Sorry, No posts.
Wie ich einmal nachts im Urwald von Tieren angegriffen wurde.

Kinder, die lesen, sind gefährlich

Sorry, No posts.

Kinder, die lesen, sind gefährlich. Finden Sie nicht? Na, dann passen Sie mal auf: Kürzlich will ich am späten Abend vor dem Schlafengehen nach unserem Sohn Leonhard schauen. Er ist sieben und schläft in einem Hochbett. Ich öffne die Tür, betrete sein Zimmer und will das Bett umrunden. Doch so weit komme ich gar nicht, denn – ehe ich mich wehren kann – winden sich mehrere Schlangen um meinen Oberkörper! Zwischen meine Füße werfen sich pelzige Tiere und jemand haut mir einen dicken Ast gegen das Schienbein. Stöhnend gehe ich zu Boden. Als wäre dies nicht schon genug, wirft sich auch noch ein Wesen mit eklig reptilienartiger Schuppenhaut auf mich. Atemlos bleibe ich liegen. Merkwürdigerweise halten die Angreifer jetzt auch still.

Mit rasendem Herzen und schmerzendem Schienbein robbe ich zur Tür und schiebe sie auf. Ein Lichtstrahl fällt ein. Die Reptilienhaut ist die Paillettendecke aus der Faschingskiste. Jetzt will ich’s aber wissen: Ich hole eine Taschenlampe und kehre zurück. Der schwache Lichtkegel des Scheinwerfers wandert durch das Kinderzimmer. Ich bin erschüttert: Das ist kein Kinderzimmer, das ist eine Mischung aus Urwald und Partyhöhle!

Am nächsten Morgen stelle ich Leonhard zur Rede: Was hast du aus deinem Zimmer gemacht? Bist du verrückt geworden? Ich hätte mir fast den Hals gebrochen!

„Wenn dir das nicht gefällt, musst du ausziehen!“

Ob ich denn keine Bücher läse, fragt mich mein Sohn. Mitleidigen Blicks nimmt er mich bei der Hand, in der anderen hat er ein Bilderbuch, er setzt sich auf meinen Schoss und liest mir vor: aus „Gordon und Tapir“ von Sebastian Meschenmoser.

Die Geschichte handelt von einem Tapir – das sind diese seltsam aus der Zeit gefallenen, comic-haft aussehenden Vierbeiner mit der langen, rüsselartigen Nase. Der Tapir in dem Buch ist ein Lebensgenießer und liebenswerter Chaot, der in einer WG mit dem ordnungsfanatischen Pinguin Gordon wohnt. Während Gordon symmetrisch in Reih und Glied aufgestellte Dosen im Küchenregal und Fisch liebt, mag Tapir es, wenn überall Pflanzen stehen und Bücher und andere Sachen herumliegen. Tapir hasst Fischgeruch und Abspülen, weshalb er es gar nicht erst tut. Dafür schlabbert er gerne Früchte, deren Schalen er einfach auf den Teppich wirft. Ach ja, und seine dicke Freundin Nilpferd blockiert immer das Bad!

Klar, dass diese WG schon bald implodiert. Der feine Pinguin zieht aus und das bis zu dieser Stelle zauberhaft bunt gezeichnete Bilderbuch wechselt in schwarz-weiß. Traurig, traurig geht es mit einem Mal zu. Tapir schleppt sich lustlos an seinen Arbeitsplatz im Zoo, hält Ausschau nach Gordon, aber der ist nicht da. Wieder zuhause schreibt Tapir dem Pinguinfreund einen Brief, er vermisst ihn. Die beiden versöhnen sich, Tapir besucht Gordon in seiner neuen Wohnung, die kahl und leer und schick ist wie ein Gemälde von Edward Hopper. Am Ende aber schmeißt Tapir eine Party. In seiner Bude! Und das Buch wird wieder bunt. Dazu dekoriert er seine ohnehin schon mit Pflanzen und Krimskrams vollgestellte Wohnung auch noch mit von der Decke hängendem Klopapier, Girlanden und bunten Schnüren. Sogar Papageien feiern mit.

Nachdem mein Sohn fertig gelesen hat, sagt er: „Und ich bin jetzt auch ein Tapir. Wenn dir das nicht gefällt, Papi, dann bist du ein Pinguin und musst ausziehen.“ Ich bin dann nicht ausgezogen. Aber nachts betrete ich das Zimmer meines Sohnes nur noch mit Taschenlampe und Fahrradhelm. Die Sache wird nämlich immer gefährlicher. Derzeit liest er Kirsten Boies „Thabo, Detektiv und Gentleman“. In diesem Detektivkrimi wird in einem Safaripark ein Nashorn wegen seines kostbaren Horns ermordet. Ich sage Ihnen: Ein Vater muss mit allem rechnen.

Sorry, No posts.
<a href="https://buchszene.de/redakteur/joerg-steinleitner/" target="_self">Jörg Steinleitner</a>

Jörg Steinleitner

Geboren 1971, studierte Jörg Steinleitner Jura, Germanistik und Geschichte in München und Augsburg und absolvierte die Journalistenschule. Er veröffentlichte rund 25 Bücher für Kinder und Erwachsene. Steinleitner ist seit 2016 Chefredakteur von BUCHSZENE.DE und lebt mit Frau und drei Kindern am Riegsee.

Das könnte Sie auch interessieren: