In Thomas Raabs „Walter muss weg“ liegt die falsche Leiche im Sarg
Frau Huber, die Heldin von „Walter muss weg“, Thomas Raabs Auftaktband zur neuen Krimiserie, hat ein gravierendes Problem: Der Sarg, der eben ins Grab ihres Mannes hinabgelassen wurde, hat sich versehentlich geöffnet und es fiel eine Leiche heraus, die nicht Herr Huber, also Walter ist. Frau Huber hatte sich eigentlich gefreut über den Tod ihres Mannes, denn die Heirat vor vielen Jahren war nicht freiwillig gewesen; und auch die hierauf folgende Ehe eher ein Aneinandervorbeileben. Walters Tod hätte den Weg frei gemacht für ein glückliches Restleben.
Frau Hubers Mann ist angeblich bei einem „Verkehrsunfall“ im Bordell gestorben
Zwar waren schon die vom Bürgermeister und örtlichen Arzt (in Personalunion) Kurt Stadlmüller mitgeteilten Todesumstände schwer für Frau Huber zu ertragen: Walter sei im Bordell bei einem „Verkehrsunfall“ zu Tode bekommen. Damit hätte Frau Huber vielleicht noch leben können. Nicht aber damit, dass man ihr eine falsche Leiche in den Sarg schmuggelt. Außerdem besteht unter diesen Umständen die Gefahr, dass Walter noch lebt und damit die unsägliche Ehe womöglich weitergeht. Frau Huber übernimmt also den Fall.
Eine Puffmutter, ein Staatssekretär, ein Totengräber
Im Rahmen ihrer Ermittlungen stößt Frau Huber auf noch mehr Leichen, auf eine Unterschenkelprothese im Sumpf, auf einen in dubiose Machenschaften verstrickten Pfarrer, auf eine Puffmutter, einen Staatssekretär, eine sehr groß gewachsene Polizistin, einen Totengräber. Sogar ein frecher Bub spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Die gesamte Geschichte ist vertrackt und mysteriös. Zum Glück ist Frau Huber eine kluge Frau, welche die Pappenheimer ihrer engen Dorfgemeinschaft durchschaut und streng nach den Gesetzen der Logik vorgeht.
Liebevolle Bösartigkeit und Sprachwitz zeichnen Thomas Raabs Stil aus
Thomas Raab hat mit Frau Huber eine Heldin geschaffen, der man gerne folgt. Er hat seinem Roman „Walter muss weg“ zudem eine ganz eigene Sprache verpasst, eine voller Doppeldeutigkeiten und Witz. In kurzen, manchmal gekonnt amputierten Sätzen führt er uns mit hohem Tempo durch die Geschichte. Dabei geht es ihm nicht ausschließlich um das Vorantreiben der Handlung – quasi nebenbei gibt er auch Einblick in den Gedanken-Kosmos eines kleinen Dorfs. Botanische Details, politische Seitenhiebe, religiöse Beobachtungen, sogar Rezepte wie das für hausgemachten Franzbranntwein, den man innerlich wie äußerlich anwenden kann, werden dem Leser en passant serviert. Mit liebevoller Bösartigkeit entlarvt Thomas Raab in “Walter muss weg” zudem das bauernschlaue, opportunistische Denken seiner Figuren.
Müssen wir an “Walter muss weg” auch etwas kritisieren?
Schließlich kommt auch die Auflösung am Ende ziemlich überraschend. Und so ist „Walter muss weg“ ein im Großen und Ganzen so kunstvoller wie gelungener Kriminalroman. Möchte man Kritik äußern, so vor allem diese: Dass es Thomas Raab mitunter ein wenig übertreibt mit seinen sprachlichen und gedanklichen Pirouetten; dadurch gerät gelegentlich die Weiterführung der Handlung ins Straucheln. Aber vermutlich wird eine Vielzahl an Leserinnen und Leser gerade diese Pirouetten als besonders gelungen empfinden. Denn eines steht fest: Dieser Thomas Raab ist schon ein ganz besonders sprachbegabter Schriftsteller.