ISBN 978-3-96161-053-2

224 Seiten

€ 18,00

Wer ist hier nun die Verrückte?, fragt man sich, wenn man Martina Bergmanns herrliches Buch „Mein Leben mit Martha“ liest. Die Autorin lebt mit einer dementen alten Dame zusammen. Diesen fröhlichen Roman müssen Sie lesen!

Martina Bergmann im Interview über ihr Buch „Mein Leben mit Martha“, das auf ihrem echten Leben basiert

Titelbild Mein Leben mit Martha

© Süderhuse Photographie

Frau Bergmann, Sie haben mit „Mein Leben mit Martha“ ein witziges und lebensbejahendes Buch über eine demente ältere Dame geschrieben. Manchmal ist es geradezu slapstickhaft. Müssen wir nun keine Angst mehr davor haben, dement zu werden bzw. davor, dass jemand in unserer Familie dement werden könnte?

Wenn ich Martha und ihren Lebensgefährten Heinrich vergleiche: Sie hat es besser. Er konnte (und musste) sich Sorgen machen, sie nicht. Und ohne Sorgen führt man das glücklichere Leben. Ich glaube, ich wäre als alte Frau auch lieber etwas verrückt als sehr gebrechlich.

Sie selbst leben im echten Leben mit einer dementen älteren Dame zusammen. Sie nennen Ihr Buch aber „Roman“. Wie hoch ist der fiktive Anteil Ihres Werks?

Die guten Menschen gibt es wirklich, die heißen auch nur unwesentlich anders. Frau Fisch heißt zum Beispiel in echt Frau Zander. Bei den blöden Leuten habe ich herumgebaut, also Aussagen und Handlungen von einem zum anderen übertragen. Es sollte kein Abrechnungsbuch werden. Insgesamt: Wenig ausgedacht, aber mit künstlerischen Freiheiten.

Wenn ich Ihre pointierten Dialoge und treffsicheren Beobachtungen lese, muss ich ganz oft laut lachen. Gleichzeitig geht vieles von dem, was Sie erzählen ans Herz. Ihr Roman ist voller Gefühle. Was kaum oder gar nicht vorkommt, ist das Gefühl der Angst. Haben Sie keine Angst?

Nee, ich bin kein ängstlicher Mensch. Ich kann mich gut ärgern und das dann aber hinter mir lassen. Ich habe natürlich Angst vor Unfällen und Unglücken; ich glaube, das ist normal. Nur: Wenn man ängstlich ist, so vom Charakter, dann kann man nicht selbständig sein. Das überlebt man sonst nicht.

Müssen Sie keine Sicherheitsvorkehrungen treffen, wenn Martha den ganzen Tag allein ist? Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass schon nichts passieren wird, wenn sie allein ist? Sie könnte versuchen, etwas zu kochen und das Haus abfackeln, Sie könnte sich oder andere mit Küchenwerkzeugen verletzen …

Der Herd ist tagsüber ausgestellt, dazu drehe ich einfach die Sicherung raus. Martha kann, wenn sie etwas Warmes essen oder trinken möchte, mit dem Wasserkocher hantieren, denn der schaltet sich von selber aus. Und sie weiß nicht, wo ich das Bügeleisen verwahre. Das sind meine beiden Vorkehrungen für Martha. Außerdem ist nie viel Bargeld im Haus, und ich habe alle wichtigen Papiere hier in der Firma. Solche Sicherheitsmaßnahmen muss ich aber nicht wegen Martha ergreifen, sondern weil es Vorfälle mit Dritten gab.

Machen wir uns allgemein zu viele Gedanken darüber, was in unserem Leben Schlechtes oder Gefährliches passieren könnte?

Ja, das glaube ich wirklich! Ich finde, jeder Tag soll schön sein. Es kann noch so blöd laufen, aber man muss sich einmal am Tag eine Freude machen. Am besten sich selbst und anderen zugleich.

Hat Martha den Umzug wirklich so locker genommen wie in Ihrem Buch beschrieben? Wir hatten in unserer Familie selbst eine demente Großmutter, die ihren letzten Umzug nicht mehr gut verkraftet und sich in ihrer neuen Nachbarschaft regelmäßig verlaufen hat …

Ich war sehr verblüfft, aber: Ja. Es hat sie gar nicht weiter interessiert, Hauptsache, ich war da. Das war für mich ein starkes Zeichen, dass wir wirklich zusammengehören.

Ich gehe mal davon aus, dass Ihr wirkliches Leben mit Martha so ähnlich ist wie Sie es beschreiben; dass Sie Ihren Alltag also komplett auf diese alte Dame, mit der Sie nicht einmal verwandt sind, eingestellt haben. Da stellt sich mir die Frage nach Ihren eigenen Bedürfnissen – nach „normalen“ Freundschaften, nach Urlaub, nach einer Pause von der Verantwortung, nach Liebe und Partnerschaft. Wie gehen Sie mit solchen Bedürfnissen um?

Wie alle anderen auch: Ich versuche, das hinzubekommen. Wenn Sie eine Familie haben, sind Sie nicht allein. Ein Bild wäre – alleinerziehend mit Oma. Nur mit dem angenehmen Unterschied, dass ich für Martha kein Geld verdienen und sie nicht erziehen muss.

Gibt es Menschen in Ihrem Umfeld, die nicht Martha, sondern Sie für verrückt halten?

Oh ja, ganz viele. Aber das hat mich noch nie gestört.

Wie fänden Sie das Leben ohne Menschen wie Martha, also welche, die ein bisschen „anders“ sind?

Die gehören dazu. Ich bin ein Bethel-Kind, ich habe dort Abitur gemacht. Und von dort habe ich den schönen Satz: „Niemand ist ohne Fähigkeiten.“ Wenn jemand wie Martha gute Laune herstellt, dann ist das ja auch eine Leistung.

Irgendwo schreiben Sie den Satz „Sie tut mir gut.“ Was ist das genau, was Ihnen gut tut im Zusammenleben mit Martha? Kann man das in Worte fassen?

Sie ist heiter, und sie ist ungeheuer solidarisch. Das sind beides keine Eigenschaften, die mit der Demenz zu tun haben. Ich finde es sehr schön, so eine Person in meiner Familie zu haben. Und sie hat auch eine feministische Grundstimmung, die ich von zu Hause nicht kenne. Beides zusammen ist wohltuend.

Interessant ist die Missgunst, mit der Sie sich mitunter konfrontiert sehen: Was sagen Sie dazu, dass es für viele Menschen unvorstellbar ist, dass Sie mit Martha zusammenleben, weil Sie es als Bereicherung empfinden, nicht aber, weil Sie es auf ihr Geld abgesehen haben? Wie wappnen Sie sich gegen solche Unterstellungen?

Inzwischen mache ich mich darüber lustig. Ich weiß ganz gut, wer was redet; das bekommt man in so einem Dorf wohl mit. Ich gehe in öffentlichen Situationen auf die Leute zu und sage – guten Tag. Ich bin die Erbschleicherin. Das macht mir dann Spaß. Interessant ist die Beobachtung, dass es meistens nur vordergründig um Geld geht. Eigentlich löst meine Freiheit so viel Missgunst aus. Ich hatte ja einfach eine Lebenssituation, in die ich die beiden alten Leute aufnehmen konnte, und ich habe auch heute die Freiheit, mit Martha so zu leben, wie wir beide das wollen.

Können Sie aus Ihren Erfahrungen mit Martha allgemeine Schlüsse ziehen, wie man dementen Menschen ein besseres Leben ermöglichen könnte? Was könnten wir, als Mitmenschen und Gesellschaft, was könnte die Politik besser machen?

Etwas mehr Gelassenheit würde allen gut tun. Die Gesellschaft ist überaltert, und gerade durch diese jetzt gebrechlich werdende Generation gehen die großen weltanschaulichen Konflikte. Martha und Heinrich sind liberale Intellektuelle. Nicht unbedingt 68er, aber von der Bewegung stark geprägt. Es gibt genauso gut alte Bauern, alte Industriearbeiter, alte Künstler, alte Angestellte. Alle diese Milieus haben unterschiedliche Vorstellungen über ihre Versorgung. Das müsste man bereden, auch zwischen den Generationen. Und an die Politik gewandt: Das Gerede vom Pflegenotstand macht mich wahnsinnig! Ich habe das hier wirklich nicht erlebt, ich habe immer in allen Situationen Hilfe bekommen.

Kann man behaupten, dass Ihre Erfahrung als Buchhändlerin Ihnen im Umgang mit Martha schon auch etwas hilft? Weil der Buchhändlerberuf durchaus auch eine Art „Fürsorgeverpflichtung“ mit sich bringt?

Hahaha. Das sehen Kunden manchmal so. Ich glaube eher, Sie können kein Einzelhändler sein, wenn Sie nicht Menschen mögen.

Bitte sagen Sie noch etwas zu Ihren Erfahrungen mit Behörden. Das ist ja durchaus durchwachsen. Was schießt Ihnen als erstes in den Kopf?

Das sind auch alles nur Menschen. Manche so, andere so. Die irritierende Erfahrung – sie lieben einen fast, wenn man höflich ist. Also: Briefe beantwortet, Sachauskünfte gibt. Im Umkehrschluss: Ganz schön viele andere Angehörige scheinen sich in den Behörden nicht gut zu benehmen. Das finde ich ungehörig. Und mir ist auch aufgefallen, dass Familien dazu neigen, den Behörden, also eigentlich: der Gesellschaft, ihre privaten Konflikte anzutragen. Ich finde das sehr befremdlich, auf eine Weise unmanierlich.

Ihr kompletter Alltag ist ausgefüllt mit Ihrer Arbeit und Ihrer Sorge um Martha. Irgendwann wird Martha nicht mehr sein. Kommt da nicht unweigerlich eine große Leere auf Sie zu? Was machen Sie ohne Martha?

Weiter. Ich mache einfach immer weiter. Und ich habe bei Heinrich gelernt, wenn man jemand gut an sein Ende geleitet, dann kann man auch gut um ihn weinen. Man muss gründlich trauern, und das dauert eine Zeit. Aber dann ist es gut.

Ihr Roman „Mein Leben mit Martha“ ist ein fulminantes Debüt. Arbeiten Sie bereits an einem Nachfolger? Verraten Sie ein bisschen?

Ja, ich schreibe gerade einen neuen Roman. Der ist komplett ausgedacht. Sie merken es daran, dass er 1965 beginnt, und da war ich noch gar nicht geboren. Zum Inhalt verrate ich noch nichts; das habe ich der Verlegerin versprochen.

Das ist aber schade!

Über Martina Bergmann

ISBN 978-3-96161-053-2

224 Seiten

€ 18,00

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Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

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