„Ich könnte das nicht“, sagte mir mein Nachbar – ein pensionierter Handwerksmeister – kürzlich: „So wie du, den ganzen Tag am Computer sitzen. Da würde ich schon lieber etwas arbeiten.“ Lerne ich jemanden neu kennen und erzähle, dass ich Bücher schreibe, höre ich nicht selten auch folgende Frage: „Und was machen Sie dann beruflich?“
Betrachtet man die Ranglisten, in denen Berufe nach dem Ansehen in der Bevölkerung geordnet werden, so steht meist ganz oben der Arzt oder der Feuerwehrmann und der Beruf des Schriftstellers taucht gar nicht erst auf. Trotzdem scheint er für viele Menschen erstrebenswert zu sein. Jedenfalls begegne ich ständig Menschen, die mir erzählen, dass sie auch ein Buch schreiben wollen. Sie hätten auch schon eine Idee. Vor allem für diese Menschen schreibe ich heute diese Kolumne. Denn heute erkläre ich, wie man Schriftsteller wird.
Erster Schritt:
Bereits bevor Sie auch nur eine Zeile zu Papier gebracht haben, sollten Sie sich ein Beispiel am großen Oskar Maria Graf nehmen und sich Visitenkarten drucken lassen, auf denen ihr Name steht und darunter: „Schriftsteller“. Das Problem ist nämlich, dass es keine behördliche oder sonstige Bestätigung gibt, die schwarz auf weiß erklärt, dass jemand Schriftsteller ist.
Man muss sich diese schriftstellerische Identität also eigenhändig schaffen. Ein weiterer Vorteil der Visitenkarten-Methode ist folgender: Wer auf einer Party Visitenkarten mit dem Aufdruck „Schriftsteller“ verteilt hat, gerät unweigerlich unter Druck. Denn natürlich werden einen alle, die einen das nächste Mal treffen, fragen, wie es denn so läuft als Schriftsteller – und wann das Buch fertig ist. Druck schadet einem Schriftsteller gar nichts, denn sonst wird er nicht fertig.
Zweiter Schritt:
Da Ihre Umwelt nun auf Ihr Werk brennt, sollten Sie mit dem Schreiben beginnen. Zuerst verfassen Sie ein Exposé, in dem Sie den groben Inhalt auf 10 bis 20 Seiten umreißen.
Wenn Sie das haben, schreiben Sie los. Sollte es gut vorangehen – super! Aber freuen Sie sich nicht zu früh: Die ersten 50 Seiten schreiben sich relativ locker. Das ist nämlich ungefähr die Menge Text, die man noch gut überschauen kann. Danach wird es unübersichtlich und man gerät in die Versuchung, immer wieder das zu lesen, was man schon geschrieben hat. Das sollten Sie nicht tun. Sie sind nämlich Schriftsteller und nicht Leser. Lesen Sie nur die Seiten, die Sie am Vortag geschrieben haben, damit Sie wieder in Ihren Text hineinfinden und schreiben Sie dann gleich weiter.
Dritter Schritt:
Was viele vergessen: Ein Schriftsteller muss auch ein Verkäufer sein. Seine Ware ist die Geschichte. Ich empfehle Ihnen, sobald Sie die ersten 20 Seiten haben, das Exposé Verlagen anzubieten. In der Regel dauert es nämlich Monate oder Jahre bis Sie einen Verlag finden, der auch nur den Hauch von Interesse zeigt (auch wenn Sie und alle Ihre Freunde Ihre Geschichte natürlich absolut einzigartig finden).
Es ist schlauer, 10 Exposés anzubieten, von denen eines genommen wird, als dass Sie einen einzigen Roman komplett schreiben, den dann keiner will. Haben Sie einen Verlag gefunden, der einigermaßen interessiert klingt, dauert es dann ohnehin noch einmal Wochen oder Monate bis Sie endlich einen unterschriftsreifen Vertrag vorliegen haben.
Kleiner Exkurs: Seien Sie in den Verhandlungen mit Verlagen nicht zu stur. Beharren Sie nicht auf Ihren (natürlich genialen) Ideen. Zeigen Sie inhaltliche und stilistische Beweglichkeit. Es ist ein großer Glücksfall, wenn ein Verlag überhaupt Interesse an Ihnen und Ihrem Werk zeigt. Findet der Verlag, man sollte hier und da noch etwas ändern, dann gehen Sie einen Schritt auf ihn zu. Vergessen Sie nicht: Es geht für Sie in diesem Stadium nur darum, ein Buch in einem namhaften Verlag zu veröffentlichen. Sie müssen den Fuß in die Tür bekommen. Es geht momentan nicht um den Literaturnobelpreis, auch wenn Sie ganz sicher ein Genie sind.
Noch ein kleiner Exkurs: Eine empfehlenswerte Alternative, dem Verlag das Exposé anzubieten, ist es, sich an eine Literaturagentur zu wenden. Es ist zwar nur ein bisschen leichter, dort gehört oder gelesen zu werden, aber ich kenne keinen einzigen Schriftsteller, der es ohne Agenten zu einem namhaften Verlag geschafft hat. Nehmen Sie diesen Umweg, er führt mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg.
Vierter Schritt:
Hurra, Sie haben einen Verlag gefunden, der Ihr Werk druckt! Sie denken jetzt vermutlich: Ich habe meinen Job gemacht, ab jetzt kümmert sich der Verlag um alles. Ich aber sage Ihnen: Jetzt geht die Arbeit für Sie erst richtig los. Denn sollten Sie davon träumen, ein weiteres Buch in diesem Verlag veröffentlichen zu dürfen, müssen Sie dafür sorgen, dass sich Ihr aktuelles Werk mindestens 6.000 mal verkauft.
Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, wären 10.000 Exemplare noch besser. Ihr Verlag wird übrigens nicht dafür sorgen, dass sich Ihr Buch gut verkauft. Sondern er wird schauen, was mit Ihnen, dem hoffnungsvollen Talent, und Ihrem Debüt so passiert. Der einfachste Weg, diese Menge an Büchern zu verkaufen ist es, eine eigene Fernsehsendung an Land zu ziehen oder in einem Tatort mitzuspielen. Damit haben Sie Öffentlichkeit und das steigert erfahrungsgemäß die Verkaufszahlen. Sie können sich aber auch im Playboy ausziehen oder auf anderem Weg eine große Menge an Menschen für sich begeistern. Hier ist Ihrer Kreativität noch weniger Grenzen gesetzt als beim Schreiben.
Fünfter Schritt:
So richtig geschafft haben Sie es erst, wenn Ihr Verlag bereit ist, ein zweites Buch von Ihnen zu drucken.
Über die ganzen Zweifel, die Sie während dieser fünf Schritte begleiten werden, über die Verwundungen, die Sie ertragen werden, aber auch über das Glück, ein frisch gedrucktes Buch in der Hand zu halten, möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Nur so viel: Schriftsteller werden Sie nur, wenn Sie es wirklich wollen und bereit sind über einen langen Zeitraum (fast) alles dafür zu geben.
Erste Schlussbemerkung: Sie finden dies alles reichlich unromantisch? Dann muss ich Ihnen sagen: Sie wollen ja auch Schriftsteller sein und nicht Hobby-Schriftsteller, oder? Wenn Sie es romantisch mögen, dann denken Sie sich gereimte Liebesverse für einen Menschen aus, den Sie mögen.
Zweite Schlussbemerkung: Das Prestige eines Schriftstellers ist gar nicht so schlecht: Bei den Freien Berufen liegt er direkt hinter dem Arzt, dem Anwalt, dem Apotheker und dem Ingenieur an vorletzter Stelle der Rangliste. Es lohnt sich also durchaus, diesen spannenden Beruf zu ergreifen und nicht etwa Journalist zu werden, denn der belegt auf der Rangliste den letzten Platz.
Dritte Schlussbemerkung: Das beste Buch darüber, wie man einen verdammt guten Roman schreibt, ist von James N. Frey und heißt „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“.