Frau Bluhm liest: “Call Me by Your Name – Ruf mich bei deinem Namen” 5 von 5 Blu(h)men
Verfilmt von James Ivory – mit Timothée Chalamet und Armie Hammer
Wer schon seit einiger Zeit mit “Frau Bluhm liest”, weiß, dass ich dem guten Film genauso ergeben bin wie meinen heißgeliebten Büchern. Umso schöner, wenn dann ein Roman auftaucht, der an sich schon großartig ist, und dann umso großartiger verfilmt wird. Mit “Call Me by Your Name – Ruf mich bei deinem Namen” lieferte der ägyptische Autor André Aciman eine wunderschön poetische Geschichte, die dann keinem Geringeren als dem großen James Ivory in die Hände fiel, dessen Name man mit Filmen wie “Was vom Tage übrig blieb” oder “Zimmer mit Aussicht” verbindet. Damals führte er Regie, für “Call Me by Your Name” schrieb er am Drehbuch mit. Und wie man seit dem 1. März im Kino bewundern kann, gelang es den beiden Hauptdarstellern Timothée Chalamet und Armie Hammer diese gefühlvolle Liebesgeschichte vortrefflichst auf die Leinwand zu bringen. Viele internationale Preise waren die Folge.
Ein Junge entdeckt, dass die Liebe mehr ist als die Vereinigung zweier Körper
Doch zurück zum Buch, das uns ins Norditalien des Jahres 1983 versetzt. Der damals 17-jährige Elio lebt in der Pension seiner Eltern und richtet sich auf die Ankunft eines weiteren Feriengastes ein. Er ist jung, frei und ungebunden. Und natürlich, wie alle jungen Menschen, mehr als bereit Erfahrungen zu sammeln. Ob im Bett oder außerhalb davon, Elio beginnt in diesem Sommer seine Sexualität zu erforschen. Doch dann erwischt ihn die Liebe auf den ersten Blick in Gestalt des 24-jährigen amerikanischen Studenten Oliver, der als Feriengast für sechs Wochen in der Pension der Perlmans bleibt. Von Anfang an ist Elio fasziniert von dem gutaussehenden jungen Mann. André Aciman stellt uns als Lesern einem Jungen an die Seite, der zum ersten Mal entdeckt, dass Liebe mehr ist, als die Vereinigung zweier Körper und wir dürfen Zeugen einer Liebesgeschichte sein, die so alt ist wie die Welt.
Beim Lesen wird einem so richtig schön das Herz gebrochen
So alt wie die Welt im Thema, relativ neu und innovativ in der Umsetzung, denn auch wenn Homosexualität (dem Himmel sei Dank) längst kein Tabuthema mehr ist, so wird dennoch selten so offen damit umgegangen, wie in diesem Buch. Und noch viel weniger auf der Leinwand. Wir dürfen die Rolle der Fliege an der Wand einnehmen, nein, eigentlich auch noch falsch, denn wir dürfen sogar an Elios Gedanken teilhaben. Wir sind Zeugen dieser so wunderbar authentisch und zart wachsenden Zuneigung, der Lust aufeinander und des Lebens füreinander. Je länger wir Elio und Oliver begleiten, desto alltäglicher und bekannter kommen uns ihre innere Qualen vor, die gerade weil sie so banal und alltäglich sind, für nichts anderes gemacht zu sein scheinen, als einem beim Lesen auf 280 Seiten einmal so richtig schön das Herz zu brechen.
Man kann es sich eben nicht aussuchen, wem man seine Liebe schenkt
“Call Me by Your Name” behandelt das Thema Liebe so grundehrlich und realistisch, dass man beim Lesen immer mehr erkennt, dass es für jeden geschrieben wurde, der schon einmal verliebt war. Und es lässt einen mit der Zeit erkennen, dass es egal ist, ob man Mann oder Frau liebt, ob die Liebe zwei Stunden dauert oder sechzig Jahre, ob der Geliebte jung oder alt ist. Denn letzten Endes macht einem die Geschichte von Elio und Oliver deutlich, dass man es sich weder aussuchen kann, wem man seine Liebe schenkt, noch die Garantie dafür erhält, dass sie einen glücklich macht; nur, dass es wichtig ist es zuzulassen, denn es nicht zu tun, wäre Verschwendung am Leben selbst.
Ich habe durch dieses Buch wieder etwas über das Leben gelernt
Dies alles und noch viel mehr teilt uns André Aciman in wunderschön poetischer, und dennoch gnadenlos offener und ehrlicher Sprache mit. Wer sein Buch liest, der bekommt Weisheit, Dummheit, Verliebtheit, Leidenschaft, Unsicherheit und Sehnsucht zwischen zwei Buchdeckeln. Und diese Zustände existieren, wie wir alle wissen, losgelöst von Alter, Entfernung, Zeit und Geschlecht.
Dies tut er so gut, dass er sich schon nach wenigen Seiten einen kleinen Trampelpfad in mein Herz geschlichen hat, der immer dort bleiben wird. Ich habe durch das Lesen des Buches wieder etwas über das Leben gelernt und kann jedem nahelegen, sich auch von André Acimans Worten gefangen nehmen zu lassen. Doch lassen wir es den Autor selbst sagen:
“Die meisten würden hoffen, dass es vorüber geht, oder beten, dass sie möglichst bald wieder festen Boden unter die Füße bekommen. Aber ich denke da anders: Wenn der Schmerz kommt, pflege ihn und wenn die Flamme brennt, lösche sie nicht, sei nicht brutal zu ihr. Wir reißen so viel mit Stumpf und Stiel aus unserer Seele, um ja nur ganz schnell wieder gesund zu werden, dass wir bis dreißig bankrott sind, und mit jedem Neuanfang weniger zu bieten haben.”
Wer kann sich denn dabei NICHT angesprochen fühlen?