Ragnar Jónassons Heldin Hulda ist Islands einsamste Polizistin
Hulda Hermannsdottir ist Polizistin in Island. Seit dem Tod ihres Mannes und der gemeinsamen Tochter ist Hulda sehr einsam und stürzt sich daher gerne in ihre Arbeit und die Ermittlungen. Ihr graut es schon vor der bevorstehenden Pension und den damit einhergehenden fehlenden Aufgaben. Umso härter trifft es sie, als ihr Chef sie in Frühpension schickt. Hulda will sich damit nicht abfinden und handelt daher aus, sich um einen letzten Fall kümmern zu dürfen.
Cold Case – eine vermisste und eine tote Asylsuchende
Hulda muss nicht lange überlegen, für welchen Cold Case sie sich entscheidet: Vor mehr als einem Jahr wurde eine russische Asylwerberin tot in einer Bucht aufgefunden. Der damalige leitende Ermittler hatte den Tod als Unfall deklariert und die Ermittlungen daher eingestellt. Hulda zweifelt an dieser These und geht von einem Mordfall aus. Sie nimmt Kontakt zu der Asylunterkunft und dem Dolmetscher sowie dem Anwalt der Toten auf. Schnell stellt sie fest, dass einige Monate vor dem Tod der jungen Frau eine weitere russische Asylsuchende spurlos verschwunden ist. Hulda sieht als Einzige einen Zusammenhang zwischen den Fällen.
Huldas Alleingänge – Sie ermittelt hinter dem Rücken ihres Chefs
Fortan ermittelt Ragnar Jónassons Hauptfigur ohne Rücksprache mit ihrem Chef und begeht dabei mehrere schwerwiegende Fehler. Als Konsequenz wird sie mit sofortiger Wirkung von dem Fall abgezogen und pensioniert. Da Hulda aber der Lösung sehr nahe ist, ermittelt sie heimlich in einem gefährlichen Alleingang weiter. Weil niemand weiß, wo sie ist und was sie unternimmt, kann ihr auch niemand zu Hilfe kommen, als sie plötzlich auf den Täter trifft.
Ein rundum gelungener Thriller – ich warte auf die Fortsetzung
Ragnar Jónassons „Dunkel“ ist der Auftakt zu einer neuen Reihe. Der Kriminalroman überzeugt auf ganzer Linie – er ist ein perfekter Thriller. Der Autor verbindet nervenzerreißende Spannung mit einer überraschenden Auflösung und mehreren unerwarteten Wendungen. Das Ende ist glaubwürdig, aber auch bedrückend. Da sich im Buch neben Huldas eigentlichen Ermittlungen auch immer wieder Kapitel rund um ihre Kindheit und jene aus Sicht einer der Asylsuchenden abwechseln, taucht man als Leser*in tief in die Handlung ein und wird von der ersten Seite an in den Bann der Handlung gezogen. Die englische Zeitung „The Times“ hat Ragnar Jónassons Reihenauftakt als einen der besten Krimis und Thriller seit 1945 ausgezeichnet. Ich schließe mich diesem Urteil an. „Dunkel“ ist mein bisheriges Krimi-Jahreshighlight. Es ist schon lange her, dass ich mich auf die Fortsetzung (oder in diesem Fall den Vorgänger, da Huldas Geschichte rückwärts erzählt wird) eines Thrillers so sehr gefreut habe.
Beim Lesen fühlt man sich in die eisigen Gletscher versetzt
Aber auch die bildgewaltigen Landschaftsbeschreibungen und die durchgehend authentische Atmosphäre (welche gerade bei den Kapiteln aus Sicht der Asylbewerberin sehr bedrückend ist) machen aus diesem Thriller etwas ganz Besonderes. Beim Lesen hatte ich großes Kopfkino und ich fühlte mich sofort in die eisigen Gletscher, die unendlichen Weiten und die winterliche Kälte von Island versetzt. Ragnar Jónasson liebt seine Heimat und die atemberaubenden Landschaften und es gelingt ihm, diese Begeisterung auf jeder Seite zu teilen, ohne dass die Spannung darunter leidet.
Das Schicksal der außergewöhnlichen Ermittlerin berührt zutiefst
Zudem muss man die unfassbar gut ausgearbeitete und facettenreiche Hulda sofort ins Herz schließen. Ich kenne nur wenige Bücher dieses Genres, die die Hauptfiguren derart gelungen darstellen. Zu Beginn des Thrillers habe ich oftmals über Huldas Verhalten und ihre Distanz zu den Mitmenschen gerätselt. Aber die Einblicke in ihre verstörende Kindheit und die erschreckende Auflösung zu den Todesfällen ihrer Familie erklären Huldas Art und ihre willensstarke Persönlichkeit. Gerade zum Ende hin gibt es einige Offenbarungen, die mich komplett überrascht haben und die Sympathie für die Polizistin nochmals steigern konnten. Umso mehr berührt mich Huldas Schicksal. Beim Lesen des Epilogs musste ich beinahe weinen, da ich mir für die starke Hulda eine andere Zukunft gewünscht hätte.