine lahmte, ich war raus, Schnee von gestern, es drängten junge Leute nach, ich hatte Geld, die hatten den Spaß, ich hatte den Namen, die hatten die Zuversicht, ich hatte eine Vergangenheit, die hatten Zukunft.“ Wir erfahren, was ein Künstler in so einer Situation macht: Er unternimmt musikalische Experimente mit anderen, wählt Irrwege, verzweifelt, betrinkt sich, sucht Hilfe beim Hypnotiseur, das ganze Programm. Hört sich nicht interessant an? Wenn Sven Regener und Andreas Dorau davon erzählen, ist es das aber. Ich wollte das Buch ja nicht in einem Zug durchlesen, aber jedesmal, wenn ich eine der Geschichten fertig hatte, las ich die ersten Zeilen der nächsten und war schon wieder drin.

Diese Kurzgeschichten über das Leben als Musiker sind sehr, sehr lustig

Natürlich dreht sich sehr viel um die Arbeit und das Leben als Musiker. Allerdings sind die Beobachtungen durchaus auf alle Künste zu übertragen. Und sie sind lustig. Ja, diese Geschichten sind wirklich sehr lustig. Etwa jene, in der Andreas Dorau davon erzählt, wie gerne er zum Arzt geht, obwohl er definitiv kein Hypochonder sei. Und wie er einmal den Doktor aufsucht, weil er unter Schwindelanfällen leidet; wie er vom Arzt in den MRT geschoben wird und am Ende mit einer Hammer-Diagnose herauskommt: „Nach einer halben Stunde holte mich die Frau mit dem Arm in ein Besprechungszimmer. In der Hand hielt sie einen Umschlag, ihr Gesichtsausdruck war sehr ernst. Der Befund, sagte sie, sei eigentlich unauffällig. ‚Allerdings‘, fügte sie an und machte eine kurze Kunstpause, ‚allerdings gibt es noch eine Sache: Sie haben ein signifikant übergroßes Gehirn!‘“

Wem dieses fröhliche Buch nicht gefällt, der muss ein Holzpfosten sein

Hier merkt man, welch brillante Kombination dieses Autorenteam bildet: Andreas Dorau gräbt in seinen verrückten Erinnerungen und liefert Material. Und Sven Regener packt das Ganze in Geschichten voller Pointen und Mitgefühl. Wem dieses durch und durch fröhliche Buch nicht gefällt, muss ein Holzpfosten sein. Oder er hat keinen Sinn für die Untiefen, die das Künstlerdasein mit sich bringt.

ISBN 978-3-86971-274-1

192 Seiten

€ 22,00

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<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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