ISBN 978-3-404-17963-3

464 Seiten

€ 11,00

Maja ist 18 und sitzt im Gefängnis. Sie führte ein ausschweifendes Leben und war während des Amoklaufs im Klassenzimmer der schwedischen Schule. Aber ist sie eine Täterin? Malin Persson Giolitos „Quicksand“!

Malin Persson Giolitos Roman „Quicksand – Im Traum kannst du nicht lügen“ wurde für Netflix verfilmt

Titelbild Quicksand

© Butsaya shutterstock-ID: 292584338

Die 18-jährige Maja wird verdächtigt, ein Massaker verübt zu haben

Malin Persson Giolitos Roman „Quicksand“ war die Vorlage für die gefeierte, gleichnamige Netflix-Serie. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die 18-jährige Schwedin Maja Norberg, die verdächtigt wird, an einem Amoklauf an ihrer Schule mitgewirkt und dabei mehrere Klassenkameraden getötet zu haben. Zu den Toten gehört auch ihr Freund Sebastian Fagerman. Er ist der Sohn eines exorbitant reichen Schweden, der mit Ministern und Stars verkehrt, und führt ein von Ausschweifungen geprägtes Leben, das wir in Rückblicken kennenlernen. Mit dem Beginn ihrer Beziehung wird auch für die aus guten, aber nicht reichen Verhältnissen stammende Maja dieser dekadente Jetset-Alltag zugänglich. Die jungen Leute fliegen im Privatflugzeug, nehmen Drogen und feiern orgiastische Partys mit gekauften Mädchen.

Malin Persson Giolito begleitet uns zielstrebig in die Katastrophe

Die Autorin hat für ihren Roman einen komplexen Aufbau gewählt, denn von Anfang an ist klar, dass Maja im Gefängnis sitzt und ihr der Prozess gemacht wird. Man spoilert auch nicht, wenn man verrät, dass Maja tatsächlich im Klassenzimmer gewesen ist und mit einer Waffe geschossen hat. Die Spannung entspringt anderen Quellen. Zum einen der Tatsache, dass es sich bei Malin Persson Giolito um eine sehr gute Erzählerin handelt. Im geschickt arrangierten Wechsel springt sie zeitlich und von Schauplatz zu Schauplatz und lässt so nach und nach ein Bild von der Entwicklung entstehen, die letztlich in die bereits bekannte Katastrophe mündet.

„Quicksand“ zeigt die Schattenseiten grenzenlosen Reichtums

Zu dieser Entwicklung gehört das schwierige Verhältnis von Sebastian zu seinem Vater Claes. Der Erzeuger verachtet seinen Spross, er enthält ihm die Liebe vor, die ein haltlosere Teenager brauchen würde. Das einzige, was er ihm zu Verfügung stellt, sind sein Reichtum und die mit ihm verbundenen so unbegrenzten wie gefährlichen Möglichkeiten. Sebastian wächst im Schatten seines erfolgreichen großen Bruders Lukas zum Versager und schwarzen Schaf der Familie heran. Maja, die von ihrem Elternhaus mit einem soliden Moralkorsett ausgestattet ist, bemüht sich, Sebastian Halt zu geben. Doch das ist in einer Existenz, die wegen ihres Reichtums keine Autoritäten anerkennen muss, schwierig.

Malin Persson Giolitos Roman wirft wichtige gesellschaftliche Fragen auf

Neben der Hauptgeschichte, die Malin Persson Giolito mit erzählerischer Präzision und im Wesentlichen frei von Klischees vor unseren Augen entfaltet, handelt sie auch zentrale aktuelle Themen ab, die gegenwärtig Schweden, Europa und die Welt bewegen. Ein wichtiges darunter ist die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit: Kann es gesellschaftlich gewollt sein, dass es Menschen gibt, die so reich sind, dass für sie keine Regeln mehr gelten? Diese Frage kulminiert in einer Affäre, die Maja mit einem Klassenkameraden eingeht, dessen Eltern Migranten sind und der am Ende des Gerichtsverfahrens zu einer Schlüsselfigur werden wird.

„Quicksand“ kommt ohne jeden erhobenen moralischen Zeigefinger aus

Samir ist attraktiv, er ist hochintelligent und er ist sehr fleißig. Dennoch scheint er gegenüber dem wohlstandsverwahrlosten Sebastian den Kürzeren zu ziehen. Es zählt zu einer der Stärken von Malin Persson Giolitos „Quicksand“, dass sie solche Fragen im Vorbeigehen und ohne erhobenen Zeigefinger aufwirft. In diesem Roman steckt viel mehr Zeitkritik als man dies von einem Thriller erwarten würde.

Warum die Lektüre trotzdem nicht die reine Freude bereitet

Dennoch oder gerade deshalb bereitet die Lektüre dieses Buchs keine reine Freude. Über allem Erzählten liegt eine düstere, eine belastende Atmosphäre. Man liest beklommen dem Ende des Dramas entgegen. Hinzu kommt, dass – zu Beginn des Romans – die Story eher schleppend in Schwung gerät. Dies ändert sich ab knapp der Hälfte, wenn der Gerichtsprozess immer mehr in den Vordergrund der Story rückt. Denn Maja wird von einem brillanten Strafverteidiger vertreten, und es macht Spaß, seine Taktik kennenzulernen und seinen Argumentationen zu folgen, mit denen er sich der Staatsanwältin und der gesamten schwedischen Öffentlichkeit sowie den Medien entgegenwirft.

An welchen Stellen soghafte Spannung entsteht und woran dies liegt

In diesen klassischen Gerichts-Thriller-Momenten entsteht soghafte Spannung. Dass Malin Persson Giolito vor ihrem schriftstellerischen Erfolg viele Jahre lang Rechtsanwältin war, spürt man hier auf jeder Seite. Und man fiebert mit, man hofft, dass es Majas Verteidiger Sander gelingen wird, die Unschuld seiner Mandantin zu beweisen. Dies, obwohl diese Unschuld alles andere als erwiesen ist. Denn über das, was wirklich während des Amoklaufs in der Schule passiert ist, ist sich nicht einmal Maja sicher. „Quicksand“ ist ein gelungener, ein kluger Roman, der viel über den Zustand unserer westlichen Welt verrät. Es ist ein literarisches Werk, das in einer Tradition mit Matias Edvardssons „Die Lüge“ steht, wo auch eine junge Schwedin des Mords verdächtigt wird; doch „Quicksand“ tritt uns mit seiner Wahrhaftigkeit so nahe, dass er uns nachdenklich, wenn nicht sogar verzweifelt zurücklässt.

 

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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