Der junge Künstler Karl zählt zur Berliner Avantgarde
Moderne Kunst, eine unmögliche Familie und eine vielleicht mögliche Liebe bilden das magische Dreieck, in dessen Spannungszone Anne Reineckes Debütroman “Leinsee” spielt. Auch die Figuren, die dieses Dreieck beleben, haben es in sich: Der Künstler Karl ist noch keine dreißig, zählt aber bereits zur Berliner Avantgarde. Er hat die Vakuumkunst erfunden, die darin besteht, alltägliche Gegenstände in Vakuumfolie einzuschweißen. Noch schillernder als Karl aber sind seine Eltern: Ada und August Stiegenhauer sind Kunststars und sie sind genau so durchgeknallt wie man sich weltbekannte Künstler vorstellt. Zu ihrem Lebensentwurf gehört eine Liebe, in der für nichts außer ihrer Kunst noch Platz ist. Auch nicht für den Sohn. Was zur Folge hat, dass dieser ins Eliteinternat gegeben wird und keine Beziehung zu den Eltern entwickelt.
Karls Vater erhängt sich, weil er ohne seine Frau nicht leben will
Das Talent der Eltern erbt Karl aber durchaus und so macht er sich bald selbst einen Namen als Künstler – unter Pseudonym. So könnte diese merkwürdige Familie weiterhin aneinander vorbeileben, wäre da nicht der Tumor im Gehirn seiner Mutter: Als die Operation bevorsteht, die Ada wohl nicht überleben wird, erhängt sich Karls Vater. August kann sich ein Leben ohne die geliebte Frau nicht vorstellen. Allerdings, und hier zeigt sich schon auf den ersten Seiten Anne Reineckes Sinn für überraschende Wendungen: Die Mutter überlebt die Operation. Jetzt muss Karl ran! Reineckes Sinn für Überraschungen übrigens wird die Leser*in immer wieder übertölpeln: Man denkt, man weiß, was kommt, aber dann kommt es doch völlig anders.
Der Künstler in der Krise findet Halt bei einem jungen Mädchen
Durch den Tod des Vaters bietet sich Karl die Chance, seiner Mutter näherzukommen. Allerdings ist Ada seit der Gehirn-OP verwirrt und hält ihn für ihren Mann, was zu Situationen führt, die komisch sind, aber auch erschreckend. Es soll nicht die einzige unmögliche Liebe in diesem Roman bleiben: Eine weitere wichtige Figur begegnet Karl im Garten der elterlichen Villa: Tanja ist acht, duftet nach Basilikum und schenkt Karl eine neue Dimension von Sicherheit. Man kann nicht behaupten, dass Karl sich in Tanja verliebt – dazu ist sie zu jung. Aber es ist ein besonderes Verhältnis, das sich zwischen dem Mädchen und dem Künstler in der Krise entwickelt. Und als Tanja sich anschickt, volljährig zu werden, ertappt man sich bei dem Gedanken, wie es wäre, wenn die beiden doch noch ein Paar würden.